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Kooperationscluster Makroökonomie und Konjunktur* IW-Kurzbericht Nr. 68 11. September 2024 Licht und Schatten der deutschen Konjunktur: IW-Konjunkturprognose Herbst 2024

Das reale Bruttoinlandsprodukt wird in Deutschland im Jahr 2024 allenfalls das Vorjahresvolumen erreichen. Dabei gibt es moderate Zuwächse beim Konsum, da sich die Inflationsrate bei gut 2 Prozent normalisiert.

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IW-Konjunkturprognose Herbst 2024
Kooperationscluster Makroökonomie und Konjunktur* IW-Kurzbericht Nr. 68 11. September 2024

Licht und Schatten der deutschen Konjunktur: IW-Konjunkturprognose Herbst 2024

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Das reale Bruttoinlandsprodukt wird in Deutschland im Jahr 2024 allenfalls das Vorjahresvolumen erreichen. Dabei gibt es moderate Zuwächse beim Konsum, da sich die Inflationsrate bei gut 2 Prozent normalisiert.

Dem stehen starke Rückgänge bei den Investitionen gegenüber. Der Außenhandel leidet unter der schwachen Weltwirtschaft. Positive Wirtschaftsimpulse aus dem Dienstleistungssektor verhindern eine schwere Rezession in Deutschland, denn in der Industrie und der Bauwirtschaft sind deutliche Rückgänge zu sehen. Die Beschäftigung wird in diesem Jahr im Dienstleistungssektor ansteigen, zugleich nimmt aber auch die Arbeitslosigkeit auf 6 Prozent zu.

Dienstleister verhindern Rezession

Der bisherige konjunkturelle Verlauf in Deutschland im Jahr 2024 enttäuscht, er bestätigt jedoch die bereits nicht guten Erwartungen für dieses Jahr (Bardt et al., 2024). Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag im zweiten Quartal 2024 lediglich auf dem Niveau des vierten Quartals 2019, also vor den großen Belastungen durch die Corona-Pandemie. Nach der zwischenzeitigen Erholung ist seit Anfang 2022 keine konjunkturelle Bewegung mehr zu sehen. Der Krieg in der Ukraine und weitere geopolitische Konflikte belasten die Weltwirtschaft und besonders die deutsche Wirtschaft.

Im ersten Halbjahr 2024 lag das reale BIP in Deutschland um 0,2 Prozent unter dem entsprechenden Vorjahresvolumen. Dabei ist entstehungsseitig kein einheitliches Konjunkturbild hinterlegt.

Auf der einen Seite waren in den ersten sechs Monaten im Produzierenden Gewerbe (–2,8 Prozent) und im Baugewerbe (–3,4 Prozent) deutliche Rückgänge gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Die globale Nachfrage nach Industriewaren leidet direkt unter den geopolitischen Konflikten und der dadurch gedämpften Weltwirtschaft (Grömling, 2024). Die schwache Inlandsnachfrage reflektiert die Investitionskrise und Konsumschwäche in Deutschland. Hinzu kommen die vielfältigen Verunsicherungen durch die Geopolitik und der unklare Kurs der Wirtschaftspolitik. Nicht zuletzt haben die Kostenschocks und die Aufwertung des effektiven Wechselkurses des Euro die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie geschwächt. Die Bauwirtschaft leidet unter hohen Finanzierungs- und Baukosten und unter der insgesamt schwachen Investitionstätigkeit aufgrund der Verunsicherungen.

Auf der anderen Seite konnte der Dienstleistungssektor im ersten Halbjahr 2024 die Vorjahresleistung um 1,6 Prozent übertreffen. Dabei gab es Zuwächse in der gesamten Breite – also bei den Unternehmensdiensten, dem konsumnahen Service sowie im öffentlichen und sozialen Bereich. Die positive Einkommensentwicklung infolge der Lohnsteigerungen und der sich normalisierenden Inflationsraten sowie die expansive Staatstätigkeit begünstigen derzeit diesen Teil der deutschen Volkswirtschaft, auf den insgesamt rund 70 Prozent der Wirtschaftstätigkeit entfallen.

Die positiven Impulse der Dienstleister verhindern eine schwere Rezession in Deutschland. Sie reichen aber nicht aus, um eine gesamtwirtschaftliche Erholung auszulösen. Ein Aufschwung wird erst einsetzen, wenn eine anhaltende Besserung in der Bauwirtschaft und vor allem in der Industrie eintritt. Und dies ist erst dann der Fall, wenn das konjunkturelle Moment nicht durch dauerhafte strukturelle Anpassungslasten überlagert wird. Die Dynamik der Weltwirtschaft und die ihr zugrunde liegende Geopolitik sowie die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft haben dabei eine zentrale zyklische Bedeutung.

Globale Erholung ohne Dynamik

Die Weltwirtschaft wird weiterhin geprägt von den geo-politischen Unwägbarkeiten. Seit den Angriffen der Huthi-Rebellen im Roten Meer müssen Containerschiffe große Umwege in Kauf nehmen. Die globalen Frachtraten haben sich vervielfacht und der Welthandel bleibt unter Druck – beides bremst den deutschen Außenhandel (Obst/Förster, 2024). Der Welthandel war im ersten Halbjahr 2024 relativ stabil und lag im Juni 2024 um 1,8 Prozent über dem Vorjahr. Die Weltproduktion zeigte im Frühjahr 2024 eine leichte Aufwärtsdynamik, sie ging zuletzt aber wieder zurück. Im Juni 2024 lag sie nur um 1,5 Prozent über dem Vorjahr. Für 2024 wird weiterhin ein Zuwachs bei der Weltwirtschaft von 2 ½ Prozent erwartet, der Welthandel wird real nach einer leichten Aufwärtsrevision nur um 1 ½ Prozent zulegen.

Positive Wachstumsimpulse kommen aus den USA. Das reale BIP ist dort in den ersten beiden Quartalen 2024 trotz restriktiver Geldpolitik kräftig gewachsen. Jedoch stieg die Arbeitslosenrate im Juli auf 4,3 Prozent. Zusammen mit einer starken Aufwertung des japanischen Yen gegenüber dem US-Dollar im Juli und dem anschließenden Ausverkauf von US-Tech-Aktien sorgte das für Turbulenzen an den Börsen. Dennoch sind Rezessions-ängste überzogen. Für 2024 wird weiterhin ein US-Wachstum von 2 ½ Prozent erwartet. In China läuft die Konjunktur durch den Einbruch am Immobilienmarkt und den schwachen Konsum sehr gedämpft und für 2024 wird nur mit einem Wachstum von 4 ½ Prozent gerechnet. Fallende Preise und Überkapazitäten sind Ausdruck der schwachen Binnennachfrage. Aufwärtstrieb könnten die Zinssenkungen der chinesischen Zentralbank und die deutlich dynamischen Exporte geben. Allerdings wird Chinas Außenhandel zukünftig durch höhere Zölle der USA und EU gebremst.

Im Euroraum belastet bislang die hohe Inflation die Konjunktur. Die Kerninflationsrate lag zuletzt mit 2,9 Prozent deutlich oberhalb des Inflationsziels der Europäischen Zentralbank (EZB). Die verschlechterten Wettbewerbsbedingungen und die globale Nachfrageschwäche schwächen die Industrieproduktion. Diese sinkt seit Frühjahr 2023 und lag im Juni 2024 rund 4 Prozent unter dem Vorjahr. Das Wachstum ist in den einzelnen Ländern uneinheitlich: Spanien liegt am oberen Ende, Italien und Frankreich liegen in der Mitte und Deutschland bleibt am unteren Ende. Vorlaufindikatoren deuten auf eine konjunkturelle Verlangsamung in der zweiten Jahreshälfte 2024 hin. Insgesamt wird der Euroraum im Jahr 2024 moderat mit ¾ Prozent wachsen.

In Antizipation der rückläufigen Preisdynamik leitete die EZB bereits im Juni 2024 eine Wende ihrer Geldpolitik ein und senkte die Leitzinssätze um jeweils 25 Basispunkte. Die jüngsten Inflationszahlen legen nahe, dass die EZB potenziellen Spielraum für weitere Zinssenkungen bis Ende 2024 gewinnen kann.

Zunehmende Investitionskrise im Inland

Die Differenzierung der deutschen Konjunktur im ersten Halbjahr 2024 auf der Entstehungsseite – Einbrüche in der Industrie und Bauwirtschaft versus Zuwächse in der Dienstleistungsökonomie – wird auch beim Blick auf die Nachfrageseite sichtbar. Während der Außenhandel und vor allem die Investitionstätigkeit rückläufig waren, gab es beim Konsum und dabei vor allem beim öffentlichen Konsum einen Anstieg. Dieses in den ersten sechs Monaten sich abzeichnende Konjunkturbild wird auch das Gesamtjahr 2024 prägen. Das reale BIP wird in diesem Jahr allenfalls auf dem Niveau des Vorjahres liegen. Damit wird die gesamtwirtschaftliche Einschätzung vom Frühjahr 2024 (Bardt et al., 2024) bestätigt, jedoch mit teils merklichen Veränderungen in den Nachfrageaggregaten.

Außenhandel: Im ersten Halbjahr 2024 waren die preisbereinigten Exporte (–0,9 Prozent) und vor allem die Importe (–2,6 Prozent) deutlich rückläufig. Die Auswirkungen der gedämpften Weltwirtschaft auf die Ausfuhren überraschen nicht. Die deutlich stärker rückläufigen Importe spiegeln die merklich schlechter verlaufende Inlandsnachfrage wider. Im Gesamtjahr 2024 werden die realen Exporte gegenüber dem Vorjahr um 1 Prozent zurückgehen. Bei den preisbereinigten Importen ist ein Rückgang von 2 Prozent zu erwarten. Infolge des stärkeren Rückgangs bei den Einfuhren fällt der Außenbeitrag im Vergleich zur Frühjahrsprognose höher aus, was wiederum die konjunkturelle Dynamik begünstigt. Dies ist ein statistischer Effekt und kein in wirtschaftlicher Hinsicht positiv zu wertender Erfolg.

Investitionen: Bei den gesamten Bruttoanlageinvestitionen wird für dieses Jahr nunmehr von einem stärkeren Rückgang (–3 Prozent) ausgegangen, als im Frühjahr (–1 ½ Prozent) zu erwarten war. Das schlechte Auslandsgeschäft, die anhaltend hohen wirtschaftlichen und politischen Verunsicherungen sowie die hohen Finanzierungskosten belasten die Investitionen stärker als zunächst angenommen. Bei den realen Ausrüstungsinvestitionen wird für das Jahr 2024 ein Rückgang von rund 5 ½ Prozent prognostiziert. Bei den Bauinvestitionen wird ein Minus von fast 4 Prozent erwartet. Damit liegen diese beiden Investitionsbereiche in diesem Jahr um rund 10 Prozent unter dem Jahreswert von 2019.

Konsum: Der gesamte Konsum lag im ersten Halbjahr um 1 Prozent über dem Vorjahr. Dazu haben vor allem die ansteigenden öffentlichen Konsumausgaben (+2,2 Prozent) beigetragen. Beim privaten Konsum war der Zuwachs mit 0,4 Prozent eher verhalten. Die rückläufigen Inflationsraten, wobei für das Jahr 2024 ein Anstieg der Verbraucherpreise von gut 2 Prozent erwartet wird, beleben in Kombination mit den deutlichen Lohnzuwächsen den privaten Konsum auch weiterhin. Dämpfend wirken aber auch hier die allgemeine Verunsicherung und die damit einhergehende Vorsicht. Der private Konsum wird preisbereinigt im Jahr 2024 das Vorjahres-niveau nur um gut ½ Prozent übertreffen. Der reale Staatskonsum legt um gut 1 ½ Prozent zu.

Beschäftigung und Arbeitslosigkeit steigen

Trotz Stagnation wächst die Erwerbstätigkeit im Jahresdurchschnitt 2024 um gut ¼ Prozent. Erstens profitierte die Erwerbstätigkeit von einem Überhang aus dem Vorjahr. Zweitens halten die Unternehmen mehr Beschäftigte, als sie auslasten können, um sich für kommende demografische Knappheiten zu rüsten. Drittens können die staatsnahen Dienstleistungsbereiche Verwaltung, Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialwesen die Beschäftigungsverluste der Industrie überkompensieren. Da die Arbeitszeit pro Kopf nur geringfügig sinkt, geht die Stundenproduktivität im zweiten Jahr in Folge zurück. Dies liegt unter anderem an den strukturellen Verschiebungen zwischen Industrie und Dienstleistungen. Da die Zuwanderung weiter anhält, steigt die Arbeitslosigkeit auf knapp 2,8 Millionen Personen und die Arbeitslosenquote auf 6 Prozent.

Sinkendes Staatsdefizit

Trotz der Konjunkturflaute und den daraus resultierenden niedrigeren Steuereinnahmen wird das deutsche Staatsdefizit in diesem Jahr sinken. Ein Grund sind automatisch rückläufige Ausgaben, die noch aus der Krisenbekämpfung – zum Beispiel den Unterstützungszahlungen an Privathaushalte aus den Strom- und Gaspreisbremsen – stammen. Aber auch Sparanstrengungen werden dazu beitragen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Sondervermögen des Bundes und die Schuldenbremse tragen zu Einsparungen in allen Bereichen bei. Das Staatsdefizit wird zwischen 1 ½ und 2 Prozent des BIP liegen und die Schuldenstandsquote wird in Richtung 63 Prozent des BIP abnehmen.

* Bardt, Hubertus / Demary, Markus / Grömling, Michael / Henger, Ralph / Hentze, Tobias / Obst, Thomas / Pimpertz, Jochen / Schaefer, Thilo / Schäfer, Holger / Seele, Stefanie

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