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Michael Hüther auf handelsblatt.com Gastbeitrag 7. November 2012

Fiscal cliff voraus!

Obama muss es gelingen, gemeinsam mit den Republikanern den US-Haushalt zu konsolidieren. Das „fiscal cliff“ wird er alleine mit seiner Regierung nicht umschiffen können. Er braucht außerdem einen neuen Finanzminister.

Die Wiederwahl von Barack Obama stellt sicher, dass die Administration bei allen üblichen Wechseln handlungsfähig bleibt. Anders als vor vier Jahren ist Obama von Anfang an auf die Zusammenarbeit mit den Republikanern angewiesen, die im Repräsentantenhaus die Mehrheit sichern konnten. Da allerdings der Senat wohl mit gestärkter demokratischer Mehrheit in die neue Amtsperiode geht, gibt es jedoch ein Gleichgewicht der Kräfte, das sowohl die Option der Blockade als auch die der Kooperation eröffnet. Für letzteres spricht, dass das Risiko einseitiger Mehrheiten nicht besteht, ohne jede Kompromissbereitschaft auch extremere Vorstellungen durchzusetzen, was dann erfahrungsgemäß bei den Halbzeitwahlen zu einer wiederum blockierenden Gegenbewegung führt.

Die große Herausforderung liegt in der Umschiffung des „fiscal cliff“. Der Nicht-Kompromiss vom Juli 2011 hatte die eigentliche Lösung der Budgetkonsolidierung in die Zukunft vertagt, allerdings mit einer Automatik. Danach werden zum Jahreswechsel alle befristeten Steuerentlastungen auslaufen und bei den Sozialausgaben wie bei den Verteidigungsausgaben Kürzungen vorgenommen, so dass es zu Budgetentlastungen von 600 Milliarden US-Dollar kommt, was etwa 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Dies alles würde in dieser Kombination die noch nicht stabile Konjunktur belasten, so wird befürchtet. Vor allem aber: Eine Automatik der Haushaltskonsolidierung käme einem politischen Offenbarungseid gleich. Politik würde ihren Gestaltungsanspruch aufgeben.

Für Europa heißt dies, dass jedenfalls zunächst innenpolitische Themen dominieren werden. Denn hinter dem Streit um die Budgetpolitik stehen tiefgehende gesellschaftliche Konflikte über Art, Intensität und Umfang der Staatstätigkeit, speziell die Frage nach der Rolle der Bundesebene. Die zweite Amtszeit eines Präsidenten gibt gewöhnlich mehr Raum für entsprechend konsensuale Anstrengungen. Die Erwartung auf eine überparteiliche Zusammenarbeit ist groß, der Druck eines nahenden Wahlkampfs geschwunden. Obama hat in seiner Rede nach der Wahl zu erkennen gegeben, dass er anders als zu Beginn seiner ersten Amtszeit das Gespräch mit den Republikanern suchen werde.

Europa kann sich deshalb darauf einstellen, dass zunächst die Überwindung dieser binnenpolitischen Verwerfung im Mittelpunkt der Bemühungen stehen wird. Es ist zu vermuten, dass der Präsident mit neuem Personal an den relevanten Schlüsselpositionen – Finanzminister, National Economic Council – dafür die Chancen erhöhen will. Timothy Geithner hat ohnehin die Erwartungen vielfach nicht erfüllt.

Die Fokussierung auf die Budgetfrage verschiebt die Debatte in Washington so, dass die Erwartungen an Europa mehr mit den Optionen hier zusammenpassen. Im Grunde besteht die Chance, die Staatsverschuldung endlich als globales Problem zu behandeln und durch grundsätzlich paralleles Agieren mehr Möglichkeiten für eine Abstimmung zu finden. Die bisherige Haltung der US-Administration, insbesondere Geithners, Europa und dabei vor allem Deutschland müsse mehr für die Konjunktur tun, dürfte an Bedeutung verlieren. Dies gilt umso eher, wenn es hier zu einem Wechsel kommt.

Der zu erwartende Verbleib von Ben Bernanke bei der Fed wird dazu führen, dass die laxe Geldpolitik des „quantitative easing“ – wie angekündigt - weiter betrieben wird und ein Kurswechsel kurz- und mittelfristig nicht zu erwarten ist. Das heißt: weiterhin massive Liquiditätsbereitstellung, niedrige Zinsen, Abwertungsdruck auf den Wechselkurs des US-Dollar. Will die EZB in absehbarer Zeit zu einem Kurs der Restabilisierung der Inflationserwartungen übergehen – sicher noch nicht 2012, aber vielleicht über Ankündigungen in 2013 – dann kann es dadurch zu einer Umlenkung der Kapitalströme kommen. Insofern wird der Handlungsspielraum der europäischen Geldpolitik auf dem Weg zu einer Normalisierung eingeschränkt.

Was also hat Europa in diesen Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu erwarten? Etwas weniger Ungeduld mit Blick auf die Lösung der Euro-Staatsschuldenkrise, mehr globale Kohärenz beim Bemühen um die Haushaltskonsolidierung, und eine fortwährende expansive Geldpolitik. Neue Hoffnungen auf eine Wiederbelebung der komatösen Doha-Runde sind – um diesen Punkt nicht zu vergessen – nicht begründet. Der Bilateralismus – so sehr dieser auch mit hohen Transaktionskosten verbunden ist, feiert fröhlich Urstände. Daran wird sich nichts ändern. Zumal die Interessenlage der USA – unabhängig von der jeweiligen Administration – sich eher von Europa in andere Regionen – Asian-Pazifik – verlagert.

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