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Michael Hüther in Cicero Gastbeitrag 13. Januar 2021

Es gibt keinen absoluten Lebensschutz

Lockdown oder Lockerung? Die Debatten-Fronten zur Corona-Pandemie-Bekämpfung wirken immer zementierter. Dabei geraten abwägende Hinweise ins Abseits. Die Folgeschäden müssen endlich stärker thematisiert werden, gerade weil die Regierung keine absolute Sicherheit gewähren kann, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag für Cicero.

Wir haben mittlerweile Übung mit dem Lockdown, doch zur Gewohnheit wird es uns nicht, stattdessen überträgt sich die Tristesse des Januars auf das Gemüt. Der gesellschaftliche Raum ist zwar leer, doch die Furchen im Miteinander sind zu Gräben geworden und der Disput über den richtigen Weg findet kaum noch vermittelnd statt. Das Regierungshandeln scheint auf große Zustimmung zu stoßen, das hat die Kritik daran schnell radikalisiert und für viele desavouiert, sodass man mit abwägenden Stellungnahmen heute nicht nur Querdenker auf den Plan ruft, sondern ebenso Lockdown-Fanatiker.

Dahinter verbirgt sich eine Position, die den verständlichen Wunsch – manifest im Hashtag #ZeroCovid – zu einem unrealistischen und deshalb fehlorientierenden politischen Ziel erklärt. So richtig der Hinweis ist, dass jeder Todesfall menschliches Leid und Trauer begründet, so gilt ebenso, dass jedes Leben nur ein Leben zum Tode ist; ein Thema, das philosophische Diskurse seit jeher erfasst. Moderne Gesellschaften erwecken den Eindruck, dass der medizinisch-technische Fortschritt es rechtfertige, den Tod zu verdrängen. Doch wir beginnen jedes neue Jahr in Deutschland mit der Gewissheit, dass es 900.000 Todesfälle und mehr geben wird.
Das Versprechen wird sich nicht durchhalten lassen.

Das Versprechen wird sich nicht durchhalten lassen

Es gibt keinen absoluten Lebensschutz, auch nicht in der Covid19-Pandemie. Wir sind Risiken ausgesetzt, die versuchen wir einzudämmen und zu managen. Dazu gehört auch die schmerzliche Einsicht, dass wir im Miteinander bei aller Achtsamkeit oder aufgrund der im täglichen Tun immer auch unvermeidbaren Fahrlässigkeit nicht ausschließen können, anderen einen Schaden zuzufügen. Dafür schließen wir privat Versicherungen ab und deshalb treffen wir staatlicherseits Vorkehrungen und Vorsorge. Darum geht es auch jetzt, bei einem neuen Virus. Das von der Politik während der Corona-Pandemie insinuierte Versprechen des umfassenden Lebensschutzes wird sich indes nicht durchhalten lassen.

Rationale Politik versucht, sich so viel Informationen zu verschaffen, wie es möglich ist. Das ist versäumt worden, weil die soziografischen Merkmale der Infizierten nur sehr unzureichend erfasst wurden. Wichtige strukturelle Informationen über die Infektionsfälle, ihre Häufigkeit, ihre regionale Verbreitung fehlen uns. Ebenso wurde darauf verzichtet, die technologischen Möglichkeiten – über eine wirksame App und ähnliche Optionen – zur Nachverfolgung des epidemiologischen Geschehens zu nutzen. Wir wissen nichts Valides über die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen, die zur Reduzierung der Neuinfektionen beschlossen wurden; entsprechende Analysen gibt es nur ganz vereinzelt (Infektionsgeschehen in Schulen).

Differenzierende Entscheidungen sind politisch unattraktiv

Die Politik hat – nachvollziehbar – sich auf Expertise gestützt, die beruhend auf mathematischen Modellen Aussagen über den Zusammenhang eines Lockdowns mit dem Infektionsgeschehen anbot. Dass die reale Entwicklung nach dem Beschluss des Runterfahrens aber anders verlief, hat – unverständlich – bisher nicht zu der Frage geführt, ob und wie die Modelle zu überprüfen sind. Der Blick in die anderen Länder Europas bietet auch keine Erhellung. Denn schärfere Eingriffe, wie sie in einigen Ländern vorgenommen wurden, haben weder stärker noch nachhaltiger die Infektionszahlen reduziert. Die Erfahrungen in Bundesländern zeigen ebenfalls keinen entsprechenden Zusammenhang.

Dennoch sind die Aussichten für die nächste Runde der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten recht klar: Zwischenzeitliche Äußerungen lassen eine Verlängerung des Lockdowns erwarten. Differenzierende Entscheidungen sind politisch unattraktiv, da sie Verantwortung dorthin fokussieren, während die Verlängerung oder Verschärfung des umfassenden Lockdowns dies an alle delegiert. So erklären sich Forderungen, den Lockdown auszuweiten, vielen ist dabei offenkundig politische Gleichheit wichtiger als epidemiologische Wirksamkeit. Die Forderung nach einem Herunterfahren der nicht geschlossenen Wirtschaftsbereiche wird dafür ebenso gefordert wie eine Pflicht für das Homeoffice. Doch in Organisationen – wie Unternehmen – können anders als im privaten Leben die Abläufe systematisch geordnet und distanziert werden.

Viele Unternehmen stehen vor der Existenzfrage

Im Gegensatz zum Frühjahrslockdown zeigt sich die Industrie mit den verbundenen Dienstleistungen robust, die Grenzen sind offen und die internationalen Wertschöpfungsketten funktionieren, mitunter leidlich. Das gewährt der Volkswirtschaft als Ganzes Entlastung und schafft Stabilität. Hier die Axt anzulegen, führte zu hohen volkswirtschaftlichen Kosten bei nur unsicherem epidemiologischem Ertrag. Die Diskussion um das Homeoffice ist – von Grenzfällen abgesehen – eine Scheindebatte, die von der Politik zur eigenen Entlastung befeuert wird. Die Privatwirtschaft hat sich flexibel angepasst, bei der öffentlichen Verwaltung ist dies bei weitem nicht in dem Maße der Fall.

Vielmehr haben jene Branchen, die wie Gaststätten und Hotels, stationärer Einzelhandel (Non Food), Kultur und Veranstalter vom Lockdown betroffen sind, alle Aufmerksamkeit der Politik verdient. Denn die groß angekündigten umsatzbezogenen November- und Dezemberhilfen sind bisher allenfalls als Abschlagszahlungen in Höhe von 1,5 Mrd. Euro ausgezahlt worden, was 4 Prozent des maximal verfügbaren Finanzvolumens ausmacht. Viele Unternehmen stehen vor der Existenzfrage, das Eigenkapital ist verzehrt, Kredite sind dann kaum noch zu bekommen. In einzelnen Bereichen können Geschäftsaufgaben und Insolvenzen 30 Prozent und mehr der Unternehmen erfassen. Die Hilfen versanden an unangemessenen Zugangshürden und in der Administration.

Die deutsche Wirtschaft wird zunehmend durch eine Spaltung – robuster Industrie-Dienstleistungsverbund mit überwiegend Hochlohnjobs hier, bedrohte Existenzen in den Konsum-nahen Bereichen mit vielen geringer qualifizierten Tätigkeiten dort – gekennzeichnet. Daraus können sich erhebliche strukturelle Veränderungen, aber auch soziale Folgen und Effekte für die Einkommensverteilung ergeben. Umso wichtiger ist es, dass die Hilfen nun wirklich helfen. Die Zuspitzung der ökonomischen, letztlich aber gesellschaftlichen Krise gehört mit in die Abwägung für die Frage, wie die Pandemie im Februar beherrscht werden kann.

Zum Gastbeitrag auf cicero.de

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