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(© Gettyimages)
Michael Hüther im Handelsblatt Gastbeitrag 26. Januar 2022

Für einen klimapolitischen Konsens

Damit die Dekarbonisierung der Wirtschaft sozialverträglich gelingt, brauchen wir neue Konfliktlösungen, analysiert IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt.

Robert Habeck hat mit der "Eröffnungsbilanz Klimaschutz" politisch Transparenz hergestellt: "Die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen sind in allen Sektoren unzureichend." Mit ihnen wird die für das Jahr 2045 in Deutschland anvisierte Klimaneutralität nicht erreichbar sein. Die CO2 - Minderungsrate müsste dafür bis 2030 fast verdreifacht werden. Das soll mit wirtschaftlicher Prosperität einhergehen und durch einen sozialen Ausgleich gesellschaftlich akzeptabel gelingen. Zielverfehlung wird aber immerhin nicht mehr mit Zielverschärfung beantwortet, sondern mit mehr Anstrengungen bei der Umsetzung.

Klimaschutz ist fortan Querschnittsaufgabe. Die Bündelung von Wirtschaft und Klimaschutz in einem Ressort erinnert an das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit unter Wolfgang Clement. Vor 20 Jahren ging es um die Bekämpfung verhärteter Arbeitslosigkeit, was schließlich gelang und bis heute trägt. Jetzt geht es um einen Strukturwandel, in dem Klimaneutralität den Industriestandort modernisiert und sichert. Zu den vorgesehenen Maßnahmen gehören schnell wirksame Hebel - wie die Übernahme der EEG-Umlage in den Bundeshaushalt zur Senkung des Strompreises - und solche, die deutlich längere Vorlaufzeiten haben wie die Wasserstoffstrategie oder nur begrenzter wirken wie die Gebäudesanierung.

Klimaschutzverträge sollen die Dekarbonisierung der Produktion im verarbeitenden Gewerbe wirtschaftlich absichern. Hier wird aber zugleich die Grenze der Wirksamkeit isolierter Klimaschutzpolitik deutlich. Denn die Größe der Transformation ist wirtschaftshistorisch gerade mit Blick auf den Zeitpfad kaum zu überschätzen. Das Gelingen hängt deshalb nicht allein von spezifischen und konsistenten Maßnahmen der Klimapolitik ab, sondern mehr noch von der angemessenen Begleitung durch alle wirtschaftspolitischen Akteure, und zwar nicht nur jeder für sich, sondern alle miteinander abgestimmt.

Augenfällig wird dies an der aktuellen Debatte über die Inflation. Zwar ist der Anstieg der Energiepreise vor allem durch internationale politische Spannungen verursacht, doch im Grunde nimmt er nur vorweg, was die Dekarbonisierung verlangt: eine Verteuerung fossiler Brennstoffe. Solange alternative Antriebe wie E-Mobilität und alternative Wärmequellen teuer sind oder die energetische Gebäudesanierung hohe Kosten verursacht, ist ein Ausweichen für einkommensschwache Haushalte kaum möglich.

Da rufen Voreilige nach der Geldpolitik, die Teuerungseffekte bekämpfen soll, die sie nicht kontrollieren kann, und Orientierungslose nach Energiepreisbremsen. Soll die Transformation gelingen, muss die Veränderung relativer Preise zulasten fossiler Energieträger und emissionsgebundener Produkte hingenommen werden; nur dann kommen die notwendigen Verhaltensänderungen in Gang. Die sozialen Fragen müssen von der Finanzpolitik beantwortet werden.

„Das Versprechen, Klimaschutz und wirtschaftliche Prosperität im Industrieland Deutschland sozialverträglich zu erreichen, betrifft alle wirtschaftspolitischen Akteure, ohne jede Ausnahme.”

Dazu gehört die Anpassung der Grundsicherung, auch die Abschaffung der EEG-Umlage ist wegen ihrer Verteilungswirkungen hilfreich. Dem Mindestlohn kommt hier schon deshalb keine systematische Funktion zu, weil Lohnpolitik keine Sozialpolitik ist. Vielmehr sollte endlich der anreizfeindliche Einkommensteuertarif geglättet und automatisch mit der Inflation indexiert werden. Das würde den Bundeshaushalt belasten, der zudem die höheren Sozialtransfers zu tragen hat.

Der Haushalt kommt aber nicht nur steuer- und sozialpolitisch unter Druck, sondern ebenso investitionspolitisch. Das gilt für die Finanzierung öffentlicher Infrastrukturinvestitionen, aber ebenso für die Förderung privater Investitionen. Die Klimaschutzverträge begründen zwar formal Subventionen, sollen aber unternehmerischen Strukturwandel unterstützen. Während man für die Infrastruktur über Investitionsgesellschaften die Kreditfinanzierung in Einklang mit der Schuldenbremse organisieren kann, ist das für die Klimaschutzverträge weniger gegeben. Die Einnahmen aus der CO2 - Bepreisung sind durch die Abschaffung der EEG-Umlage ausgereizt.

Nur wenn die Finanzpolitik den Spagat aus sozialem Ausgleich, steuerlicher Fairness und kluger Investitionsfinanzierung schafft, können die Geldpolitik und die Lohnpolitik im Sinne der Transformation angemessen agieren. Wenn die Finanzpolitik das meistert, entlastet sie zugleich die Lohnpolitik. Die Teuerung, die zunächst aus Problemen bei der Verfügbarkeit von Rostoffen und Vorprodukten sowie Störungen in den Logistiksystemen resultierte, jetzt durch die Energiepreise verursacht ist und künftig durch den CO2 - Preis getrieben wird, birgt die Gefahr, dass sie zu einer Preis-Lohn-Preis-Spirale führt.

Übernimmt die Finanzpolitik zielsicher den sozialen Ausgleich und gibt sie die Effekte der kalten Progression an die Steuerzahler zurück, haben die privaten Haushalte die Aussicht, dass die Einkommenseffekte der in der Transformation unvermeidbaren Veränderung der relativen Preise weitgehend ausgeglichen werden.  Die Lohnpolitik kann sich an der Inflationsnorm der Notenbank ausrichten und damit ihren Beitrag zur Stabilisierung des Preisniveaus liefern. Diese Orientierung entspricht der aus dem zurückliegenden Jahrzehnt mit einer Preisentwicklung entlang der Grenze zur Deflation. Auch damals haben die Gewerkschaften nicht die tatsächliche Veränderung des Harmonisierten Verbraucherpreisindex zugrunde gelegt.

All das würde wiederum die Geldpolitik entlasten. Denn die Sorge vor einer Überführung der aus ihrer Sicht exogenen, nicht kontrollierbaren Teuerung in eine endogene, monetär alimentierte Inflationsdynamik würde entkräftet. Zwar lässt die Europäische Zentralbank ähnlich wie die Federal Reserve ihren Kurs unkonventioneller Maßnahmen auslaufen, weil es dafür bei sich belebender Konjunktur keine Begründung mehr gibt. Baldige Zinserhöhungen sind aber bei lohnpolitischer Vernunft weniger wahrscheinlich. Damit wiederum verbindet sich eine verbesserte Aussicht auf die Tragfähigkeit kreditfinanzierter Infrastrukturprogramme für die Staatsfinanzen.

In den frühen 1980er-Jahren ging es darum, einen beschäftigungspolitischen Konsens zu erzielen, um durch stabilitätsorientierte Lohnpolitik und solide Finanzpolitik der Geldpolitik schneller Spielraum für Zinserleichterungen zu ermöglichen. Die Erfahrung aller Akteure war konfliktgeprägt. Nun geht es um einen klimapolitischen Konsens, der nach einem neuen Gleichgewicht der Partner verlangt. Nur dann wird der gesamtwirtschaftliche Rahmen zu den Herausforderungen und den Bedingungen des Strukturwandels passen.

Allerdings sind wir seit Langem nicht mehr gewohnt, makroökonomische Konflikte umfassend zu bewerten. Das muss sich ändern. Sonst wird die Transformation zur Klimaneutralität schon binnenwirtschaftlich scheitern. Das Versprechen, Klimaschutz und wirtschaftliche Prosperität im Industrieland Deutschland sozialverträglich zu erreichen, betrifft alle wirtschaftspolitischen Akteure, ohne jede Ausnahme. Ob diese Erkenntnis besteht, dürfte der erste Jahreswirtschaftsbericht von Robert Habeck an diesem Mittwoch erkennen lassen.

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