Die Corona-Pandemie und der zu ihrer Eindämmung erfolgte Lockdown verschlechtern die Perspektiven von Zuwanderern am deutschen Arbeitsmarkt und verhindern einen großen Teil ihrer Kontakte zu Einheimischen. Damit einhergehend haben sie auch weniger Gelegenheiten, Deutsch zu sprechen, was vor allem bei den kleineren Kindern im Hinblick auf die Sprachentwicklung zum Problem werden kann.
Corona hemmt die Integration
IW-Kurzbericht
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Die Corona-Pandemie und der zu ihrer Eindämmung erfolgte Lockdown verschlechtern die Perspektiven von Zuwanderern am deutschen Arbeitsmarkt und verhindern einen großen Teil ihrer Kontakte zu Einheimischen. Damit einhergehend haben sie auch weniger Gelegenheiten, Deutsch zu sprechen, was vor allem bei den kleineren Kindern im Hinblick auf die Sprachentwicklung zum Problem werden kann.
Schlechtere Perspektiven am Arbeitsmarkt
Die Corona-Pandemie wird aller Voraussicht nach zu einer massiven Verschlechterung der Lage am deutschen Arbeitsmarkt führen, deren Ausmaß man aktuell noch kaum abschätzen kann. Dabei gibt es bereits heute erste Hinweise darauf, dass Zuwanderer hiervon besonders stark betroffen sein werden. So ist die Zahl der arbeitslosen Ausländer bereits im ersten Monat des Lockdowns zwischen dem 12. März 2020 und dem 14. April 2020 um 98.000 oder 14,4 Prozent gestiegen. Bei den Inländern war der relative Anstieg mit einem Plus von 12,7 Prozent zwar nicht wesentlich niedriger, jedoch ist der Effekt auf die Arbeitslosenquote bei ihnen vor dem Hintergrund eines günstigeren Ausgangsniveaus, viel kleiner. So war bei ihnen nur ein Anstieg um 0,5 Prozentpunkte auf 4,6 Prozent zu verzeichnen, wohingegen es bei den Ausländern 1,9 Prozentpunkte waren und die Quote im Mai 2020 bei 14,7 Prozent lag (Bundesagentur für Arbeit, 2020a; eigene Berechnungen).
Betrachtet man, in welchen Branchen die Zuwanderer tätig sind, ist für die nächsten Monate insbesondere bei den Geflüchteten eine substanzielle Verschlechterung der ohnehin ungünstigen Arbeitsmarktlage zu erwarten. So lag der Anteil der besonders stark auf konjunkturelle Schwankungen reagierenden Arbeitnehmerüberlassung bei den Beschäftigten mit Staatsangehörigkeiten der Asylherkunftsländer Afghanistan, Eritrea, Iran, Irak, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien im September 2019 mit 14,4 Prozent viel höher als bei allen Ausländern mit 7,1 Prozent und bei den Deutschen mit 1,5 Prozent. Ähnliches gilt auch für das vom Lockdown besonders betroffene Gastgewerbe, dessen Anteil bei ihnen 12,7 Prozent betrug, im Verglich zu 9,0 Prozent bei allen Ausländern und 2,5 Prozent bei den Inländern (Bundesagentur für Arbeit, 2020b).
Bereits in der Vergangenheit waren die Ausländer in Deutschland von negativen Entwicklungen am Arbeitsmarkt immer deutlich stärker betroffen als die Inländer, wie eine Studie von Geis (2010) zeigt. Zudem stellt er anhand multivariater Analysen fest, dass hierfür die Unterschiede beim Bildungsniveau, der Berufserfahrung und den Sprachkenntnissen ursächlich waren. Auch wenn sich die aktuelle Situation stark von früheren Wirtschaftskrisen unterscheidet, ist damit zu rechnen, dass in nächster Zeit niedrigqualifizierte Zuwanderer mit schlechten Deutschkenntnisse besonders häufig ihre Arbeitsstellen verlieren und keine neuen finden werden. Dies lässt sich kaum verhindern, jedoch können Qualifikationsangebote helfen, dass die betroffenen Personen ihre Karriereperspektiven verbessern und am Arbeitsmarkt schnell wieder Fuß fassen.
Kaum Kontakte zwischen Zuwanderern und Einheimischen
Aus soziologischer Sicht bezeichnet Integration die „Verbindung einer Vielheit von einzelnen Personen oder Gruppen zu einer gesellschaftlichen und kulturellen Einheit“ (Duden 2020). Damit entscheiden die Beziehungen zwischen den Zuwanderern und Einheimischen letztlich über ihr Gelingen. Wie diese gelebt werden können, hat sich mit dem Lockdown drastisch verändert. So sind die meisten gemeinsamen Freizeitaktivitäten, wie das Ausüben von Mannschaftssportarten und der Besuch von Konzerten, derzeit nicht möglich und die sozialen Kontakte am Arbeitsplatz sind in vielen Betrieben zum Schutz vor Übertragungen sehr stark eingeschränkt worden. Zu intensiveren sozialen Interaktionen zwischen Zuwanderern und Einheimischen kommt es vor diesem Hintergrund fast nur noch, wenn diese gemeinsam eine Familie oder einen sehr engen Freundeskreis bilden. In besonderem Maße betrifft dies die kleineren Kinder, die die digitalen Kommunikationsmittel noch nicht sinnvoll einsetzen können. Sollten diese Kontaktbeschränkungen längere Zeit in Kraft bleiben, könnte das Fehlen von Erfahrungen gelebter Gemeinsamkeit dazu führen, dass sich das Verhältnis zwischen Zuwanderern und Einheimischen auch nachhaltig verändert.
Negative Auswirkungen auf die Sprachfähigkeiten
Durch das Wegbrechen der sozialen Kontakte außerhalb des eigenen Haushalts haben viele Zuwanderer derzeit kaum Gelegenheit, Deutsch zu sprechen und ihre Sprachfähigkeiten zu verbessern. Letztlich betrifft dies alle Personen, in deren Haushalt überwiegend eine Fremdsprache gesprochen wird, was einer eigenen Auswertung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP; Goebel et al., 2019) zufolge im Jahr 2017 auf rund 7,8 Millionen Personen in Deutschland zutraf, von denen 2,1 Millionen minderjährig, 5,0 Millionen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren und 770.000 über 64 Jahre alt waren. Dies entspricht Bevölkerungsanteilen von insgesamt 9,5 Prozent, 15,8 Prozent bei den Minderjährigen, 9,7 Prozent bei den 18- bis 64-Jährigen und 4,3 Prozent bei den Älteren. Fasst man die Altersgruppen noch enger, findet sich, wie die Abbildung zeigt, mit 19,4 Prozent ein besonders hoher Anteil bei den unter Sechsjährigen (SOEP_V35; eigene Berechnungen). Zu diesem Wert ist allerdings anzumerken, dass auch die meisten Kinder in Haushalten, in denen überwiegend eine andere Sprache gesprochen wird, von ihren Eltern an das Deutsche herangeführt werden. So bekamen im Jahr 2017 rund 24 Prozent der Fünf- bis Sechsjährigen in diesen Haushalten täglich und nur 21 Prozent nie Geschichten auf Deutsch vorgelesen oder erzählt (SOEP_V35; eigene Berechnungen).
Auch ist darauf hinzuweisen, dass eine nichtdeutsche Haushaltssprache keinesfalls mit schlechten Deutschkenntnissen gleichgesetzt werden kann. So gaben nur 38,3 Prozent der in diesen Haushalten lebenden Personen zwischen 18 und 64 Jahren an, nicht gut deutsch sprechen zu können. Insgesamt lag die Zahl der Personen ohne gute deutsche Sprechfähigkeiten in dieser Altersgruppe im Jahr 2017 bei 2,7 Millionen, was 5,3 Prozent der Bevölkerung entspricht. Für die Lesefähigkeiten finden sich sehr ähnliche Werte, wohingegen die Lage beim Schreiben etwas schlechter ist. Betrachtet man nur die Eltern von Kindern im Alter unter 12 Jahren, war der Anteil der Personen ohne gute Sprechfähigkeiten mit 8,8 Prozent allerdings deutlich höher. Wechselt man die Perspektive, hatten 1,0 Millionen Kinder im Alter unter 12 Jahren Mütter, die nicht gut deutsch sprechen, was einem Anteil von 11,6 Prozent entspricht.
Gerade bei den kleineren Kindern kann sich das Fehlen von Kontakten zu Personen, die gut Deutsch sprechen, negativ auf den Spracherwerb auswirken. Sind die Defizite so gravierend, dass die Kinder nach dem Schuleintritt Probleme haben, dem Unterricht zu folgen, können auch ihre langfristigen Bildungschancen beeinträchtigt werden. Daher ist es grundsätzlich sehr zu begrüßen, dass die Länder die Kitas für Kinder aus nichtdeutschsprachigen Familien bereits früher wieder öffnen wollen. Allerdings ist davon auszugehen, dass nur wenige dieses Angebot auch tatsächlich annehmen werden. Anders als etwa bei den Alleinerziehenden dürften bei diesen Familien nämlich meist keine gravierenden Betreuungsengpässe bestehen, was sich auch daran festmachen lässt, dass Kinder mit Migrationshintergrund unter normalen Umständen meist erst relativ spät eine Kita besuchen (Anger / Geis-Thöne, 2018). Vor diesem Hintergrund ist vielmehr sogar zu befürchten, dass viele zugewanderte Familien ihre Kinder aus Angst vor einer Ansteckung auch nach der kompletten Wiederöffnung noch länger nicht in die Kita schicken werden. Daher ist gerade in der aktuellen Situation eine Sensibilisierung der Familien für die Bedeutung der vorschulischen Bildung und der Kontakte zu Muttersprachlern wichtig.
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