Positive und negative Salden in der Leistungsbilanz sind an sich nichts Schlechtes – zudem muss Deutschland als alterndes Land grundsätzlich mehr sparen und Überschüsse in der Leistungsbilanz generieren, schreibt Michael Hüther in der Welt.
Leistungsbilanz: USA sind Hauptverursacher der Ungleichgewichte
Der stabil hohe Überschuss Deutschlands in der Leistungsbilanz ist Gegenstand politischer Empörung bei US-Präsident Trump und Anlass für eine ökonomische Kritik. Auch Maurice Obstfeld, der Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF), beackert dieses Thema.
Dass positive und negative Salden in der Leistungsbilanz "an sich nichts Schlechtes" sind, eint unsere Analyse, ebenso, dass Deutschland als alterndes Land grundsätzlich mehr sparen und Überschüsse in der Leistungsbilanz generieren sollte. Entscheidend für die Argumentation von Obstfeld ist die Bewertung der Salden als "unverhältnismäßig".
Forscht man in der zugrunde liegenden Analyse nach, dann wird deutlich, dass diese Bewertung - bezogen auf "wirtschaftliche Fundamentaldaten" und "angemessene Wirtschaftspolitik" - normativ, jedenfalls nicht theoretisch zwingend ist. Für Deutschland ergeben die IWF-Berechnungen für das Jahr 2017 einen hinnehmbaren Überschuss von 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wobei der tatsächlich gemessene Überschuss konjunkturell bereinigt aber 8,3 Prozent erreicht. Die Differenz vermag der Fonds für 1,2 Prozentpunkte auf zu geringe Fiskalimpulse oder Ähnliches zurückzuführen, während 4,3 Prozentpunkte unerklärt bleiben.
Wenn man mit diesem Ansatz die Abweichung vom "hinnehmbaren" Überschuss nur zu einem geringen Maß erklären kann, dann verlieren die wirtschaftspolitischen Ableitungen von Obstfeld sehr an Überzeugungskraft, jedenfalls in ihrer einseitigen Betonung.
Denn eine stärker expansive Finanzpolitik könnte auch gemeinsam mit gesamtwirtschaftlich höheren Lohnabschlüssen das benannte Problem nur zu 20 Prozent lösen. Das heißt nun nicht, dass der deutsche Staat nicht mehr in Infrastrukturnetze investieren sollte, doch letztlich stärkt das wieder die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.
Zudem ist die gerne vorgetragene Behauptung, Deutschland investiere zu wenig, zumindest für die Unternehmen nicht plausibel. Denn wie kann bei "heimischer Investitionsschwäche" dauerhaft ein großer Exportsaldo resultieren, der wohl auch auf unternehmerischer Wettbewerbsfähigkeit beruht?
Die Wirtschaftsgeschichte kennt hinreichend Belege dafür, dass mit Abwertungen - um das Gegenargument gleich aufzunehmen - keine dauerhafte Exportstärke zu generieren ist, weil regelmäßig die notwendigen strukturellen Anpassungen unterbleiben. Einen Erklärungsbeitrag zu den Leistungsbilanzsalden bietet die Angebotsseite der Volkswirtschaft: Systematisch weisen Länder mit einem hohen Industrieanteil und Investitionsgüterproduktion einen Überschuss in der Leistungsbilanz auf. Genau das trifft für Deutschland zu. Unser volkswirtschaftliches Geschäftsmodell mit seinen Besonderheiten - Industrie-Dienstleistungs-Verbund, profilierte Cluster-Struktur, Innovationsstärke, hoher Anteil an Hidden Champions und Weltmarktführern - erklärt in erheblichem Maße den Exporterfolg.
Welche Rolle hat nun die Lohnpolitik? Der sogenannte Phillipskurven-Zusammenhang hat sich - das zeigen Berechnungen der Bundesbank - seit der Finanzkrise 2009 für Deutschland aufgelöst: Sinkende Arbeitslosigkeit führt nicht zu einem früheren Mustern entsprechenden Anstieg der Nominallöhne. Zur Begründung wird auf stärkere Arbeitsmigration, Druck zur Wettbewerbsfähigkeit und eine geringere Abdeckung durch Flächentarifverträge verwiesen. Da dies kein ausschließlich deutsches Phänomen ist, wird man hier kaum die Antwort für die Leistungsbilanzkorrektur suchen können.
Und ist diese Korrektur überhaupt wirklich so dringlich? Obstfeld weist auf die möglichen Folgen für die internationalen Finanzmärkte hin, die sich aus der Abhängigkeit bei hoher Auslandsverschuldung ebenso ergeben können wie bei hohem Auslandsvermögen. Dies sind wichtige Hinweise, die indes dadurch zu relativieren sind, dass die Kapitalbilanz die Leistungsbilanz dominiert und nicht - wie Obstfeld nahelegt - umgekehrt.
Dafür spricht, dass der Zeithorizont der Kapitalanlageentscheidungen länger ist als der reiner Güter- und Dienstleistungstransaktionen. Aus Sicht der Kapitalbilanz sind es vor allem die USA, die mit ihrer hohen öffentlichen wie privaten Verschuldung international Probleme begründen und sich selbst in Abhängigkeit begeben. Insofern steht die Fiskalposition der USA unter Anpassungsdruck.
Das Argument, Deutschland lege sein Auslandsvermögen schlecht, jedenfalls schlechter als zu Hause an, kann durch kein ökonomisches Kalkül plausibel begründet werden. Tatsächlich ist aber die anhaltende, seit 2017 so nicht mehr zu rechtfertigende expansive Strategie der Europäischen Zentralbank zu beachten, weil die zu Fehlanreizen für die Kapitalallokation führt oder - bei konstantem Sparziel - das Sparen erhöht.
Zugleich führt die EZB-Politik tendenziell zu einer Abwertung des Euro, sie begründet damit zwar nicht die deutsche Exportposition, stärkt sie aber. Es drängt sich die Frage auf, ob angesichts europäischer Geldpolitik und europäischer Handelspolitik der isolierte Blick auf Deutschland in diesem Kontext noch Sinn hat.
Zum Gastbeitrag auf welt.de.
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