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Simon Gerards Iglesias IW-Kurzbericht Nr. 81 30. September 2022 Rohstoffpartnerschaft mit Lateinamerika: Kooperationen in Zeiten globaler Krisen

Die Wahl zum Staatspräsidenten in Brasilien lässt die westliche Welt auf eine Region blicken, die sonst weniger Aufmerksamkeit bekommt. Dabei verfügen viele lateinamerikanische Staaten nicht nur über große Rohstoffvorkommen, sondern weisen auch eine hohe Demokratiedichte auf und könnten somit zu einem verlässlicheren Partner werden. Die vergleichsweise friedliche und konfliktfreie Region sollte von Deutschland und Europa aus wirtschaftlichen und politischen Gründen eine größere Rolle in den Wirtschaftsbeziehungen spielen.

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Kooperationen in Zeiten globaler Krisen
Simon Gerards Iglesias IW-Kurzbericht Nr. 81 30. September 2022

Rohstoffpartnerschaft mit Lateinamerika: Kooperationen in Zeiten globaler Krisen

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Wahl zum Staatspräsidenten in Brasilien lässt die westliche Welt auf eine Region blicken, die sonst weniger Aufmerksamkeit bekommt. Dabei verfügen viele lateinamerikanische Staaten nicht nur über große Rohstoffvorkommen, sondern weisen auch eine hohe Demokratiedichte auf und könnten somit zu einem verlässlicheren Partner werden. Die vergleichsweise friedliche und konfliktfreie Region sollte von Deutschland und Europa aus wirtschaftlichen und politischen Gründen eine größere Rolle in den Wirtschaftsbeziehungen spielen.

Die politische Weltordnung ist derzeit hohen Volatilitäten mit großen Veränderungen ausgesetzt. In einer Phase, in der sich eine neue systemische Bipolarität zwischen demokratisch-marktwirtschaftlichen und autoritär-staatskapitalistischen Systemen herauskristallisiert, lösen sich alte Wirtschaftsbeziehungen auf (EU-Russland) oder stehen vor neuen Herausforderungen (EU-China). Die Bundesregierung hat kurz nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine betont, dass Länder des Globalen Südens zukünftig mehr Aufmerksamkeit verdienen würden, nicht zuletzt, um sich unabhängiger von einzelnen Ländern zu machen  (BMZ, 2022). Die Konfrontation mit Russland und zunehmend auch mit China hat der deutschen Politik vor Augen geführt, dass der Glaube an Wandel durch Handel und an apolitische Wirtschaftsbeziehungen eine Illusion waren.

Die Abkehr von globalen Handelsnetzen ist aber für die deutsche Wirtschaft nicht nur aufgrund ihrer Exportorientierung abzulehnen. Der fehlende Zugang zu natürlichen Rohstoffen ist ein fundamentaler Nachteil der EU gegenüber China und den USA (Bardt et al. 2022). Fallen bisherige Handelspartner aufgrund von geopolitischen Konfrontationen aus, müssen neue, verlässlichere Partner gefunden werden und Abhängigkeiten reduziert werden. „Friendshoring“ lautet die neue Strategie in den Auslandswirtschaftsbeziehungen und zeigt in den Bemühungen der Bundesregierung um Investitionsprojekte in rohstoffreichen Ländern bereits Wirkung  (Auswärtiges Amt, 2022).

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Lateinamerika gerät hierbei immer stärker ins Blickfeld der deutschen und europäischen Politik. Für die EU könnte eine stärkere wirtschaftliche Kooperation mit Lateinamerika, die in beidseitigem Interesse liegt, schnell Früchte tragen. Die Region gibt mit vielen ihrer Eigenschaften Antworten auf die aktuellen Fragen und Unsicherheiten der deutschen und europäischen Außenwirtschaftspolitik. Mehrheitlich handelt es sich um demokratisch verfasste Staaten (16 von 21 Ländern erreichen ein mittleres oder hohes Scoring im Global Freedom Status, Freedom House, 2022) in einer friedlichen Region (kein zwischenstaatlicher Territorialkrieg seit 1935). Zu den ehemaligen Kolonialmächten Spanien und Portugal besteht ein traditionell enges Verhältnis (Iberoamerika-Gipfel) und durch eine europäische Einwanderungsgeschichte steht die Region Europa kulturell sehr nahe.

Zudem sind die südamerikanischen Staaten schon lange wichtige Rohstofflieferanten Europas, angefangen mit Getreide und Kautschuk über Salpeter und Holz bis hin zu Lithium. Der Export von Rohstoffen ist für viele lateinamerikanische Staaten der anteilig größte Posten in der Exportbilanz (Zaga et al., 2022).

Die obenstehende Abbildung zeigt die Anteile der lateinamerikanischen Staaten an der weltweiten Produktion sogenannter kritischer Rohstoffe sowie die Anteile dieser Länder an den weltweit geschätzten Reserven. Rohstoffe werden als kritisch bezeichnet, wenn ein hohes Versorgungsrisiko besteht, hier konkret bezogen auf die deutsche Industrie (vbw, 2021). Etliche dieser Rohstoffe sind als Brückentechnologie (Schiefergas) oder Schlüsseltechnologien (Lithium, Kobalt, Selen) einzustufen, die in Zukunft eine noch wichtigere Rolle als Vorprodukte für die deutsche Industrie bei der Dekarbonisierung spielen dürften.

Das Diagramm zeigt, dass der Anteil an der weltweiten Förderung bei vielen dieser Rohstoffe geringer ist als der Anteil an den Reserven. So trägt Peru nur 2 Prozent zur weltweiten Förderung von Selen (Rohstoff für die Chemie, Elektronik, Metallurgie) bei aber besitzt über 13 Prozent der weltweiten Reserven. Große Reserven an Lithium – essentiell für Akkus und die Elektromobilität – liegen in Chile und Argentinien, wo der Anteil an der aktuellen Förderung weit unterhalb des Potentials liegt. Allein Chile hat mit einem weltweiten Anteil von knapp 42 Prozent der vermuteten Lithiumreserven eine herausragende Stellung in der Produktion dieses Rohstoffes inne. Argentinien steht mit einem Anteil von 10 Prozent an dritter Stelle.

Aber auch für klassische Rohstoffe wie Eisenerz und Silber – seit über 500 Jahren in Peru abgebaut – besteht ein Potentialpfad nach oben. Dies gilt ebenfalls für den Abbau von Schiefergas in Argentinien, das seine Vorkommen noch nicht infrastrukturell erschlossen hat. Dazu kommt das hohe Potential an der Produktion für Wasserstoff in dieser Region. Chile hat bereits eine nationale Wasserstoffstrategie beschlossen, Argentinien sticht mit hohem Wachstumspotenzial für grünen Wasserstoff heraus (IRENA, 2022).

Um die Potenziale einer Produktionsausweitung zu nutzen, bedarf es Investitionen, die einerseits durch den derzeitigen Zufluss an Devisen von einigen lateinamerikanischen Staaten selbst getätigt werden könnten (Zaga et al., 2022). Andererseits baut China über Direktinvestitionen seit 2010 sukzessive seinen Einfluss in der Region aus und sichert sich den Zugriff auf Rohstoffe. Dies geschieht vor allem über grenzüberschreitende M&A Deals im Minen-, Energie- und Verkehrsinfrastrukturbereich (ECLAC, 2021).  

Deutschland ist hinter Spanien und Frankreich im Jahr 2020 nur der drittgrößte europäische Investor in Lateinamerika und der Karibik, mit einem starken Einbruch infolge der Corona-Pandemie. Die lateinamerikanischen Staaten sind allerdings keine homogene Staatengruppe und pflegen nicht alle ein freundschaftliches Verhältnis zum Westen, sodass Investitionen auch Risiken darstellen. Venezuela ist durch Sanktionen isoliert und keinen seinen großen Erdölschatz aufgrund von Misswirtschaft nicht fördern. Zu Kuba kam es mit der Eröffnung eines deutschen Wirtschaftsbüros 2018 zu einer Annäherung. Andere Länder wie Bolivien und Peru leiden unter Populismus und Korruption, was eine nachhaltige Wirtschaftsbeziehung verkompliziert.

Derzeit erlebt Lateinamerika einen politischen Linksrutsch, was die zukünftige Beziehung zum Westen ambivalent hält. Die Linke Lateinamerikas ist tendenziell protektionistisch und hat traditionell eine kritische Haltung gegenüber dem Westen, sodass die Länder sich kaum für exklusive Wirtschaftsprojekte einspannen lassen werden. Vielmehr bewegen sie sich wechselseitig zwischen staatskapitalistischen Autokratien und marktwirtschaftlichen Demokratien und scheuen auch nicht davor, Chinas Belt-and-Road-Initiative beizutreten oder Russland um finanzielle Unterstützung zu bitten.

Daher ist es umso drängender, den Einfluss Europas in der Region zu stärken, in dem die Politik Handelsabkommen voranbringt, um Unternehmen das Erschließen dieser Märkte zu erleichtern (Auswärtiges Amt, 2022). Dazu gehört auch eine rasche Ratifikation des EU-Mercosur Abkommens, dessen Umsetzung aufgrund von europäischen Umweltbedenken bislang verzögert wurde. Fällt die anstehende Wahl in Brasilien zugunsten des linksgerichteten Lula da Silva aus, eröffnet sich aber eine neue Dimension der Klimapartnerschaft.

Wandel durch Handel mag gescheitert sein, jedoch darf die Globalisierung nicht abgewickelt werden. Will man nachhaltige Effekte auf Wirtschaftsbeziehungen und politische Annäherung erreichen, könnte ein neuer Grundsatz aber Wandel durch Investitionen lauten.  

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