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Michael Hüther bei ThePioneer Gastbeitrag 2. Juni 2020

EU-Rettung bitte nur einmalig!

Das 750-Milliarden-Euro-Rettungspaket für die EU ist richtig, doch der Mechanismus darf im Budget nicht zur Dauereinrichtung werden, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag bei ThePioneer.

Europäische Solidarität durch Gemeinschaftsanleihen? Neue Eigenmittel für die Europäische Union? Hilfszahlungen statt Kredite an einzelne EU-Staaten in Not? Diese drei Fragen trafen in Deutschland erwartungsstabil auf ein Nein. Vor vierzehn Tagen hat sich jedenfalls für die Bundesregierung die Welt verändert. Mit dem gemeinsamen Vorschlag von Kanzlerin Merkel und Präsident Macron, 500 Mrd. Euro in einem European Recovery Fund bereit zu stellen, verband sich die Zustimmung sowohl für eine Finanzierung über europäische Anleihen als auch für die Gewährung nicht rückzahlbarer Hilfen. Was ist geschehen?

Die ökonomischen Folgen der Pandemie sind dramatisch, weltweit werden historisch einmalige Schrumpfungen der gesamtwirtschaftlichen Leistung für dieses Jahr erwartet. Dabei wurde schnell, aber mit unterschiedlicher Intensität und finanziellem Aufwand reagiert. In der EU sind die von der Pandemie ganz besonders betroffen Länder am wenigsten finanzpolitisch handlungsfähig. Das führt dazu, dass europäische Solidarität – als Beistand in der Not – gefragt ist, und zwar über praktische medizinische Hilfe hinaus. Zudem wird diskutiert, ob und wie unterschiedliche sektorale Hilfen der einzelnen EU-Staaten zu Wettbewerbsverzerrungen führen.

Bereits am 23. April d.J. wurde beschlossen, dass die Europäische Investitionsbank einen Garantiefonds zur Absicherung von Unternehmenskrediten von 200 Mrd. Euro bereitstellen kann. Zusätzlich sind vorsorgliche Kreditlinien bis zu 240 Milliarden Euro des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM für "Pandemie-Krisen-Hilfe" ohne Konditionalität; allerdings nur für direkte oder indirekte Gesundheitskosten. Am 19. Mai 2020 hat der Europäische Rat das SURE-Programm mit einem Volumen von 100 Mrd. Euro gebilligt, mit dem die EU in den Mitgliedstaaten Kurzarbeit finanzieren will. Der Bedarf an ökonomischer Stimulierung wird damit aber nicht gedeckt.

Zwischenzeitlich ist noch etwas anderes passiert: Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zum PSPP-Anleihekaufprogramm der EZB am 5. Mai den Weg zur Desintegration Europas eröffnet. Auch ohne politisch Artikulation lässt die distanzierte Reaktion in Berlin erahnen, welches Problem damit verursacht wurde. Die Zweifel an Deutschlands Bekenntnis zu Europa und seiner Bereitschaft zur Solidarität hatten höchstrichterliche Weihen erhalten. Jedenfalls kam die Bundesregierung zu der Einschätzung, dass es eines starken Signals für Europa bedürfe – am besten in der altbewährten Gemeinsamkeit mit Frankreich. Dafür sprach auch, dass in Italien erstmals eine Mehrheit gegen Europa sich abzeichnet; das Risiko des Zerfalls deutlich gestiegen ist.

Der Merkel-Macron-Vorschlag sieht vor, dass die Mittel für den einmaligen 500 Mrd. Euro-Fonds durch die EU-Kommission über Gemeinschaftsanleihen mobilisiert werden und als nicht rückzahlbare Hilfen den Länder mit den größten Belastungen zur Verfügung stehen. Die „genügsamen Vier“ – Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark – wenden sich nicht gegen die Art der Finanzierung, sondern gegen die Nichtrückzahlbarkeit der Hilfen. Sie sind lediglich bereit, Kredite zu günstigen Konditionen aus dem Fonds zur Verfügung zu stellen. Das verändert die Finanzierungslast. Nach dem deutsch-französischen Vorschlag sollen die Gemeinschaftsanleihen aus den künftigen EU-Budgets getilgt und damit alle EU-Mitglieder nach ihren Eigenmittelanteilen (basierend auf den MWSt-Einnahmen und dem Bruttonationaleinkommen) beteiligt werden. Im Modell der Genügsamen würde die Kredittilgung der Hilfeempfänger genutzt, die Anleihen zu bedienen.

Der Vorschlag der EU-Kommission sieht 750 Mrd. Euro vor, die Vergabe soll im Rahmen bestehender EU-Programme organisiert werden. Vorgesehen sind 440 Mrd. Euro als Zuschüsse, 60 Mrd. Euro als Garantien und 250 Mrd. Euro als Kredite. Hier mischen sich also die beiden anderen Vorschläge, die EU sollte prüfen, wieviel Zuschüsse tatsächlich nötig, wieviel Kredit hilfreich sind. Allen gemein – und interessanterweise kaum kritisch diskutiert – ist die Einbindung in das EU-Budget und den Mittelfristigen Finanzrahmen. Das erfordert rechtlich aber bestreitbare Wege, werden über Artikel 311 AEUV Kredite als neue Eigenmittelkategorie begründet. Dem müssen alle Mitgliedsstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften zustimmen, hierzulande der Bundestag.

So wichtig ein – einmaliges – Zeichen europäischer Solidarität in dieser Situation ist, so bleibt fraglich, warum das im EU-Budget erfolgen soll. Man kann – so wird argumentiert – dann die vorhandenen Verwaltungsstrukturen einschließlich Rechnungshof und Amt für Betrugsbekämpfung nutzen. Ohne Zweifel ist das ein Vorteil, doch das kann man bei einem zwischenstaatlichen Vertrag durch Beauftragung ebenso lösen, die Refinanzierung könnte sich an der Regelung für das EU-Budget orientieren. Dann würde man nicht das Risiko eingehen, die Kreditfinanzierung dauerhaft im EU-Haushalt zu etablieren. Das sollte man im Auge behalten. Auch politisch dürfte dieser Weg aussichtsreicher sein.

Hier gelangen Sie zum Gastbeitrag bei ThePioneer.

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