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Melinda Fremerey / Thomas Obst IW-Kurzbericht Nr. 48 4. Juni 2022 Globalisierungskrise: Welche Abhängigkeiten bestehen bei kritischen Gütern und Rohstoffen aus China?

Die aktuellen geopolitischen Spannungen geben Anlass, die wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von China zu analysieren. Es wird deutlich, dass eine wechselseitige Abhängigkeit besteht: China ist als Zulieferer und Absatzmarkt einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands, die EU ist für China wichtigster Zulieferer und zweitwichtigster Absatzmarkt. Eine starke Abhängigkeit von China ergibt sich bei für die Energiewende kritischen Rohstoffen.

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Welche Abhängigkeiten bestehen bei kritischen Gütern und Rohstoffen aus China?
Melinda Fremerey / Thomas Obst IW-Kurzbericht Nr. 48 4. Juni 2022

Globalisierungskrise: Welche Abhängigkeiten bestehen bei kritischen Gütern und Rohstoffen aus China?

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die aktuellen geopolitischen Spannungen geben Anlass, die wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von China zu analysieren. Es wird deutlich, dass eine wechselseitige Abhängigkeit besteht: China ist als Zulieferer und Absatzmarkt einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands, die EU ist für China wichtigster Zulieferer und zweitwichtigster Absatzmarkt. Eine starke Abhängigkeit von China ergibt sich bei für die Energiewende kritischen Rohstoffen.

China wichtigster Handelspartner Deutschlands

Die Volksrepublik China ist in den letzten Jahren, gemessen am Warenhandel, zum wichtigsten Handelspartner Deutschlands aufgestiegen. Bei den Wareneinfuhren Deutschlands lag China mit 142 Milliarden Euro im Jahr 2021 an erster Stelle, gefolgt von den Niederlanden mit 105 Milliarden Euro und den USA mit nur 72 Milliarden Euro. Bei den Exporten lag es mit 104 Milliarden Euro an zweiter Stelle knapp hinter den USA.

Doch die Freude über den florierenden Warenaustausch mit China ist in den letzten Jahren immer mehr einer politischen Ernüchterung und ökonomischen Unsicherheit gewichen. Der Systemwettbewerber wird zum Systemrivalen. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und damit verbundenen wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland wird auch die geopolitische Bedeutung wirtschaftlicher Interdependenzen auf den Prüfstand gestellt. Hinzu kommt, dass der Ruf der Volksrepublik China als zuverlässiger Handelspartner und Zulieferer von wichtigen Vorleistungsprodukten und Rohstoffen durch das Lockdown-Chaos der Null-Covid-Strategie nachhaltig gefährdet scheint. Welche wechselseitigen Abhängigkeiten ergeben sich für die deutsche und chinesische Wirtschaft?

Wertschöpfungsverflechtungen beider Länder

Auf volkswirtschaftlicher Ebene zeigen Analysen direkter und indirekter Wertschöpfungsverflechtungen, dass China für Deutschland als Zulieferer und Absatzmarkt eine relativ wichtige, aber keineswegs dominierende Rolle spielt (Baur und Flach, 2022; Matthes, 2019).

Entfiel im Warenhandel Deutschlands im Jahr der Wiedervereinigung nicht mal ein Prozent auf China, sind es im Jahr 2021 9,5 Prozent. Gleichzeitig weist die Handelsbilanz Deutschlands mit China konsistent ein Handelsbilanzdefizit aus. Im Jahr 2021 übertraf der Wert der Importe den der Exporte um knapp 38 Milliarden Euro. Der deutsche Warenhandel weist aber auch mit anderen EU-Mitgliedsstaaten eine vergleichbare Dynamik auf (Baur und Flach, 2022). So liegt der Anteil des Handels mit Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn am deutschen Warenhandel im Jahr 2021 zusammen genommen 40 Prozent über dem von China.

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Auf der Einfuhrseite Deutschlands hat China bei den importierten Vorleistungen ebenfalls einen beachtlichen Anteil von 7 Prozent – anteilig an allen ausländischen Vorleistungen der deutschen Produktion – im Jahr 2018 (Baur und Flach, 2022) erlangt. Die klar dominierenden Zulieferer sind die USA (10 Prozent) und die EU (44 Prozent). Bei den Abhängigkeiten von Vorleistungsprodukten zeigt sich, das deutsche Inputs weniger Bedeutung für China haben als chinesische Güter für Deutschland. Die Bedeutung chinesischer Wertschöpfung für die deutsche Produktion lag im Jahr 2018 bei 1 Prozent wohingegen die deutsche Wertschöpfung für die chinesische Produktion lediglich 0,5 Prozent ausmacht. Für die EU ergibt sich eine ausgeglichenere Position. Die EU war im Jahr 2018 mit einem Anteil von 1,5 Prozent der wichtigste Zulieferer von Vorleistungen für China – noch vor den USA mit 1 Prozent und Japan mit etwa 0,8 Prozent. Der Anteil der gesamten deutschen Wertschöpfung der über Exporte von der ausländischen Nachfrage aus China abhängt, ist mit 2,7 Prozent relativ hoch (Baur und Flach, 2022). Zum Vergleich: Frankreich exportiert nur 1,7 Prozent seiner heimischen Wertschöpfung in die Volksrepublik. Andersherum ist China kaum auf die deutsche Nachfrage angewiesen. Der Anteil chinesischer Wertschöpfung, der nach Deutschland exportiert wird, liegt seit 1995 unter 1 Prozent. Hingegen exportiert die Volksrepublik etwa 2 Prozent seiner Wertschöpfung in die EU, rund 3 Prozent in die USA und mehr als 1 Prozent nach Japan. Es lassen sich somit drei wichtige Punkte festhalten:

  • Für China ist die EU der wichtigste Zulieferer und der zweitwichtigste Absatzmarkt.
  • Für die deutsche Wirtschaft ist die chinesische Nachfrage deutlich wichtiger als in anderen EU-Ländern.
  • China hat seine Bedeutung als Zulieferer und Absatzmarkt für Deutschland ausgebaut, ist aber selbst nur noch im abnehmenden Maße von Vorleistungsprodukten aus Deutschland angewiesen.

Bedeutung kritischer Rohstoffe aus China

Strategische Abhängigkeiten Deutschlands und der Welt bestehen vielmehr bei kritischen Rohstoffen aus China, wie die Abbildung zeigt. Je weiter rechts oben ein Rohstoff in dem Schaubild eingezeichnet ist, desto größer ist die Abhängigkeit des Weltmarktes und Deutschland von China als Lieferant dieses Rohstoffes. Für die Analyse stützen wir uns auf Daten von Comtrade der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2019.

Bei Magnesium ist der Anteil an chinesischen Exporten in die Welt und an chinesischen Importen nach Deutschland mit über 50 Prozent an dem jeweiligen Handelsvolumen dieses Rohstoffes am höchsten. China ist der weltweit größte Magnesium-Exporteur. Magnesiummetall und Legierungen werden u.a. für den Flugzeug-, Fahrzeug- und Maschinenbau oder auch in der chemischen Industrie und Düngermittelherstellung verwendet. Besonders wichtig für die Produktion von Zukunftstechnologien, wie z.B. Elektromotoren, sind Rohstoffe, die unter die Kategorie der Seltenen Erden fallen. Die Produktion von Seltenen Erden ist stark konzentriert. So werden 96 Prozent der Seltenen Erden in nur fünf Ländern gewonnen, wobei China der Hauptproduzent mit 58 Prozent ist (vbw, 2021). Chinas Exportanteil am Weltmarkt von Seltenen Erden umfasst 34 Prozent. Damit ist China auf Platz eins. In Deutschland machen chinesische Importe gemessen an allen Importen von Seltenen Erden nach Deutschland 45 Prozent aus; und die Abhängigkeit von China ist noch größer als sie auf den ersten Blick erscheint: Der Anteil der Rohstoff-Weiterverarbeitung von China liegt bei Lithium und Kobalt zwischen 50 und 70 Prozent und bei Seltenen Erden bei fast 90 Prozent (IEA, 2022). Eine Analyse der EU-Kommission (2020) zeigt, dass im strategisch wichtigen Sektor Erneuerbare Energien die Abhängigkeit zu China sehr hoch ist. So werden beispielsweise 65 Prozent der Rohstoffe für Elektromotoren aus China importiert. Auch bei Windturbinen und Photovoltaik-Anlagen ist China mit über 50 Prozent Anteil führend bei den Rohstoffzulieferungen. Bei Seltenen Erden führt es damit zu Klumpenrisiken in der Wertschöpfungskette.  

Bei Rohstoffen, wie Baryt, Wolfram, Glimmer und Tantal ist die Abhängigkeit von China geringer als bei den Seltenen Erden, jedoch ist China hier ebenfalls unter den Top zwei der Weltexporteure dieser Rohstoffe. Während bei Rohstoffen wie Zirkon und Kadmium China einen Anteil am Weltexport von unter 15 Prozent verzeichnet, liegt der Anteil von chinesischen Importen an allen deutschen Importen dieser Rohstoffe bei über 20 Prozent. Bei Rohstoffen Phosphat und Lithium ergeben sich wiederrum relativ hohe chinesische Exportanteile am Welthandel, während sich der Importanteil von China nach Deutschland an den Gesamtimporten dieser Rohstoffe jeweils nur auf 1 Prozent beläuft.

In den letzten Jahren haben sich ausgewogene Handelsbeziehungen zwischen Europa und China eingestellt. Deutschland ist von chinesischen Vorleistungen aber stärker abhängig als andersherum. Auch der Absatzmarkt China spielt eine bedeutsame Rolle für unser Land. Beide wirtschaftlichen Verflechtungen sind aber keineswegs dominierend. Durch die hohe Zukunftsrelevanz und die geringen Substitutionsmöglichkeiten ergibt sich bei bestimmten Rohstoffen, wie Seltene Erden, eine kritische Abhängigkeit der Welt und Deutschland von China. Auf dem Weg zur Unabhängigkeit von russischen Energieträgern könnte Deutschland sich also in neue Abhängigkeiten zu China begeben. Die gemeinsame Handelspolitik der EU wäre hier ein wichtiger Eckpfeiler um die eigene Position wie zuletzt im Fall Litauen nachdrücklich zu vertreten.

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