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Mara Ewers und Marie Möller in der Huffington Post Gastbeitrag 22. Mai 2014

Desinteresse kann für junge Menschen teuer werden

Bei den zwei vergangenen Bundestagswahlen zeigte sich die Wahlmüdigkeit der Deutschen, schreiben die IW-Ökonominnen Mara Ewers und Marie Möller in der Huffington Post. So gaben nur noch sieben von zehn Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Für die kommenden Europawahlen droht sogar erneut eine Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent. Kein gutes Omen für die Demokratie, die ja von einer möglichst breiten Zustimmung und einer regen Teilnahme der Bürger lebt.

Es fällt auf: Junge Wähler geben eher selten ihre Stimme ab, während sich die 60- bis 69-Jährigen dabei als besonders emsig erweisen. Hinzu kommt: Der Bevölkerungsanteil älterer Menschen liegt deutlich höher ist als der jüngerer Personen: Bei der letzten Bundestagswahl stellte die Generation ab 60 Jahren mit 21,3 Millionen mehr als doppelt so viele Wahlberechtigte wie die jüngere Generation unter 30 Jahren. So ist denn auch der Einfluss der Älteren auf politische Entscheidungen und Wahlprogramme besonders groß. Die Weichenstellungen, die dadurch vorgenommen werden, betreffen aber häufig noch lange das Leben der jüngeren Generation. Ein aktuelles Beispiel ist die Rente mit 63, aus der sich eklatante finanzielle Belastungen für die Jungen ableiten. So bleibt festzustellen: Desinteresse an Wahlen können sich junge Wähler im wahrsten Sinne des Wortes gar nicht leisten.

Für die Europawahl sollte diese Einsicht ebenfalls gelten - auch wenn diese Wahl junge Menschen nicht gerade vom Stuhl reißt. Vieles ist schon zu selbstverständlich geworden, beispielsweise die europäischen Grenzen ohne Passkontrolle zu überqueren, sich den Studien- und Wohnort innerhalb Europas frei auswählen zu können und überall mit dem Euro zu bezahlen. Doch diese vielen Errungenschaften müssen auch gepflegt werden. Die Europäische Union braucht dafür positive Signale, wie eine möglichst hohe Wahlbeteiligung durch die EU-Bürger.

Was ist also zu tun, um dieses hehre Ziel zu erreichen? Eine allgemeine Wahlpflicht einführen wie in Belgien? Eine Geldstrafe fürs unbegründete Fernbleiben von der Wahl wie in Australien? Solche Maßnahmen hätten einen gewaltigen Verwaltungsaufwand zur Folge. Für Deutschland wären sie auch deshalb nicht denkbar, da dies ein gewaltiger Eingriff in die Freiheit des Einzelnen wäre und einer staatlichen Bevormundung gleich käme. Kein Wunder also, dass sich die überwiegende Mehrheit der Deutschen gegen eine Wahlpflicht ausspricht.

Bleiben also nur „sanfte" Methoden, um die Menschen davon zu überzeugen, wählen zu gehen. In den USA beschäftigt sich die dortige Wissenschaft bereits länger schon intensiv mit dem Phänomen der geringen Wahlbeteiligung und wie man diesem mit Nudging („Anschubsen") begegnen kann.

Eine Reihe interessanter Erkenntnisse, die sich auch auf Deutschland übertragen lassen, konnten die Forscher herausstellen. Ein wichtiger Punkt lautet: Auf das Timing kommt es an. Wochenlange Wahlwerbung mit Plakaten und Wahlveranstaltungen wie in Deutschland ist eher kein effektives Mittel um der Wahlmüdigkeit entgegen zu wirken. Was dagegen zu einer messbar höheren Beteiligung führt ist Werbung in der Zeit kurz vor dem Wahltermin. US-Forscher stellten außerdem heraus, dass das Engagement jedes einzelnen Bürgers, beispielsweise, wenn er seine Nachbarn, Bekannte oder Freunde auf die bevorstehende Wahl anspricht und sie fragt, ob sie wählen gehen, einen stark positiven Effekt hat. Untersuchungen erbrachten hier eine Steigerung der Wahlbeteiligung von bis zu 20 Prozent.

Beruhend auf der Idee der Visualisierung gibt es noch einen weiteren Weg, das Wahlverhalten der Menschen auf sanfte Art positiv zu beeinflussen: So wurden Bürger beispielsweise befragt, was Sie am Tag der Wahl machen werden und wann Sie voraussichtlich das Wahllokal aufsuchen werden. Nur aufgrund dieser Fragen gingen die Befragten ihren Tagesablauf im Kopf durch - visualisierten ihn - , wodurch sich die Wahlbeteiligung stark erhöhte. Hinter diesem Phä-nomen steckt, dass die aktive Vorstellung einer Handlung die Wahrscheinlichkeit für deren Ausführung erhöht.

Auch der „Herdentrieb" spielt eine wichtige Rolle beim Wahlverhalten. Allerdings nur dann, wenn er auf die richtige Art und Weise genutzt wird. Zur Erhöhung der Wahlbeteiligung von Frauen, versendete eine US-Frauenorganisation vor den Präsidentschaftswahlen 2004 in den USA folgende Briefbotschaft an eine Million Singlefrauen: „Bei der vergangenen Wahl vor vier Jahren gingen 22 Millionen Frauen nicht wählen." Mit dem Hinweis auf die hohe Wahlabstinenz sollten die Frauen motiviert werden, ihr Wahlrecht auch anzuwenden. Doch führte dies eher zum Gegenteil. Grund dafür ist, dass wir nach sozialer Anerkennung streben und uns eher so verhalten, wie andere dies auch tun, um so der Norm zu entsprechen.

Eher müssen die Menschen also darauf aufmerksam gemacht werden, wie viele Menschen tatsächlich von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. In Experimenten, in denen betont wurde, dass sich die große Mehrheit der Bürger an der Wahl beteiligen will, konnte ein deutlicher Anstieg der Wahlbeteiligung im Vergleich zu einer Kontrollgruppe belegt werden. Diese Ergebnisse könnten insbesondere auf junge (Nicht-)Wähler ange-wendet werden, die durch positiv formulierte Aussagen darüber, wie viele ihrer Altersgenossen sich an der letzten Wahl beteiligt haben.

Gerade in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise ist das Ergebnis der anstehenden Europawahl immens wichtig. Damit die magische 50-Prozent-Hürde in Sachen Wahlbeteiligung nicht unterschritten wird, sollten wir uns die Frage stellen, wie Parteien und Wahlen für den Bürger wieder attraktiver werden. Darüber hinaus sollten wir uns überlegen, wie man mit kleinen, gut gemeinten Hilfsmitteln insbesondere die junge Bevölkerung an die Urne bringen kann. So könnte der Teufelskreis aufgehalten werden: Denn je seltener sie wählen, desto weniger sind sie vom Parlament vertreten und desto höher ihre Politikverdrossenheit. Für ein starkes Europa brauchen wir eine starke Demokratie, die von allen getragen wird.

Zum Gastbeitrag in der Huffington Post

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