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Markus Demary / Matthias Diermeier / Michael Hüther / Markos Jung / Jürgen Matthes IW-Report Nr. 20 4. Juni 2018 Statement zur Anhörung im Bundestag: Reformen der Wirtschafts- und Währungsunion Europas

Die EU-Kommission hat verschiedene Vorschläge für Reformen der Wirtschaft- und Währungsunion vorgelegt. Während manche Ideen mehr politisch motiviert zu sein scheinen oder anreizspezifische Probleme mit sich bringen, gibt es durchaus Reformvorschläge, die sich ökonomisch begründen lassen und zur gesamteuropäischen Risikominderung beitragen können.

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Reformen der Wirtschafts- und Währungsunion Europas
Markus Demary / Matthias Diermeier / Michael Hüther / Markos Jung / Jürgen Matthes IW-Report Nr. 20 4. Juni 2018

Statement zur Anhörung im Bundestag: Reformen der Wirtschafts- und Währungsunion Europas

IW Report

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die EU-Kommission hat verschiedene Vorschläge für Reformen der Wirtschaft- und Währungsunion vorgelegt. Während manche Ideen mehr politisch motiviert zu sein scheinen oder anreizspezifische Probleme mit sich bringen, gibt es durchaus Reformvorschläge, die sich ökonomisch begründen lassen und zur gesamteuropäischen Risikominderung beitragen können.

Die Vorschläge der EU-Kommission vom 6. Dezember 2017 (Nikolauspaket) sind Teil eines längeren Prozesses auf dem Weg zur Reform der Europäischen Währungsunion (EWU). Sie bauen auf dem Fünf-Präsidentenbericht vom Juni 2015, dem Weißbuch der EU-Kommission zur Zukunft Europas vom März 2017 und auf dem Reflexionspapier der EU-Kommission vom Mai 2017 auf. Darüber hinaus hat die EU-Kommission am 2. Mai 2018 im Rahmen ihrer Vorschläge zum Mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 (MFR) ihre Vorschläge aus dem Nikolauspaket konkretisiert.

Diese Reformdiskussion ist eine Reaktion auf die Euro-Schuldenkrise und hat zum Ziel, die Krisenursachen zu bekämpfen. Dabei muss es aus unserer Sicht vor allem darum gehen, durch Strukturreformen die Wettbewerbsfähigkeit und Marktflexibilität der Euroländer zu stärken sowie neue private und staatliche Verschuldungskrisen einzudämmen, insbesondere durch Finanzmarktreformen, Vermeiden von übermäßigem Kreditwachstum und mehr finanzieller Risikovorsorge (Matthes et al., 2016).

Daneben wird von manchen Experten auch gefordert, dass die Risikoteilung zwischen den EWU-Ländern erhöht wird, um die EWU auf Dauer krisenfest zu machen. Wir sehen die Notwendigkeit dafür aus ökonomischer Perspektive als begrenzt an, weil wir die innere Funktionsfähigkeit der EWU – auch aufgrund bereits ergriffener Reformen - für deutlich besser halten, als sie zumeist dargestellt wird (Matthes/Iara, 2017). Insbesondere sehen wir keinen dringenden Bedarf für ein zentrales Instrument zur makroökonomischen fiskalischen Stabilisierung. Darüber hinaus ist fiskalische Konjunkturstabilisierung im Sinne des Subsidiaritätsprinzips vor allem eine nationale Aufgabe. In diesem Sinne ist es sehr fragwürdig, wenn einige EWU-Länder einen Stabilisierungsmechanismus fordern, selbst aber nicht bereit sind, in guten Zeiten ihre öffentlichen Haushalte auszugleichen, um hinreichende eigene fiskalische Puffer für die Bekämpfung der nächsten Krise anzulegen. Dies ist auch unverzichtbar, um die hohen Staatsschulden in einigen Euroländern mittelfristig wieder deutlich zurückzuführen und so die Gefahr von Schuldenkrisen zu mindern (Matthes, 2017a).

Sollte die Politik sich dennoch für ein solches Instrument entscheiden, muss sichergestellt sein, dass davon keine Fehlanreize ausgehen und kein Einfallstor für dauerhafte Transferleistungen geschaffen wird. Daher müssen Haftung und Kontrolle sowie Solidarität und Konditionalität Hand in Hand gehen. Zudem müssen Risiken im Bankensystem gemindert werden, bevor sie in Zukunft geteilt werden können. Dies gilt im Rahmen der Bankenunion vor allem für eine mögliche europäische Einlagensicherung oder einen fiskalischen Backstop für den einheitlichen Bankenrettungsfonds (Single Resolution Fund, SRF) beim ESM (Matthes, 2017b; Demary, 2018). Zwar hat sich durch den Single Supervisory Mechanism (SSM) der Bankenunion der Abbau der notleidenden Kredite beschleunigt. Jedoch ist deren Volumen immer noch hoch. Eine fehlende Risikominderung vor dem Beginn der gemeinsamen europäischen Einlagensicherung wäre problematisch, da die potenzielle Schieflage von großen und systemrelevanten Banken die Einlagensicherung herausfordern und zu großen Umverteilungen führen würde. Es ist aber nicht nur eine Rückführung der Altlasten erforderlich, sondern auch eine Risikovorsorge in Bezug auf zukünftige notleidende Kredite. Diese sollte Teil einer europäischen makroprudenziellen Strategie sein, welche auch die Risiken aus Staatsanleihen für die Stabilität der Banken adressieren sollte. Bei einer ausreichenden Adressierung bestehender und zukünftiger Risiken könnte über einen Überlauf für die nationalen Sicherungseinrichtungen nachgedacht werden.  

Die EU-Kommission ist mit Blick auf die Risikominderung zu wenig ambitioniert und setzt zu stark auf Risikoteilung. Dies gilt auch in einer Gesamtbewertung des Nikolauspakets (Hüther/Matthes, 2018). Darüber hinaus ist der Vorschlag sehr kritisch zu sehen, einen Europäischen Finanzminister einzuführen, der der Eurogruppe vorsitzt. Dies ist inhaltlich wenig zielführend und zeugt letztlich in erster Linie von den Machtambitionen der EU-Kommission. Die Einführung eines Europäischen Währungsfonds, indem der ESM in seiner Krisenbewältigungsfunktion gestärkt wird, wäre sinnvoll, um Krisen in Zukunft auch aus eigener Kraft überwinden zu können (Matthes, 2017b; Hüther/Matthes, 2018). Eine Eingliederung in das EU-Rahmenwerk darf aber nicht zu einer Aufweichung der Entscheidungsstrukturen und der Reformkonditionalität führen. Daher darf die EU-Kommission keinen direkten Zugriff auf den EWF bekommen und gegenüber dem Europäischen Parlament sollte der EWU ähnlich wie die EZB lediglich rechenschaftspflichtig sein.

Auch im Rahmen der Debatte über die Zukunft der EU und den neuen MFR sehen wir die Notwendigkeit für ein Instrument zur fiskalischen Stabilisierung auf EWU-Ebene als begrenzt an. Vielmehr gibt es sehr viel wichtigere Prioritäten, auf die mehr Energie und finanzielle Mittel konzentriert werden sollten (Busch/Matthes, 2018). Die Herausforderungen bei innerer und äußerer Sicherheit in Europa sind so drängend, dass die EU vor allem bei der Kontrolle der Außengrenzen, der gemeinsamen Verteidigung und der Terrorbekämpfung inhaltlich und finanziell deutlich gestärkt werden muss. Dies entspricht auch dem Subsidiaritätsprinzip, da die EU hier EU-weite öffentliche Güter erbringen und somit mehr leisten kann als die Mitgliedstaaten. Darüber hinaus muss die EU mehr in die Zukunft (grenzüberschreitende Ausgaben für Forschung, Digitales, Infrastruktur, Bildung) und weniger in althergebrachte Strukturen (Agrarsubventionen) investieren. Auch der Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI) ist dabei ein wichtiges Instrument.

Darüber hinaus schlägt die EU-Kommission im Nikolauspaket und auch in ihren jüngsten MFR-Vorschlägen mehrere Instrumente zur Förderung von Strukturreformen vor. Die Stoßrichtung, Wettbewerbsfähigkeit, Verwaltungseffizienz und Marktflexibilität in der EU zu steigern, ist dabei grundsätzlich richtig. Denn zu häufig werden sinnvolle Reformen aufgrund von politischen Widerständen nicht umgesetzt.

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Reformen der Wirtschafts- und Währungsunion Europas
Markus Demary / Matthias Diermeier / Michael Hüther / Markos Jung / Jürgen Matthes IW-Report Nr. 20 4. Juni 2018

Markus Demary / Matthias Diermeier / Michael Hüther / Markos Jung / Jürgen Matthes: Schriftliche Stellungnahme zu einer öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

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