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(© Foto: iStock)
Michael Hüther auf n-tv.de Gastbeitrag 28. April 2018

200. Geburtstag von Karl Marx: Es geht noch immer ein Gespenst um

Karl Marx ist eine Ikone der Kapitalismuskritik, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag für n-tv.de. Ob er aber die Probleme der heutigen Wirtschaftswelt tatsächlich so treffend beschreibt, wie viele seiner Anhänger behaupten, ist zweifelhaft.

Der 200. Geburtstag von Karl Marx lädt dazu ein, diesen großen Denker und Autor zu würdigen. Viele haben das in den vergangenen Wochen und Monaten bereits getan - oft voll Hochachtung und Anerkennung für sein Werk. Für Wirtschaftswissenschaftler gewinnt Karl Marx seine heutige Bedeutung vor allem durch den Mut, eine umfassende Interpretation für die kapitalistische Marktwirtschaft zu entwerfen. Marx ist in vielen Aspekten ein Klassiker, das zeigen die Bezugnahmen auf Adam Smith und David Ricardo, wie es Friedrich Engels im Vorwort zum zweiten Band des "Kapital" erläuterte und einordnete.

Ich konzentriere mich auf drei zentrale ökonomische Konzepte von Marx: die "Entfremdung", den "Mehrwert" und die "Krise". Alle drei sind heute noch in der Diskussion, mehr als 135 Jahre nach Marx‘ Tod. Ob sie aber die Probleme der heutigen Wirtschaftswelt tatsächlich so treffend beschreiben, wie viele seiner Fans behaupten, ist zweifelhaft.

Beginnen wir mit dem Begriff der Entfremdung, der zusammen mit dem der Selbstverwirklichung das Marxsche Menschenbild bestimmt. Die These: Durch die Arbeitsteilung kommt es zur Entfremdung des Arbeiters vom Produkt und Prozess seiner Arbeit, was zu einer Selbst-Entfremdung des Menschen und schließlich zur Entfremdung im Verhältnis zwischen den Menschen führt.

Die Vorstellung, dass die fortschreitende Arbeitsteilung und damit die Chance auf nachhaltige Steigerung der Produktivität zwingend diese Formen der Entfremdung produzieren, wurde jedoch spätestens 1918 durch die Entstehung der Sozialpartnerschaft mit dem Stinnes-Legien-Abkommen als Irrtum enttarnt: Löhne und Arbeitsbedingungen wurden fortan auf Augenhöhe zwischen Arbeitern und Kapitaleigentürmern verhandelt. Die Relativierung der unternehmerischen Macht wurde also - anders als von Marx eingeschätzt - auch ohne Revolution und Veränderung der Eigentumsverhältnisse erreicht. Die Etablierung der betrieblichen Ausbildung als duales System, ausgehend von den Gewerbegesetzen 1897 und befördert durch die Weimarer Verfassung, eröffnete darüber hinaus eine nachhaltige Perspektive auf eine Sozialisation durch Arbeit.

Gerade diese Sozialisation, also die gesellschaftliche Teilhabe von Arbeitern, wird laut Marx durch die Entfremdung im Kapitalismus verhindert. Das Gegenteil ist eingetreten: Aus der Steigerung der Arbeitsproduktivität haben sich gewaltige Zeitgewinne für die Menschen ergeben. Die gewonnene Zeit konnten sie verschieden einsetzen, unter anderem für das Reden und Handeln im öffentlichen Raum - kurz: für Politik. Auf diese Weise haben Arbeiter die Gesellschaft zunehmend mitgestaltet.

Von Verelendung kann keine Rede sein

Dies führt uns zu einem zweiten zentralen Konzept der Marxschen politischen Ökonomie: der Arbeitswertlehre mit dem Begriff des Mehrwerts. Dieser Begriff reflektiert die Tatsache, dass Güter durch menschliche Arbeit einen Wert bekommen, der höher ist als der Wert der zur Produktion nötigen Güter. Dieser Mehrwert kommt laut Marx einseitig den Kapitalisten zugute, weil die Konkurrenz einen Preiskampf auslöst, auf den Unternehmer mit längeren Arbeitszeiten und Erhöhung der Produktivität reagieren. Dies fördert die Konzentration der Unternehmen durch den Untergang vieler kleiner Kapitalisten. So verbindet sich die Verelendung des Proletariats mit der steigenden Kapitalausstattung der Unternehmen. In dessen Folge kommt es zum tendenziellen Fall der Profitrate, da die Konkurrenz zur Verdrängung der Arbeitskraft führt, die allein Mehrwert schaffen kann. So verbindet sich die Verelendung des Proletariats mit der Aneignung des Mehrwerts durch den Kapitalisten bei steigender relativer Kapitalausstattung.

Tatsächlich beobachten wir heute keine stetig zunehmende Konzentration von Unternehmen und Kapital. Immer wieder machen kleine Unternehmen den großen Konkurrenz. Zudem sind Kartellbehörden und Wettbewerbspolitik selbstverständliche Elemente der marktwirtschaftlichen Ordnung. Auch von einer Verelendung der Arbeitnehmer kann keine Rede sein - im Gegenteil: Bildungsexpansion, Tarifautonomie, Wohlfahrtsstaat und Umverteilung sind Kernelemente des modernen Staates.

Der dritte und vielleicht wichtigste Begriff in dieser Reihe ist von großer Aktualität: der Begriff der Krise. Ausgehend von der diagnostizierten Lage der arbeitenden Klasse in England (Friedrich Engels) wurde der kapitalistischen Wirtschaftsweise die Verantwortung für die ökonomische Krise zugewiesen. Die Kriseneskalation - getrieben vom tendenziellen Fall der Profitrate - beginnt demnach mit Überinvestitionen, führt zu Überangeboten, verschärft Konkurrenz und Preiswettbewerb, verlangt nach Marktausweitung, was wiederum den Konkurrenzkampf intensiviert. Dem krisenhaften Untergang des Kapitalismus steht nichts mehr im Wege, wenn der Verelendung und Entfremdung der Arbeiter nur noch über die proletarische Revolution zu entkommen ist.

Doch auch der Krisenbegriff von Marx hält einer Überprüfung kaum stand - weder historisch noch aufgrund der bereits angeführten grundlegenden Zweifel an den Konzepten der Entfremdung und Verelendung. Die historische Kritik beruht auf dem Befund, dass die von Marx und Engels diagnostizierte Krise der industriellen Welt tatsächlich die letzte Krise der agrarischen Welt war. So zeigen Analysen, dass die Not in rein agrarischen Bezirken noch größer war als in den industriell geprägten deutschen Regionen und in Deutschland insgesamt noch größer als im stärker industrialisierten England. Die ökonomischen Theorien von Karl Marx waren stark von der Zeit ihres Entstehens bestimmt. Die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung hat seine Befürchtungen nicht bestätigt.

Heilsgeschichtlich-idealistische Perspektive

So bleibt von drei zentralen Konzepten der Marxschen politischen Ökonomie - Entfremdung, Arbeitswertlehre und Krisenverständnis - wenig Orientierungs- und Erklärungskraft für die heutige Zeit. Dennoch ist das Denken von Marx auch heute nicht ohne Bedeutung. Allzu leicht wird im Lichte der Erfahrungen des real existierenden Sozialismus im 20. Jahrhundert übersehen, dass der Marxismus hartnäckig die Botschaft einer mit ihm und nur durch ihn möglichen Menschwerdung verbreitet hat: Unterschiede zwischen Klassen und Nationen werden verschwinden, es besteht Aussicht auf das große Lebensglück.

Die heilsgeschichtlich-idealistische Perspektive des Marxismus adressiert damit die Urwünsche des Menschen und findet sich heute - mehr oder weniger ausgeprägt - in der Sozialpolitik aller politischen Parteien wieder. Ein Hauch von Paradies-Erwartung schwebt indes im Raum, wenn sich so der deutsche Idealismus in die Köpfe nicht weniger unserer Zeitgenossen windet und dann nur Sozialtechnologie bieten kann.

Zum Gastbeitrag auf n-tv.de

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