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Klaus-Heiner Röhl IW-Kurzbericht Nr. 88 2. Dezember 2024 Bürokratieentlastungsgesetze: Warum wirken sie nicht wie gewünscht?

Bürokratie wird von den Unternehmen als wachsende Belastung wahrgenommen, während die staatliche Bürokratiemessung diesen Aufwärtstrend nicht zeigt. Die Konstruktion der vier Bürokratieentlastungsgesetze der zurückliegenden 10 Jahre gibt, neben dem Aufwuchs nicht gemessener Bürokratiebestandteile, Hinweise zur Aufklärung dieses Widerspruchs.

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Warum wirken sie nicht wie gewünscht?
Klaus-Heiner Röhl IW-Kurzbericht Nr. 88 2. Dezember 2024

Bürokratieentlastungsgesetze: Warum wirken sie nicht wie gewünscht?

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Bürokratie wird von den Unternehmen als wachsende Belastung wahrgenommen, während die staatliche Bürokratiemessung diesen Aufwärtstrend nicht zeigt. Die Konstruktion der vier Bürokratieentlastungsgesetze der zurückliegenden 10 Jahre gibt, neben dem Aufwuchs nicht gemessener Bürokratiebestandteile, Hinweise zur Aufklärung dieses Widerspruchs.

Die Klage über die Bürokratiebelastung der Wirtschaft nimmt zu, der Ruf nach einem Befreiungsschlag wird lauter. Dabei ist der Staat nicht nur als Produzent von neuen Gesetzen und Verordnungen, sondern auch bei deren Einhegung aktiv. In den vergangenen 10 Jahren hat die Bundesregierung vier Bürokratieentlastungsgesetze verabschiedet, die Unternehmen und Bürger in der Summe um 3,2 Milliarden Euro Bürokratiekosten entlasten sollten (Abbildung). Der Bürokratiekostenindex für administrative Auflagen aus Bundesgesetzen, der 2012 mit dem Wert 100 startete, stand im September 2024 bei 97,03 (Destatis, 2024). Nominal erreichten die Kosten für die Befolgung der Normen des Bundes – am 1. Juni 2024 waren dies 1.797 Gesetze und 2.866 Rechtsverordnungen – zwar mit 67 Milliarden Euro einen Höchststand (Deutscher Bundestag, 2024a, b), inflationsbereinigt zeigt sich mit der Reduktion um 3 Indexpunkte aber ein leichter Abwärtstrend, der der Wahrnehmung der Unternehmen diametral entgegen-läuft (Holz et al., 2023). Nachfolgend wird anhand der Inhalte der Bürokratieentlastungsgesetze untersucht, wie dieser Widerspruch zu erklären sein könnte.

Gründe für steigende Bürokratiebelastung

Ein Grund der Diskrepanz zwischen den Ergebnissen der Bürokratiemessung und der wahrgenommenen Belastung liegt in der Regelungsanzahl. Die 4.663 Gesetze und Verordnungen sind mit 96.876 zu befolgenden Einzelnormen verbunden (Deutscher Bundestag, 2024a), 21 Prozent mehr als 2010. Auch wenn nicht jede Norm für jedes Unternehmen gilt, bedeutet eine steigende Regelungsdichte mehr Befassungsaufwand der in den Firmen Zuständigen. Im Mittelstand dürften dies oft Eigner oder Eignerin sein, die sich weniger um Geschäft und Kunden kümmern können und unter „Bürokratie-Burnout“ leiden. Hierzu tragen auch die nicht erfassten EU-Verordnungen bei. Ein weiterer Grund ist im wachsenden Erfüllungsaufwand der Regulierung zu sehen, der nach Berechnungen des NKR (2024) zuletzt kräftig auf 14 Milliarden Euro gestiegen ist. In den Unternehmen dürfte oft die Unterscheidung, die die Bürokratiemessung zwischen administrativen Kosten und Erfüllungsaufwand etwa für neue Filter an Anlagen vornimmt, nicht der Lebensrealität entsprechen, da der steigende Gesamtaufwand als Bürokratie gesehen wird.

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Bürokratieentlastungsgesetze: Wirkung

Der Startschuss für eine systematische Reduktion von Bürokratielasten war die Einführung des Standardkos tenmodells für administrative Belastungen aus der Bun desgesetzgebung und die Einrichtung des Nationalen Normenkontrollrates (NKR) 2006. Ausgehend von der damals durchgeführten Erstmessung der durch die Bundesbürokratie verursachten Kosten für Unternehmen wurde eine Reduktion um 25 Prozent bis 2012 angestrebt und zumindest rechnerisch auch erreicht. Danach sollte zumindest ein Anstieg der Belastung durch neue Gesetze verhindert werden. Deshalb wurde der erreichte Stand in Form eines Index, der mit dem Wert 100 startete, fixiert (Destatis, 2024). Der unweigerliche Anstieg des Bürokratieaufwands durch die fortlaufende Gesetzgebung soll durch Bürokratieentlastungsgesetze ausgeglichen werden, deren erstes zum 1.1.2016 in Kraft trat (Deutscher Bundestag, 2015). Das erste Bürokratieentlastungsgesetz (BEG) war mit einer errechneten Kostenreduktion von 744 Millionen Euro p. a. für Unternehmen und Bürger verbunden. Für Erstere wichtig war die Anhebung der Grenzen für steuer- und handelsrechtliche Buchführungs- und Aufzeichnungs-pflichten sowie von Schwellenwerten in der Wirtschaftsstatistik und Umweltstatistik.

Das zweite BEG trat 2017 in Kraft. Es war mit 363 Millionen Euro Entlastung unambitioniert, so wurde der Steuer-Schwellenwert für Kleinbetragsrechnungen um 100 auf 250 Euro angehoben, ebenso wurde die Grenze für eine quartalsweise Abgabe der Lohnsteueranmeldung auf 5.000 Euro erhöht, was nur Kleinstbetriebe betraf, und die Aufbewahrungspflicht für Lieferscheine entfiel. Das BEG III aus dem Jahr 2020 wies mit berechneten 1,17 Milliarden Euro die höchste Entlastung auf, zeigt jedoch exemplarisch ein Problem der Vorab-Berechnungen: Die Hälfte der Entlastung entfiel mit der elektronischen Krankmeldung auf eine einzige Maßnahme, die sich im Nachhinein als eher negativ für die Wirtschaft herausstellte. Die E-Krankmeldung entlastet zwar Bürger und Krankenkassen, führt jedoch zu Mehrarbeit in den Unternehmen, denn eine automatische Meldung an den Arbeitgeber gibt es nicht. Informiert der Beschäftigte nicht von sich aus seinen Arbeitgeber, entsteht mit der Neuregelung sogar Mehraufwand.

Mit dem BEG IV hat die „Ampel-Koalition“ einen weiteren Anlauf zur Entlastung der Wirtschaft unternommen. Wichtigste Maßnahme ist die Verkürzung der Aufbewahrungsfrist für Steuerbelege von 10 auf 8 Jahre. Zudem werden die Schriftformerfordernisse im Arbeitsrecht vereinfacht, auf eine generelle Digitalisierung von Arbeitsverträgen konnte sich die Regierung aber nicht einigen, da das Arbeits- und Sozialministerium Bedenken hatte. Deutsche Staatsangehörige müssen in Hotels keinen Meldeschein mehr ausfüllen, was Gäste und Gastgewerbe etwas entlastet. Von mehr als 430 Bürokratieabbauvorschlägen aus der Wirtschaft wurden aber nur 11 ins Gesetz aufgenommen, was die starken Widerstände aus den jeweils zuständigen Ministerien gegen Vereinfachungen, die auch eine materielle Reduktion von Regulierungen tangieren, verdeutlicht (Röhl, 2024). Anfang 2025 tritt voraussichtlich noch ein Bürokratieabbaupaket in Kraft, das Verordnungen betrifft und damit per Kabinettsbeschluss ohne Gesetz(esänderung) durch den Bundestag wirksam wird, wenn der Bundesrat zustimmt (BMJ, 2024). Dessen größte Entlastungswirkung ergibt sich mit 400 Millionen Euro aus der Möglichkeit zur digitalen Rechnungsstellung durch Steuerberater. Wie beliebig diese Summe offenbar ist, zeigt sich daran, dass sie im Verordnungsentwurf des Justizministeriums nicht genannt wird: Dort wird nur eine Entlastungswirkung von 22,6 Millionen Euro durch die übrigen kleinen Maßnahmen aufgeführt.

Fehlende Entlastungswirkung bereits in Gesetzen angelegt

Blickt man in die Gesetzesdetails, so geht der größte Teil der Entlastung auf sehr wenige Maßnahmen zurück, die sich auf Schwellenwertanhebungen, Pauschalierungen und die Digitalisierung beziehen. Die wenigen Einzelmaßnahmen jenseits dieser drei Felder adressieren meist spezielle Regelungen, die nur wenige Unternehmen betreffen. Dementsprechend liegt die Entlastungswirkung hier oft im Bereich weniger Millionen Euro. Schwellenwertanhebungen sind aber allein aus Inflationsgründen alle paar Jahre geboten und werden daher kaum als Bürokratieabbau wahrgenommen. Eine erfolgreiche Digitalisierung – also nicht wie im Falle der E-Krankmeldung – kann zwar deutliche Entlastungen erzielen, sollte im Rahmen der Digitalisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft aber ohnehin erfolgen und ist damit ebenfalls kein wirklicher Bürokratieabbau. Zudem liegt Deutschland in diesem Bereich international eher zurück (Europäische Kommission, 2023); deutsche Unternehmen werden deshalb vor allem diesen Rückstand wahrnehmen.

Mehr Pauschalierungen versprechen hingegen spürbaren Bürokratieabbau, sie sind aber in den vier BEGs jenseits von Schwellenwertanhebungen kaum zu finden. Demgegenüber wird es in der Wirtschaft deutlich wahrgenommen, dass die von den Verbänden gesammelten Vorschläge der Unternehmen praktisch nie Eingang in die Gesetze finden. Hier sind oft inhaltliche Regulierungen betroffen, die die verantwortlichen Ressorts erarbeitet haben und an denen sie festhalten. Der Widerspruch zwischen dem sinkenden Bürokratieindex der Bundesgesetzgebung trotz wachsender Anzahl der Gesetze und Einzelnormen auf der einen Seite und der Wahrnehmung wachsender Bürokratie in den Unternehmen auf der anderen Seite scheint damit auflösbar zu sein: Es findet tatsächlich kaum wirklicher Abbau von Bürokratie statt, während die Regelungsdichte zunimmt. Dies gilt es künftig dringend zu verbessern.

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