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Malte Küper / Thomas Obst IW-Kurzbericht Nr. 19 9. März 2023 Energieintensive Produktion bricht stärker als während der Pandemie ein

Der Ausbruch des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hat zu großen Verwerfungen auf den europäischen Energiemärkten geführt. Während die von vielen erwartete tiefe Rezession im Euroraum im Jahr 2022 ausblieb, zeigt ein Blick auf die energieintensive Produktion in Deutschland deutliche Gefahren für das kommende Jahr auf.

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Energieintensive Produktion bricht stärker als während der Pandemie ein
Malte Küper / Thomas Obst IW-Kurzbericht Nr. 19 9. März 2023

Energieintensive Produktion bricht stärker als während der Pandemie ein

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Der Ausbruch des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hat zu großen Verwerfungen auf den europäischen Energiemärkten geführt. Während die von vielen erwartete tiefe Rezession im Euroraum im Jahr 2022 ausblieb, zeigt ein Blick auf die energieintensive Produktion in Deutschland deutliche Gefahren für das kommende Jahr auf.

Relativ zeitnah nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine kam es zu Verwerfungen auf den ohnehin bereits seit Sommer 2021 angespannten europäischen Energiemärkten mit erheblichen Auswirkungen auf die Gaspreisentwicklung. Kolev und Obst (2022) zeigen deutlich negative gesamtwirtschaftliche Effekte auf die Inflationsrate und das BIP in Deutschland auf, das mehr als die Hälfte seiner Gasimporte aus Russland bis dahin bezog und Erdgas als Brückentechnologie nutzt. Sie prognostizierten eine Inflationsrate von 6,1 Prozent im Februar 2022, letztlich lag diese sogar bei 7,9 Prozent im Jahresdurchschnitt.

Der enorme Einfluss der volatilen Gaspreise auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und Europa, im Zusammenhang mit einem in der ersten Jahreshälfte 2022 hitzig diskutierten Gasembargo gegenüber Russland, löste eine intensive Debatte in Deutschland aus. Die modellierten Szenarien reichten von leichten und überschaubaren wirtschaftlichen Auswirkungen eines Gasembargos bis hin zu erheblichen Auswirkungen, die eine schwere Rezession verursachen. Die große Spanne der BIP-Verluste zwischen –0,2 Prozent am unteren Ende (Bachmann et al., 2022) und –8 Prozent am oberen Ende (Deutsche Bundesbank, 2021) verdeutlichen die Unsicherheit solcher Schätzungen. Sie zeigen die Notwendigkeit subjektiver Werturteile in empirischen Arbeiten, die in der Politikberatung klar benannt und transparent gemacht werden sollten (Hüther, 2022).

Flüssiggasimporte als Antwort auf die Krise

Im Laufe des Jahres 2022 stellte Russland seine Gaslieferungen über die Pipelines gen Westen schrittweise ein. Während Gazprom die Belieferung von Bulgarien und Polen bereits im April stoppte, trat für Deutschland am 31. August de facto der Fall eines vollständigen Stopps russischer Gaslieferungen ein. Infolgedessen kam es zu einem beispiellosen Anstieg der Gaspreise auf über 300 Euro pro Megawattstunde im August 2022 (Bundesnetzagentur, 2023). Durch die Einsparerfolge von Haushalten und Industrie, der Reaktivierung und Laufzeitverlängerung von Kohle- und Atomkraftwerken sowie der Gasbeschaffung aus alternativen Bezugs-quellen, konnten die EU-Staaten bis dato eine Gasmangellage verhindern. Besonders der vermehrte Einkauf von Flüssiggas (LNG) gilt als zentraler Baustein der neuen europäischen Gasversorgung.

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Deutschland selbst hatte bis Dezember 2022 kein eigenes LNG-Terminal, konnte aber trotzdem Flüssiggas einkaufen, das an Terminals in Belgien und den Niederlanden anlandete und per Pipeline weiter nach Deutschland transportiert wurde. Bereits unmittelbar nach Beginn der russischen Invasion beschloss die Bundesregierung den Aufbau eigener LNG-Terminals an Nord- und Ostsee. Da der Bau fester, landseitiger Terminals üblicherweise drei bis fünf Jahre in Anspruch nimmt und damit keine adäquate Antwort auf die unmittelbare Versorgungskrise darstellte, beschloss man für eine Übergangsphase die Anmietung sogenannter Floating Storage and Regasification Units (FSRUs). Bis Sommer 2024 sollen insgesamt sieben dieser schwimmenden Terminals in Betrieb gehen und einen Großteil des ehemals aus Russland bezogenen Gases ersetzen.

Flüssiggas war im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2021 etwa 30 Prozent teurer als europäisches Pipelinegas (Weltbank, 2023). Ein Grund dafür liegt in den zusätzlichen Kosten für die energieintensive Verflüssigung und den Transport per Spezialschiff. Außerdem ist der Preisunterschied auf die unterschiedliche Verfügbarkeit alternativer Gasquellen in den jeweiligen Zielmärkten zurückzuführen. Vor allem China und Japan, die beiden größten LNG-Importeure, haben kaum Alternativen zu LNG in der Gasbeschaffung und aufgrund geringerer Speicherkapazitäten einen weniger flexiblen Gasverbrauch als die EU. Zudem ist in den vergangenen Jahren weltweit eine starke Nachfrage nach LNG zu beobachten, die mit einer hohen Auslastung der Exportkapazitäten einherging. Eine Rückkehr zu den günstigen Gaspreisen vor dem Jahr 2021 erscheint also selbst mit LNG nicht gegeben. Weil Gaskraftwerke auch in der deutschen Stromerzeugung eine wichtige Rolle spielen und häufig preissetzend sind, haben hohe Gaspreise auch Auswirkungen auf die Strompreise.

Industrieproduktion im Vergleich

Die Folgen extrem hoher Gas- und Strompreise auf die Industrie konnten im vergangenen Jahr beobachtet werden. Als Reaktion auf die Gasknappheit erzielten viele Unternehmen zwar große Erfolge in der Effizienzsteigerung oder beim Umstieg auf alternative Energie-träger wie Kohle oder Öl. Gerade in der energieintensiven Industrie ging die Krise jedoch auch einher mit der Drosselung oder Einstellung von Produktion. Die Abbildung stellt den Verlauf der Industrieproduktion in den energieintensiven Sektoren im Vergleich zu der Produktion im Verarbeitenden Gewerbe (ohne Bausektor und Energie) insgesamt seit dem Januar 2015 bis an den aktuellen Rand in Deutschland dar. Während die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe weitestgehend stabil geblieben ist, zeigen sich die Auswirkungen der Energiekrise im Bereich der energieintensiven Sektoren deutlich (z. B. Chemieproduktion oder Metallerzeugung, sie benötigen drei Viertel der industriellen Energie).

Die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe hat im Jahr 2022 eine durchwachsene Entwicklung hinter sich. Im Ergebnis lag sie im Dezember 2022 2,2 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor. In den energieintensiven Industriezweigen, die besonders stark von den hohen Energiepreisen betroffen sind, ist die Produktion um nahezu 20 Prozent eingebrochen. Ein umfangreiches Rückfahren der Produktion in den energieintensiven Industriezweigen hat also bereits stattgefunden und dieser Rückgang übersteigt den Einsturz zum Anfang der Corona-Pandemie nochmal um 3,5 Prozent. In der Chemieindustrie liegt die Produktion ganze 28 Prozent, in der Papierindustrie fast 20 Prozent und in der Metallerzeugung 18 Prozent unter dem Niveau Anfang 2015. Ein Vergleich zu den energieintensiven Industriezweigen in der EU-27 zeigt auch, dass Deutschland besonders stark betroffen ist. Dort liegt die Produktion im Dezember 2022 im Verarbeitenden Gewerbe weiterhin 15 Prozent über dem Niveau Anfang 2015. In der Chemieindustrie und in der Metallerzeugung ist sie rund 12 Prozent niedriger und in der Papierindustrie liegt sie nur 4 Prozent unter dem Niveau Anfang 2015.

Die teuren Energieimporte führen damit zu deutlichen Produktionsrückgängen, bedeuten aber auch eine substanzielle Verschlechterung der Terms of Trade (ToT) in Europa. Sie belasten die heimische Konsumnachfrage, weil die realen verfügbaren Einkommen sinken. Sie mindern die Investitionstätigkeit der Unternehmen, da diese einen viel größeren Anteil ihrer finanziellen Mittel nutzen müssen, um die gestiegenen Energiekosten zu decken. Schon für das Jahr 2021 beziffern Nierhaus und Wollmershäuser (2022) die Realeinkommens-einbußen in Deutschland auf 35 Milliarden Euro oder 1 Prozent des BIP. Für 2022 liegt der ToT-Effekt sogar bei etwa 64 Milliarden Euro. Das wäre der größte Real-einkommensverlust seit den 1970er Jahren. Die Energiekrise führt also zu einem spürbaren Abfließen der in Deutschland erwirtschafteten Einkommen ins Ausland.

Ausblick auf die Energieversorgung

Russlands Einmarsch in die Ukraine hat zu großen Verwerfungen auf den europäischen Energiemärkten geführt. Durch den Aufbau von LNG-Terminals ist bis Sommer 2024 zwar mit einer zunehmenden Entspannung der Versorgungslage und der Einkehr einer gewissen Normalität bei den Gas- und Strompreisen zu rechnen. Gleichzeitig erscheint eine Rückkehr zum Preisniveau vor 2022 unwahrscheinlich. Besonders für energieintensive Unternehmen bedeutet dies eine anhaltende Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland, die den Transformationsdruck zum Umstieg auf konkurrenzfähige, klimaneutrale Alternativen wie Strom und Wasserstoff weiter erhöht.

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