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Hans-Peter Fröhlich im Kölner Stadt-Anzeiger Gastbeitrag 5. Januar 2012

Inflation: Kassandras Lieblingsthema

Die Sorge vor einer dramatischen Geldentwertung wegen der Euro-Krise ist unbegründet und taugt nur als Stoff für Dinner-Partys. Das schreibt Hans-Peter Fröhlich, stellvertretender Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, im Kölner Stadt-Anzeiger.

An Bahnhofs- und Flughafenbuchhandlungen liegen sie immer in vorderster Reihe: Wirtschaftsbücher, die mit ihrem reißerischen Titel und bedrohlichen Inhalt den vorbeihastenden Passagier zum Kauf kurzweiliger Reiselektüre animieren sollen. Unter einer Katastrophe – dem drohenden Zusammenbruch von Volkswirtschaften oder einer weltweiten Vermögensvernichtung tun sie es nicht.

Das aktuelle Lieblingsthema der selbst ernannten Krisen-Propheten ist die angeblich bevorstehende große Inflation. Je nach Vorliebe des Autors wird das Inflationsszenario in zwei Versionen angeboten. Die einen argumentieren, die weltweit aufgetürmten Staatsschulden – in Europa wie auch in den USA oder Japan – könnten gar nicht mehr geordnet zurückgeführt werden. Eine bewusst ins Werk gesetzte oder zumindest billigend in Kauf genommene Inflation sei für die Regierungen die einzige Möglichkeit, sich ihrer Schulden wieder zu entledigen. Die andere Variante des Inflationsszenarios argumentiert mit der Geldmengenentwicklung. Die Europäische Zentralbank, ebenso wie andere große Notenbanken, hat seit Ausbruch der internationalen Finanzkrise die Märkte mit Liquidität regelrecht geflutet. Das neu geschaffene Geld muss nach dieser These letztlich zur Inflation führen, da immer mehr Geld einem unveränderten Warenangebot gegenüberstehe.

Viele Menschen sind in ihrer verständlichen Sorge um ihr Erspartes empfänglich für derartige Kassandrarufe. Mancher investiert derzeit einen Teil seines Vermögens in Gold als klassischem Inflationsschutz. Nicht von ungefähr hat der Goldpreis im letzten Jahr immer neue Rekordstände erklommen – auch wenn zuletzt wieder ein leichtes Abbröckeln zu verzeichnen war. Wer über größere Beträge verfügt, legt sein Geld eher in Betongold an und kauft Immobilien. Bei Wohngebäuden und Eigentumswohnungen wird von einem spürbaren Anstieg der Nachfrage berichtet.

Doch Vorsicht! So plausibel die Inflationsszenarien auf den ersten Blick erscheinen, so wenig zwingend sind sie. Was die Staatsschulden betrifft, so sind sie mit Ausnahme von Griechenland ihrer Proportion nach nicht unbeherrschbar. Eine Reihe von Ländern hat in der Vergangenheit vorgemacht, dass man bei konsistentem Agieren des Staates auf mittlere Frist die öffentliche Verschuldung nennenswert reduzieren kann. Irland, das als erstes europäisches Krisenland vor Jahresfrist unter den Rettungsschirm schlüpfen musste, macht das derzeit gerade vor. Die Beschlüsse des EU-Gipfels vom 8. Dezember weisen dafür auch den übrigen Ländern den richtigen Weg.

Auch von der Geldmengenentwicklung droht keine akute Gefahr. Richtig ist, dass die Europäische Zentralbank den Kreditinstituten in bisher ungekanntem Ausmaß Liquidität zur Verfügung gestellt hat. Inflationsdruck würde daraus aber nur erwachsen, wenn die Banken diese Mittel zur Kreditvergabe an Unternehmen und Privathaushalte nutzen und diese dann ihrerseits mehr investieren oder konsumieren würden. Das ist derzeit aber nicht der Fall. Stattdessen horten die Banken das Zentralbankgeld aus Vorsichtsgründen. Denn sie vertrauen einander in der derzeitigen Situation nicht und sind daher nicht bereit, sich bei Bedarf wechselseitig Geld zu verleihen, wie es sonst üblich ist. Wenn sich das wieder ändern sollte, verfügt die EZB über die notwendigen Instrumente, um die überschüssige Liquidität wieder einzusammeln, bevor sie inflationswirksam werden kann.

Der tatsächliche Befund von der Preisfront lässt denn auch keinerlei Inflationssignale erkennen. Die Verbraucherpreise sind im vergangenen Jahr hierzulande um gut zwei Prozent gestiegen; das entspricht etwa dem langjährigen Durchschnitt. Für 2012 gehen alle seriösen Prognosen eher von einem Rückgang der Teuerungsrate aus. Ein anderer wichtiger Indikator sind die langfristigen Zinsen. Sie liegen – abgesehen von den hinlänglich bekannten Krisenländern – auf historisch niedrigem Niveau. Wenn an den Finanzmärkten auf mittel- und längerfristige Sicht Inflationserwartungen herrschen würden, müsste sich das in einer deutlich steiler verlaufenden Zinsstrukturkurve niederschlagen.

Für die offensichtliche Gelassenheit der Märkte in Sachen Inflation gibt es gute Gründe. Weltweit ist für die nächsten zwei Jahre nur moderates wirtschaftliches Wachstum, in einigen Ländern gar Stagnation angesagt. Manche Gurus sehen vor diesem Hintergrund sogar schon eine weltweite Depression am Horizont. Das wäre das genaue Gegenteil des Inflationsszenarios – und in der Sache genauso wenig überzeugend. Der nüchterne Beobachter ist gut beraten, diesen Szenarien den ihnen gebührenden Platz zuzuweisen: amüsanter Stoff für Unterhaltungslektüre oder Dinner-Partys – nicht mehr und nicht weniger.

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