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Michael Hüther in Makronom Gastbeitrag 26. Februar 2021

Verwaltung: Der Staat als Retter und die Mühen der administrativen Ebene

Es geht nicht mehr um die Frage schlanker versus verfetteter Staat, sondern um dessen administrative Wirksamkeit. Doch inzwischen nimmt mit jeder neuen Krise das Staunen darüber zu, dass die früher gerühmte deutsche Verwaltung eben diese Wirksamkeit offenbar verloren hat, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag bei Makronom.

Im krisenhaften Ausnahmezustand, in einer „außergewöhnlichen Notsituation“, die sich „der Kontrolle des Staates entzieht“ – wie es in Artikel 109 Absatz 3 Grundgesetz heißt – ist der Staat zum Regelbruch (wie im Fall der Schuldenbremse) legitimiert, dann darf und muss er sogar den Retter spielen. Man könnte zuspitzen und sagen: Gerade auch für solche Fälle, die den Einzelnen und die spontane kollektive Rationalität überfordern müssen, werden Institutionen wie der Staat geschaffen.  Das wird selbst in einer neoliberalen Position, wie durch Friedrich August von Hayek formuliert, explizit gesehen.

Die Frage, ob der Staat in der Krise als Retter auftreten sollte, lässt sich also sehr schnell und grundsätzlich mit „Was denn sonst?“ beantworten. Deutlich komplizierter ist allerdings die Antwort auf die Frage nach dem „Aber wie genau?“. Diese Folgefrage ist auf die Suche nach dem verhältnismäßigen Eingriff gerichtet, mit der Grenzsituationen von Gesellschaft oder Wirtschaft Rechnung getragen wird. Denn auch in der Pandemie ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Übermaßverbot Rechnung zu tragen.

Bei der Frage der Rettung durch den Staat in der Covid19-Pandemie kann man an die unmittelbaren Hilfen denken, die bereits im März 2020 bei Ausbruch der Krise sachlich und zeitlich angemessen aufgesetzt worden waren. Man kann ebenso auf die konjunkturpolitischen Maßnahmen referenzieren, die im Juni 2020 auf den Weg gebracht wurden und bei mancher Kritik doch insgesamt wiederum zeitlich und sachlich angemessen waren. Konjunkturpolitik ist nie so spezifisch kalibrierbar, wie es die Theorie voraussetzt, Kompromisse sind deshalb unvermeidlich. Entscheidend ist es, den Ankündigungen wirksames Handeln folgen zu lassen.

Administrative Wirksamkeit

In diesem Beitrag möchte ich etwas anderes für die Frage nach der Rolle des Staates in einer so existenziellen Krise in den Mittelpunkt rücken: die administrative Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen. Im Herbst 2020, als erneut ein Lockdown notwendig schien, sollten die wirtschaftlichen Konsequenzen durch schnelle, unkomplizierte, deshalb einfach definierte Hilfen für die betroffenen Branchen kompensiert werden. Doch statt schnell und unkompliziert zu sein, dauerte es lange und es war unangemessen aufwändig für die Unternehmen. Die Verzögerung der Auszahlung um Monate – und dann zunächst nur als limitierte Abschlagszahlungen – wirkte existenzgefährdend. Das in die Politik gesetzte Vertrauen wurde enttäuscht, deren Glaubwürdigkeit als Retter in der Not fundamental beschädigt.

Bürokratie, Administration, Verwaltung – das sind keine Begriffe oder gar Konzepte, die im ökonomischen Diskurs leicht eine positive Konnotation erfahren, die überhaupt auf größeres Interesse stoßen. Zu lange stand nur der Bürokratieabbau im Mittelpunkt, der sich im Zusammenspiel mit Privatisierung und Deregulierung als politischer Dreiklang vor allem in den 1980er Jahren aufdrängte, als vieles vielen in Deutschland mühsam und langsam, jedenfalls nicht der Sache angemessen erschien. Die Privatisierung der Telekommunikation gehört dabei zu jenen Beispielen, die auch heute ohne Zweifel positiv sind. Andere Beispiele lassen sich hinzufügen, auch mit deutlich kritischer Bewertung. Aber in den letzten Jahren hat sich das Anforderungsprofil verändert: Es geht nicht mehr um schlanker versus verfetteter Staat – sondern schlicht um die Frage der administrativen Wirksamkeit.

Es ist wenig gewonnen, wenn man sich auf der Ebene der Bundespolitik oder in Tateinheit mit der Landespolitik auf bestimmte Beschlüsse einigt, deren Umsetzung aber ins beliebige Belieben anderer gestellt ist

Es ist wenig gewonnen, wenn man sich auf der Ebene der Bundespolitik oder in Tateinheit mit der Landespolitik auf bestimmte Beschlüsse einigt, deren Umsetzung aber ins beliebige Belieben anderer gestellt ist. Die Beispiele der letzten Jahre sind vielfältig: Ob in der Fluchtkrise die kommunalen Ausländerbehörden überfordert waren und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seiner Koordinierungs-, Vernetzungs- und Infrastrukturfunktion nicht nachkommen konnte, ob in der Pandemie die lokalen Gesundheitsämter überfordert waren und es an bundeseinheitlicher Steuerung, Vernetzung und Infrastrukturlösung mangelte, ob die Verkürzung der Gymnasialzeit von neun auf acht Jahren letztlich an der fehlenden Koordinierung zwischen der kommunalen Schulverwaltung und der Landesschulpolitik scheiterte, ob die Umsetzung der November- und Dezemberhilfen im Gestrüpp der Zuständigkeiten von Bundesministerien einerseits und IT-Entwicklern andererseits zu versanden drohte, ob die Terminvergabe für die Impfungen gegen Corona zielgenau mit dem falschen Partner in den Sand gesetzt wird – jedes Mal nimmt das Staunen darüber zu, dass die früher gerühmte deutsche Verwaltung ihre Wirksamkeit offenbar verloren hat.

Föderalismus als Hindernis

Jedenfalls scheint dabei eine gewisse Systematik durch die Gemeinsamkeiten in den Fällen des Versagens oder der Schwierigkeiten bei Umstellungen adressiert:

1. Die administrative Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen scheint zunehmend defizitär, vor allem das Management der Schnittstellen erweist sich in der Digitalisierung der Verwaltungen als großes Problem.

2. Die konsistente Begleitung eines Projekts durch mehrere Akteure, wie bei den Unternehmenshilfen im Herbst 2020, scheint eine Verlangsamung zu bedingen oder, wie bei der Umstellung von G9 auf G8, gar ein Scheitern zu programmieren.

3. Eine systematische Problemstelle befindet sich offenbar auf der kommunalen Verwaltungsebene, wenn es darum geht, sowohl horizontal als auch vertikal mit anderen zu kooperieren, gemeinsame Standards zu erfüllen, schnittstellenfähig zu sein.

Grundsätzlich gesellt sich dazu die Frage, welche Anforderungen im Not- oder Krisenfall von der Verwaltung gefordert sind und inwieweit dies zu den Bedingungen des Normalfalls passt. Max Weber verdanken wir die systematische Betrachtung „legaler Herrschaft mit bürokratischem Verwaltungsstab“ und der „Grundkategorien der rationalen Herrschaft“ (Wirtschaft und Gesellschaft, S. 124 f.). Weber betont, dass der moderne – der „rationale“ – Staat „auf dem Fachbeamtentum und dem rationalen Recht“ beruht (Wirtschaft und Gesellschaft, S. 815). Der Fortschritt „zum bürokratischen, auf Anstellung, Gehalt, Pension, Avancement, fachmäßiger Schulung und Arbeitsteilung, festen Kompetenzen, Aktenmäßigkeit, hierarchischer Unter- und Überordnung ruhenden Beamtentum [ist] der ebenso eindeutige Maßstab der Modernisierung des Staates“ (Wirtschaft und Gesellschaft, S. 825). Die damit gesicherte Herrschaft durch Wissen trifft aber offenkundig in unseren Zeiten – und nicht nur, aber besonders in Krisenphasen – auf bedeutsame Grenzen der Wirksamkeit.

Die Ursachen dafür können sich zunächst in der institutionellen Ordnung der Verwaltung verbergen. Der deutsche Föderalismus kann grundsätzlich, aber auch aktuell durch die zunehmend offene Beziehung des Bundes zu den Kommunen als Hindernis einer klaren Hierarchie gedeutet werden. Gesamtstaatliche Herausforderungen verlangen nach gesamtstaatlicher Handlungsfähigkeit. Die Bundesländer sind nach Artikel 30 Grundgesetz für „die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben“ zuständig – soweit das Grundgesetz keine andere Regelung ermöglicht. Das führte mitunter zu fragwürdigen Lösungen: Da die Länder sich 1975 weigerten, das neu ab dem ersten Kind eingeführte Kindergeld auszuzahlen, wich der Bund auf die Arbeitsverwaltung aus, die in seiner Zuständigkeit lag. Bis heute sind die Familienkassen für 87% der Kinder bei der Bundesagentur für Arbeit angesiedelt.

Die Verankerung der Verwaltungskompetenz bei den Ländern reduziert die Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten des Bundes – eine einheitliche Lösung kann nur bei verfassungsmäßiger Zuständigkeit und expliziter bundesgesetzlicher Regelung gelingen. So ist dies für Asylverfahren durch das Aufenthaltsgesetz geregelt, dass die Zuständigkeit beim Bundesamt verankert, die Durchführung bei den lokalen Ausländerbehörden. Eine gemeinsame Verwaltungsprozedur mit entsprechender technischer Infrastruktur war damit offenkundig nicht zwingend verbunden, wie die Schwierigkeiten in der Fluchtkrise deutlich machten. Das Ausländerzentralregister beim Bundesverwaltungsamt dient zwar seit längerem als zentrale Informationsplattform für Ausländerdaten, doch erst mit dem Datenaustauschverbesserungsgesetz vom 2. Februar 2016 sollte das Register „zu einem insgesamt den zeitgemäßen Anforderungen entsprechenden zentralen Ausländerdateisystem“ ausgebaut werden. Zuvor hat dem auch der Datenschutz entgegengestanden.

E-Government auf allen Ebenen synchronisieren

Die Länder als Anker der Verwaltungskompetenz sind offenkundig dennoch in ihrem ureigenen Bereich begrenzt im Durchgriff auf die kommunalen Behörden, und das, obgleich die Kommunen staatsorganisationsrechtlich Teil der Länder sind. Die beispielsweise von den Ländern vorgesehene einheitliche Software Sormas für die Gesundheitsämter ist nach dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz im Herbst 2020 nicht fristgemäß umgesetzt worden. Zur Begründung wurde auf bestehende IT-Systeme verwiesen, deren Umstellung jetzt nicht sinnvoll oder möglich sei. Gemäß Artikel 28 Absatz 2 GG muss „den Gemeinden … das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“. Wenn das Bundesstaatsprinzip unserer Verfassung die Länder zur Kooperation untereinander und mit dem Bund verpflichtet, dann sind Gemeinden davon wohl kaum unberührt.

In einer Krisensituation geht es darum, trade-offs zu würdigen, abzuwägen, mit Unsicherheit umzugehen und Risiken zu managen – was der öffentlichen Verwaltung jedoch systematisch wesensfremd ist

Die Frage stellt sich, was einerseits unter den strukturell veränderten Bedingungen digitalisierter Prozesse und andererseits in Zeiten gesamtstaatlichen Notstands, als „Angelegenheiten örtlicher Gemeinschaft“ im Sinne des Artikels 28 GG zu bewerten sind. Die Digitalisierung der Verwaltung, die sowohl auf der Ebene des Bundes (Gesetz zur Förderung elektronischer Verwaltung 2013) wie der Länder entsprechende gesetzliche Rahmen erhalten hat, führt dazu, dass nicht mehr funktionale Zuständigkeiten, sondern Prozesszusammenhänge maßgeblich werden, um so die Schnittstellen angemessen managen zu können. E-Government erfordert angepasste Aufbau- und Ablauforganisationen innerhalb der Verwaltungen, was den Bund, aber vor allem die Länder besonders fordert, um durch entsprechende Standardisierungen die kommunalen Einheiten ein- und anbinden zu können. Jedenfalls hätte die kommunale Eigenständigkeit erhebliche negative externe Effekte zur Folge, so dass die Bindungswirkung landesgesetzlicher Vorgaben zunehmen muss.

Da das Grundgesetz keine Bundesexekution gegenüber den Ländern vorsieht, kann nur auf dem Weg der Vereinbarung oder durch eine spezielle gesetzliche Regelung eine gemeinsame Strategie umgesetzt werden. Das 2001 in Kraft getretene Infektionsschutzgesetz sieht beispielsweise Grundrechtseinschränkungen vor, für die Umsetzung sind die Länder in eigener Verantwortung zuständig. Den kommunalen Gesundheitsämtern verschafft das Gesetz besondere Rechte, während eine Steuerungsfunktion des Bundes dafür spiegelbildlich nicht vorgesehen ist.

Diese Hinweise lassen erkennen, dass das Miteinander der verschiedenen Verwaltungsebenen in Deutschland trotz der grundgesetzlichen Verankerung der primären Zuständigkeit bei den Bundesländern heute grundsätzliche Schwierigkeiten administrativer Wirksamkeit begründet: Arbeitsteilung, feste Kompetenzen, hierarchische Ordnung sind neu zu definieren. Hinzu kommt eine spezielle Herausforderung in einer bundesweiten Krisensituation: In einer solchen Lage geht es darum, trade-offs zu würdigen, abzuwägen, mit Unsicherheit umzugehen und Risiken zu managen.

Das ist genau das, was der öffentlichen Verwaltung als „kontinuierlicher regelgebundener Betrieb von Amtsgeschäften“ (Wirtschaft und Gesellschaft, 125) systematisch wesensfremd ist. Angesichts der Amtshaftung und einer immer weiter fortschreitenden Kodifizierung haben sich die Bedingungen für ein agiles Krisenmanagements – also Handeln unter Unsicherheit, ohne Regelungsvorgabe oder transferierbares Erfahrungswissen – eher verschlechtert. Das fordert die Politik – mit Verhältnismäßigkeit und ohne Übermaß – in der Krise konsequent zu entscheiden, die Umsetzung durch Projektstrukturen und Einsatzgruppen (Task Force) sicher zu stellen, um damit alle relevanten Verwaltungen und Verwaltungsebenen einzubeziehen. Erst dann ist der Staat der wirksame Retter in der Not, nicht schon durch die Verkündigung von Zielen, die schnell graue Theorie werden.

Zum Gastbeitrag auf makronom.de

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