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Markus Demary / Jürgen Matthes IW-Kurzbericht Nr. 30 26. März 2020 Auswirkungen der Corona-Krise auf die europäischen Finanzmärkte

Die Corona-Krise kann zu erheblichen Verwerfungen am europäischen Finanzmarkt führen. Die Mechanismen sind dabei ähnlich wie in der globalen Finanzkrise und der Euro-Schuldenkrise. Sie können vor allem Staaten schaden, die besonders von der Corona-Krise betroffenen sind. Als Lehre aus den in den früheren Krisenphasen gemachten Erfahrungen ist eine entschiedene und gemeinsame Reaktion der Europartner nötig. Dabei werden aktuell verschiedene Ansatzpunkte diskutiert, vom ESM über die EZB bis hin zu Corona-Gemeinschaftsanleihen.

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Auswirkungen der Corona-Krise auf die europäischen Finanzmärkte
Markus Demary / Jürgen Matthes IW-Kurzbericht Nr. 30 26. März 2020

Auswirkungen der Corona-Krise auf die europäischen Finanzmärkte

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Corona-Krise kann zu erheblichen Verwerfungen am europäischen Finanzmarkt führen. Die Mechanismen sind dabei ähnlich wie in der globalen Finanzkrise und der Euro-Schuldenkrise. Sie können vor allem Staaten schaden, die besonders von der Corona-Krise betroffenen sind. Als Lehre aus den in den früheren Krisenphasen gemachten Erfahrungen ist eine entschiedene und gemeinsame Reaktion der Europartner nötig. Dabei werden aktuell verschiedene Ansatzpunkte diskutiert, vom ESM über die EZB bis hin zu Corona-Gemeinschaftsanleihen.

Die Corona-Krise stellt global alle Länder vor herausragende soziale und ökonomische Herausforderungen. Um die gesundheitliche Gefährdung ihrer Bevölkerung durch das Corona-Virus und eine Überlastung ihres Gesundheitssystems zu verhindern, bleibt vielen Staaten nur die Möglichkeit einer sozialen Isolationsstrategie: Viele Geschäfte werden in Folge dessen vorübergehend behördlich geschlossen. Nebenwirkungen der notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Ansteckung mit dem Corona-Virus sind der Umsatzverlust bei vielen kleineren Unternehmen und Solo-Selbstständigen und mögliche Produktionsengpässe in der Industrie. Insolvenzen und Arbeitslosigkeit sollen durch umfangreiche staatliche Liquiditäts- und möglicherweise auch Solvenzhilfen begrenzt werden. Das könnte in einigen Euroländern die Schuldentragfähigkeit gefährden.

Die Sorge um die Tragfähigkeit nationaler Staatsfinanzen in Folge der Corona-Krise ist aus den folgenden Gründen gegeben:

Um die umfangreichen Finanzhilfen, Stützungsmaßnahmen und Rettungsfonds zur Krisenbekämpfung zu finanzieren, müssen die Staaten Anleihen in großen Volumina emittieren. Die Einnahmen der Staaten sinken, da ein Teil der Krisenmaßnahmen aus Steuerstundungen besteht. Zusätzlich dürften die Steuereinnahmen rezessionsbedingt sinken. Ein plötzlicher Anstieg der Risikoprämien auf Staatsanleihen, wie kürzlich bei italienischen Staatsanleihen zu beobachten war, kann die Emission von Anleihen verteuern. Im Nenner der Schuldenquote befindet sich schließlich noch das Bruttoinlandsprodukt (BIP), das aufgrund der rückgängigen Ausgaben der Haushalte, der Investitionszurückhaltung der Unternehmen und der Umsatzausfälle bei den Unternehmen einbrechen wird, und damit ebenfalls zu einem Anstieg der Staatsschuldenquoten beitragen wird.

Der Anstieg der Staatsverschuldung birgt die Gefahr von Verwerfungen an den Finanzmärkten, denen am besten jetzt schon mit geeigneten Maßnahmen entgegengewirkt wird. Dabei lassen sich verschiedene Arten von Verwerfungen unterscheiden:

Die Erfahrung während der globalen Finanzkrise und der Euro-Schuldenkrise hat gezeigt, dass auch Länder des Euroraums anfällig für Staatsschuldenkrisen sein können (und nicht nur wie zuvor Entwicklungs- und Schwellenländer). Besonders hoch verschuldete Staaten sind gefährdet. Vor allem Griechenland, Italien und Portugal haben Schuldenstände von weit über 100 Prozent des BIP. Aber auch in Frankreich, Spanien und Belgien liegt die Staatschuldenquote nur bei knapp unter 100 Prozent des BIP. Herabstufungen durch Ratingagenturen, die in der Euro-Schuldenkrise sehr rapide erfolgten, können eine sich selbst verstärkende Entwicklung hin zu einer Staatsschuldenkrise begünstigen.

Wenn Haushalte und Unternehmen ihre Kredite nicht mehr vollständig bedienen können oder einzelne Firmen in den Konkurs gehen, erleiden die kreditgebenden Banken Verluste und könnten bei mangelnder Risikovorsorge selbst in Schwierigkeiten geraten. In einem solchen Fall kann ein Teufelskreis aus Banken- und Staatsschuldenkrisen entstehen, wenn notleidende Banken vom Staat gerettet werden müssen. Auch umgekehrt kann ein Teufelskreis relevant werden. Da Banken tendenziell die Staatsanleihen ihres Sitzlandes in ihrer Bilanz haben, führen Verwerfungen an den Märkten für Staatsanleihen in der Regel zu Bewertungsverlusten bei den Banken. Auch auf diese Weise können Bankenkrisen entstehen. Wenn Banken unter Druck kommen, müssen sie zur Einhaltung ihrer regulatorischen Eigenkapitalquoten ihre Risikoaktiva verringern. Oft vergeben sie dann nur noch sehr restriktiv Kredite an Unternehmen und Haushalte. Es kommt zu einer Kreditklemme. Dies würde in der aktuellen Corona-Krise zu Zusammenbrüchen vieler Unternehmen führen, auf welche die Regierung wiederum mit staatlichen Hilfen reagieren müsste. Hieraus entsteht schnell ein weiterer Teufelskreis. Zudem kann ein Vertrauensverlust in die Stabilität der Staatsfinanzen und Banken eines Landes zu einem Kapitalabzug führen und damit zu einer Fragmentierung des gemeinsamen Euro-Kapitalmarkts entlang von Ländergrenzen. Schließlich kann es wie in der Euro-Schuldenkrise Ansteckungseffekte zwischen den Euroländern geben.

Diese sich selbst verstärkenden Effekte in besonders betroffenen Ländern gilt es durch ein gemeinsames europäisches Handeln frühzeitig zu verhindern oder einzudämmen. Denn es handelt sich um eine unverschuldete Krise. Daher ist es anders als in der Euro-Schuldenkrise nicht nötig, mit Vergabebedingungen umfangreiche Reformen einzufordern (Konditionalität). Im Gegensatz zur Zeit der Euro-Schuldenkrise können die EU, die Europäische Zentralbank (EZB) und der in der Krise erst gegründete Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) auf umfangreiche Erfahrungen in der Krisenbekämpfung zurückgreifen.

Der ESM verfügt über verschiedene Instrumente.

  • Bisher am meisten genutzt wurde das dreijährige Hilfs- und Reformprogramm, das Griechenland, Portugal, Irland und Zypern nutzten. Dabei nahm der ESM aufgrund seiner hohen Bonität zu günstigen Konditionen Kredite am Kapitalmarkt auf und reichte sie mit einem kleinen Zinsaufschlag an seine Kreditnehmer weiter.
  • Spanien erhielt ein nur auf den Finanzsektor zugeschnittenes Programm zu Bekämpfung seiner Bankenkrise.
  • Darüber hinaus gibt es noch bisher ungenutzte vorsorgliche ESM-Programme für Länder, die Gefahr laufen, in eine Staatsschuldenkrise zu gelangen.
  • Schließlich ist noch ein Bankenrettungsinstrument zu nennen, bei dem der ESM sich an zu rettenden Banken beteiligen kann, begrenzt auf 60 Milliarden Euro.
  • In der aktuellen Krise wird diskutiert, den Instrumentenkasten des ESM noch zu erweitern (Bénassy-Quéré, et al., 2020).

Die EZB musste seit der globalen Finanzmarktkrise nach und nach neue geldpolitische Instrumente zur Krisenbewältigung entwickeln. Dies könnte zu einem Vorteil in der Überwindung der Corona-Krise werden. Die EZB hat bereits auf die Corona-Krise reagiert. Zusammen mit einem am 18. März 2020 neu beschlossenen geldpolitischen Programm stehen der EZB die folgenden geldpolitischen Instrumente zur Verfügung:

  • Im Rahmen der Targeted Long-Term Refinancing Operations (TLTROs) können Banken Liquidität per Vollzuteilung zu einem mittlerweile negativen Zins erhalten, sofern sie zu günstigen Bedingungen an Unternehmen und Haushalte Kredite vergeben. Über weitere TLTROs könnte die Finanzierung der Unternehmen im weiteren Verlauf der Corona-Krise unterstützt werden.
  • Das Public Sector Purchase Programme (PSPP) wurde am 1. November 2019 mit Nettokäufen mit einem Volumen von 20 Mrd. Euro pro Monat wieder aufgenommen. Die Entscheidung zur Aktivierung erfolgte unabhängig von der Corona-Krise. Dieses Programm trägt aber dazu bei, dass die Finanzierungskosten im Euroraum günstig bleiben. Dabei kauft das Eurosystem aber nicht gezielt Staatsanleihen eines von einer Krise betroffenen Landes, sondern aus geldpolitischen Zwecken Staatsanleihen aller Euroländer anteilig an deren Gewicht in der EZB.
  • Das Corporate Sector Purchase Programme (CSPP) wurde zum 1. November 2019 unabhängig von der Corona-Krise wieder aktiviert. Sollten die Spreads bei den Unternehmensanleihen ansteigen, könnte die EZB mit diesem Programm gegensteuern.
  • Das Instrument der Outright Monetary Transactions (OMT) wurde im Zuge der Banken- und Staatsschuldenkrise im Euroraum am 6. September 2012 ins Leben gerufen. Im Rahmen dieses Programms kann die EZB gezielt Anleihen eines unter einer Krise leidenden Staates am Sekundärmarkt erwerben, sofern sich dieses Land einem ESM-Programm unterwirft. Wenn eine neue Art ESM-Programm aufgelegt würde, könnte das OMT also erstmals aktiviert werden.
  • Im Rahmen des am 18. März 2020 beschlossenen Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) kann die EZB im Umfang von 750 Mrd. Euro öffentliche und private Anleihen in diesem Jahr ankaufen. Im Vergleich zum PSPP sind aber flexiblere länderspezifische Anteile und flexiblere Anteile der einzelnen Assetklassen möglich. Zudem dürfen im Gegensatz zum PSPP Anleihen Griechenlands unter dem PEPP angekauft werden. Über dieses Programm kann sich die EZB gegen spekulativen Druck der Finanzmärkte lehnen. So sind nach Ankündigung dieses Programms die Spreads bei italienischen Staatsanleihen wieder gesunken. Es ist aber fraglich, ob dies auf Dauer so bleiben wird. Die EZB hat bereits signalisiert, bei Bedarf noch nachzulegen.

Das bestehende Instrumentarium ist grundsätzlich in der Lage, einer drohenden Banken- und Staatsschuldenkrise im Euroraum selbst in Zeiten der Corona-Krise begegnen zu können. Angesichts der Unsicherheiten über den weiteren Verlauf der Ansteckungswelle und über die Dauer der Maßnahmen zur Eindämmung der Ansteckungswelle kann aber noch nicht abschließend gesagt werden, ob die bisher eingesetzten Instrumente von ESM und EZB ausreichen werden.

Vor diesem Hintergrund hat eine Gruppe von Ökonomen den Vorschlag zu Corona-Eurobonds gemacht, die auf einer gemeinschaftlichen Haftung der Eurostaaten beruhen (Bofinger et al., 2020). Aus einem Emissionsvolumen von 1.000 Milliarden Euro könnten besonders unter der Coronakrise leidende Staaten unterstützt werden.

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