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Thomas Puls IW-Kurzbericht Nr. 27 23. März 2022 Logistiksektor im Krisenmodus

Russlands Überfall auf die Ukraine ist dabei, die Welthandelsströme deutlich zu verändern. Russland wird von den Logistiknetzen abgekoppelt und zahlreiche Lieferketten müssen umgelenkt werden. Die Folgen belasten die Logistikbranche sehr stark. Sie reichen von drastisch steigen Charterraten für Tanker bis hin zu möglichen Versorgungsengpässen, wenn ukrainische Lkw-Fahrer ihre Arbeitsplätze verlassen, um ihre Heimat zu verteidigen. Betroffen sind alle Verkehrsträger, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.

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Logistiksektor im Krisenmodus
Thomas Puls IW-Kurzbericht Nr. 27 23. März 2022

Logistiksektor im Krisenmodus

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Russlands Überfall auf die Ukraine ist dabei, die Welthandelsströme deutlich zu verändern. Russland wird von den Logistiknetzen abgekoppelt und zahlreiche Lieferketten müssen umgelenkt werden. Die Folgen belasten die Logistikbranche sehr stark. Sie reichen von drastisch steigen Charterraten für Tanker bis hin zu möglichen Versorgungsengpässen, wenn ukrainische Lkw-Fahrer ihre Arbeitsplätze verlassen, um ihre Heimat zu verteidigen. Betroffen sind alle Verkehrsträger, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.

Der russische Überfall auf die Ukraine wirkt sich bereits auf die Welthandelsströme aus. In hohem Tempo werden etablierte Lieferketten und Transportwege gekappt oder umstrukturiert. Die Folgen sind dabei nicht auf das eigentliche Kriegsgebiet beschränkt, sondern sind dabei, sich global auszuwirken. Über alle Verkehrsträger hinweg gibt es zwei wiederkehrende Aspekte. Zum einen ist Russland praktisch über Nacht zum meist sanktionierten Land der Welt geworden. Mehr als 5.500 Sanktionen sind inzwischen gegen Russland in Kraft, davon wurden gut 3.000 seit dem 23. Februar erlassen. Das sind mehr als gegen Syrien oder Nordkorea insgesamt bestehen. Damit ist die Zahl der von Logistikern im Zusammenhang mit Russland zu beachtenden Regeln enorm gestiegen. Das hat zur Folge, dass Transporte nach oder über Russland fast nur über Einzelabfertigungen erfolgen können. Allerdings ist die Nachfrage nach solchen Transporten auch deutlich gesunken. Zahlreiche wichtige Logistikunternehmen koppeln das Land von den bestehenden Logistiknetzen ab. Zeitgleich ziehen sich zunehmend auch die bisherigen Verlader aus dem Russlandgeschäft zurück und müssen viele Lieferketten neu ausrichten. Diese Gemengelage betrifft die einzelnen Verkehrsträger recht unterschiedlich.   

Luft- und Schienenverkehr

Die neu eingeführten Sanktionen haben spürbaren Einfluss auf den Luft- und Schienenverkehr von Europa nach Asien. Der Hauptkorridor der „Neuen Seidenstraße“ läuft weitgehend durch Russland und erreicht dann über Belarus die polnische Grenze. Vor dem Krieg boomte gerade der Containerverkehr mit hochwertigeren Gütern auf dem Schienenweg. Der größte Wettbewerbsvorteil der Schiene lag darin, dass sie größere Mengen in weniger als zwei Wochen nach China schaffen konnte. Ein Vorteil, den beispielsweise Autobauer nutzten, um Getriebe und ähnliche Frachten dorthin zu bringen. Mit Beginn des Krieges fallen viele der bisher transportierten Güter unter die Sanktionsregeln. Zudem weigern sich viele Logistiker und Verlader, mit der russischen Staatsbahn Geschäfte zu machen, sodass eine Buchung von Verkehren derzeit kaum möglich ist, auch wenn der Schienentransit über Belarus läuft und damit nicht direkt durch Kriegshandlungen bedroht ist. Da auch die Verlader die Transporte umgeleitet sehen wollen, können selbst die chinesischen Disponenten kaum mehr auf die Schienenverbindung zurückgreifen. Derzeit werden sporadisch erste Verbindungen auf dem sogenannten Südkorridor über die Türkei und Kasachstan angeboten, diese bieten aber kaum mehr einen Geschwindigkeitsvorteil und auch die Kapazitäten dürften sehr begrenzt sein. In Summe ist ein erheblicher Teil des Projekts „Neue Seidenstraße“ in Frage gestellt.

Im Luftverkehr sind vor allem steigende Preise zu erwarten. So ist der russische Luftraum für Flugzeuge vieler Staaten gesperrt und muss umflogen werden. Das sorgt etwa auf der Strecke Frankfurt – Tokio für einen Umweg von mehr als 1.000 Kilometern mit entsprechend höherem Spritverbrauch, wodurch auch mit steigenden Kerosinpreisen zu rechnen ist. Das träfe dann auch die arabischen und chinesischen Maschinen, welche weiterhin über Russland fliegen dürfen. Hinzu kommt ein durch den reduzierten Personenverkehr bereits geschrumpftes Angebot an Frachtraum, denn große Teile des Frachtaufkommens wurde vor Corona über ungenutzten Laderaum in Passagierflugzeugen abgewickelt, so dass der reduzierte Passagierverkehr ebenfalls Folgen für die Frachtflüge hat. Durch diesen Effekt waren die Frachtflugzeuge schon vor dem Krieg stark ausgelastet und jetzt sorgen die längeren Strecken auch für geringere Zuladungen pro Flugzeug.    

 

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Charterraten für Tanker sprunghaft gestiegen

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Seeverkehr

Die Masse der Welthandelsströme werden per Schiff abgewickelt. Das direkt vom Krieg betroffene Schwarze Meer liegt eher am Rand der Hauptschifffahrtsrouten, auch wenn es eine der wichtigsten Verladeregionen für Weizen ist und auch über Verladeterminals für russisches Öl verfügt. Dennoch sitzen seit Kriegsbeginn über 100 Schiffe in Häfen der beiden Kriegsparteien fest und es wurden auch schon Frachter beschossen.

Gravierender sind die Folgen des Rückzuges der meisten großen Logistikunternehmen, die schon in allen russischen Häfen spürbar sind. Bereits im Februar verzeichnete das Kieler Institut für Weltwirtschaft einen Exportrückgang über den Hafen von Sankt Petersburg um 17 Prozent. Dieser Effekt verstärkt sich in der ersten Märzwoche deutlich. Über alle russischen Häfen wurde ein Rückgang der in Russland angelandeten Waren gegenüber der letzten Woche vor Kriegsbeginn von 40 Prozent gemeldet (Trans-info, 2022). Besonders groß ist der Rückgang bei Konsumgütern gewesen, wo die über See eingeführte Menge um 57 Prozent sank. Die für Russlands Handelsbilanz wichtige Verschiffung von Öl und Gas sank in der ersten Kriegswoche um 12 Prozent.
Hier zeichnet sich bereits ab, dass gerade auch die Welthandelsströme für Mineralöle infolge des Kriegs massiv umstrukturiert werden. Die großen westlichen Ölkonzerne haben ihren Abschied vom Russlandgeschäft verkündet und wollen nach Möglichkeit kein russisches Öl mehr abnehmen. Als Folge dieses Rückzugs wurde das russische Öl ab der Ostseeküste zum Ladenhüter. Mit einem Preis von gut 80 Dollar pro Fass am 15. März 2022 war es das wohl billigste Öl auf dem Weltmarkt. Die Preisdifferenz zum Brent lag bei etwa 25 Dollar pro Fass. Ein weiterer Effekt des Rückzugs der Ölkonzerne aus Russland sind global steigende Transportkosten für Öl, da die europäische Ölnachfrage verstärkt aus weiter entfernt liegenden Quellen bedient werden muss. Es werden also mehr Tanker auf längeren Strecken benötigt. Dies zeigt sich daran, dass sich die Charterraten für Öltanker (Dirty-Tanker-Index) in zwei Wochen verdoppelt haben. Bei den Tankern für Mineralölprodukte (Clean-Tanker-Index) war ebenfalls ein massiver Anstieg zu verzeichnen. Dieser ist aber geringer ausgefallen als bei den Öltankern. Das dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass es bei verarbeitetem Mineralöl und gerade bei Diesel weniger alternative Lieferanten gibt als bei Rohöl. Mit steigenden Charterraten wird wegen der Verlagerung von bisher auf der Seidenstraße transportierten Gütern auch bei Containerschiffen gerechnet.    

Straßengüterverkehr

Da der Straßengüterverkehr vor allem auf kürzeren Distanzen genutzt wird, ist er von Sanktionsregeln und dem Streichen von Verbindungen weniger betroffen. Schwer getroffen wird er hingegen von den sehr hohen Dieselpreisen. Von bereits hohem Niveau ausgehend stieg der deutsche Preis für Dieselkraftstoff in nur zwei Wochen um gut 65 Cent oder 40 Prozent an. Dass der Dieselpreis so stark auf den Krieg reagierte, ist darauf zurückzuführen, dass Europa große Mengen Diesel aus Russland importierte (Puls, 2022) und diese Mengen nun durch den Rückzug der großen Ölfirmen aus Russland entfallen könnten. Auch wenn die Preise für Diesel gerade wieder fallen stellt das aktuelle Preisniveau für viele der traditionell margenschwachen Transportunternehmen eine Existenzbedrohung dar, wenn sie nicht in der Lage sind, die entstehenden Kosten auf die Verlader zu überwälzen. Es kommt erschwerend hinzu, dass die Zeichen im Straßengüterverkehr schon vor dem Krieg auf höhere Preise standen, da sich das Frachtangebot gegenüber dem Vorjahr deutlich erhöht hatte und die Kapazitäten weitgehend ausgelastet waren. Somit ist mit einem deutlichen Anstieg der Transportpreise auf der Straße zu rechnen, was sich zwangsläufig in allen Verbraucherpreisen niederschlagen wird.

Neben dem Kostenschub ist die Straße zudem mit einem Kapazitätsrisiko konfrontiert. Hintergrund ist der schon vor dem Krieg spürbare Mangel an Lkw-Fahrern (Burstedde, 2021). Dieser kann sich noch einmal spürbar verschärfen, wenn ukrainische Fahrer in die Heimat zurückkehren. Zwar sind weniger als 1.000 ukrainische Fahrer in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt, aber in Polen und Litauen sieht die Lage anders aus. In Polen sind nach Angaben polnischer Verbände etwa 100.000 Ukrainer als Lkw-Fahrer angestellt, was etwa ein Drittel aller Fahrer ist. Ähnlich hoch sollen die Anteile in Litauen sein. Polnische und litauische Lkws hatten im letzten Jahr einen Anteil von etwa 23 Prozent an der mautpflichtigen Fahrleistung auf den Autobahnen (BASt, 2022). Demnach ist davon auszugehen, dass gut sieben Prozent der Autobahntransporte in Deutschland von Ukrainern gefahren werden. Sollten diese im großen Stil wegfallen, wird es auf dem Arbeitsmarkt keinen Ersatz geben und es kann dazu kommen, dass Transporte nicht mehr durchgeführt werden können. Eine Situation wie sie letztes Jahr in Großbritannien entstand, als die osteuropäischen Fahrer wegen des Brexits das Land verlassen mussten.

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