Die Corona-Pandemie hat deutlich gemacht, wie abhängig die Europäische Union insbesondere im Bereich der Halbleiter und Mikroprozessoren mittlerweile von anderen Staaten ist. Mit dem Chips Act greift die Europäische Union jetzt ein.
Der EU-Chips-Act: Eine Chance für Halbleiter aus Europa?
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Die Corona-Pandemie hat deutlich gemacht, wie abhängig die Europäische Union insbesondere im Bereich der Halbleiter und Mikroprozessoren mittlerweile von anderen Staaten ist. Mit dem Chips Act greift die Europäische Union jetzt ein.
Knappheiten bei der Güterproduktion und hohe Rohstoffpreise sind mit dafür verantwortlich, dass sich die wirtschaftliche Aktivität in Europa abschwächt (Brautzsch et al., 2021). Besonders häufig wird in diesem Zusammenhang auf die Knappheiten bei Halbleitern und den sogenannte Mikrochips verwiesen. Exemplarisch dafür steht die deutsche Automobilindustrie. Hier war der Mangel an Chips und weiteren Komponenten laut Statistischem Bundesamt (2021) für einen großen Teil des Rückgangs bei Automobilexporten (-17,2 Prozent) und -importen (-29,8 Prozent) im dritten Quartal 2021 im Vergleich zum Zeitraum im Corona-Jahr 2020 verantwortlich.
Halbleiter, Mikroprozessoren und ähnliche Bauteile bilden einen Wachstumsmarkt, der auch in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird (ZVEI, 2021). Die Europäische Union wurde in diesem Bereich in den vergangenen Jahren zunehmend abhängig von Importen (Abbildung). In der Abbildung ist das Verhältnis von Importen zu Exporten der 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) für alle Güter sowie Halbleiter und Mikroprozessoren dargestellt. Ein Wert von eins bedeutet, dass Importe und Exporte sich die Waage halten. Ein Wert größer als eins zeigt, dass die Importe überwiegen und ein Wert kleiner als eins offenbart, dass die Exporte überwiegen. Werden alle Güter betrachtet, liegen für die 27 EU-Staaten die Importe und Exporte nahezu gleichauf. In den vergangenen Jahren haben die Exporte sogar leicht überwogen. In der Corona-Pandemie hat sich dies aber zugunsten der Importe gedreht.
Zur Betrachtung der Situation bei Halbleitern und Prozessoren wurden zwei Kategorien auf Basis des Harmonisierten Systems (HS) ausgewählt (siehe dazu Europäische Kommission, 2022). Dieses stellt eine internationale Nomenklatur dar, die dazu dient, Waren einheitlich zu klassifizieren. So werden mit dem HS-Code 8541 Dioden, Transistoren, Hableiter und ähnliche Waren beschrieben. Mikrochips, Prozessoren und elektrische Schaltkreise werden in der Kategorie mit dem HS-Code 8542 zusammengefasst. Daten für diese Kategorien sind ebenfalls in der Abbildung dargestellt.
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Die Abbildung zeigt, dass für die EU27-Staaten die Importe die Exporte in der Regel überschreiten. Bei Prozessoren und Schaltkreisen variiert der Wert im Bereich zwischen 1 und 1,5. Am aktuellen Rand wurde jedoch der Wert von 1,5 nach oben überschritten. Bei Halbleitern und ähnlichen Komponenten liegt der Wert jedoch in der Regel oberhalb von 1,5. Seit 2018 ist er zudem tendenziell gewachsen und liegt am aktuellen Rand bei drei. Somit importiert die Europäische Union mittlerweile wertmäßig dreimal so viele Dioden, Transistoren und Halbleiter, wie sie exportiert. Der aktuelle Komponentenmangel zeigt, dass die EU-Nachfrage sogar noch höher ist. Vor dem Hintergrund, dass die Handelsbilanz ausgeglichen ist, ist diese Entwicklung an sich nicht besorgnisserregend.
Sie kann insbesondere auf der Ausnutzung von Spezialisierungseffekten beruhen, die die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen erhält (vgl. Sinn, 2005, exemplarisch für Deutschland): Wenn Vorprodukte zu niedrigeren Preisen oder mit besserer Qualität im Ausland eingekauft werden, kann das Endprodukt entsprechend ebenfalls günstiger und qualitativ hochwertiger hergestellt werden.
Diese Ausgestaltung von Lieferketten über Kontinente hinweg kann in einer Krise jedoch zu den negativen Konsequenzen führen, die eingangs erwähnt wurden. Aufgrund der augenfälligen Bedeutung von Mikrochips hat die Europäische Kommission dieses Thema 2021 auf die Agenda gesetzt. In ihrem Arbeitsprogramm wurde für das zweite Quartal 2022 der sogenannte Chips Act angekündigt (Europäische Kommission, 2021a). Mittlerweile hat die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen diesen auf dem World Economic Forum sogar auf Februar 2022 vorgezogen (WEF, 2022).
Mit Hilfe des Chips Act sollen 2030 20 Prozent der weltweiten Produktion von Mikroprozessoren aus der EU stammen, während es derzeit lediglich zehn Prozent sind (Europäische Kommission, 2021b; WEF, 2022). Zudem soll es der Chips Act ermöglichen, ein besseres Angebotsmonitoring durchzuführen und früher auf Knappheiten zu reagieren. Neben der Förderung von Forschung und Entwicklung sowie kleinerer Unternehmen ist auch eine Anpassung der Regelungen bezüglich Staatshilfe angedacht. Hier steckt der Teufel im Detail, denn zur Höhe der geplanten Förderung hält sich die Kommission noch bedeckt und die Änderungen sollen nur auf first-of-a-kind Produktionsanlagen anwendbar sein, was ebenfalls noch einer Definition bedarf. Der Schritt der EU erfolgt dabei spät: In den vergangenen Jahrzehnten ist es weltweit zu einem Subventionswettlauf gekommen. Die EU hatte hier bisher das Nachsehen.
Nun soll mit dem Chips Act gegengesteuert werden. Doch Prozessorwerke der neusten Generation erfordern inzwischen Investitionssummen von circa 20 Milliarden US-Dollar (Lindner/Finsterbusch, 2022). Der US-Hersteller Intel, der gemeinsam mit Samsung (Südkorea) und TSMC (Taiwan) zu den drei führenden Global Playern zählt, möchte zwar in Europa eine neue Fabrik errichten, erwartet aber eine Förderung von bis zu sieben Milliarden Euro. Bislang sind in der EU derart hohe Fördersätze nach den Beihilferegeln nur in wirtschaftsschwachen peripheren Regionen gestattet (Busch/Diermeier, 2019), die für ein solches Werk kaum infrage kommen. Jetzt bewirbt sich auch Deutschland um Intel. Ob eine so große Subvention für eine Einzelinvestition sinnvoll ist, bleibt zweifelhaft – wenn es die noch offenen Detailregeln des Chips Act überhaupt gestatten werden.
Wenn es um eine Einbindung in vorhandene Cluster geht, hat Deutschland allerdings gute Karten: Der Raum Dresden ist ein führender Halbleiterstandort in der EU, mit Werken von Infineon, dem Auftragsfertiger Globalfoundries und seit kurzem auch Bosch. Auch Siemens/Infineon und AMD (heute Global Foundries) wurden mit hohen Fördermitteln gelockt: In den 1990er Jahren zählte Ostdeutschland noch zur höchsten EU-Förderkategorie. Seinerzeit reichte aber ein Investitionsvolumen von je circa 1,5 Millarden Euro für die beiden Werke (Röhl, 2000), was real heute etwa das Doppelte, aber nicht die zehnfache Summe wäre.
Positiv zu bewerten ist zweifellos, dass das Thema mit dem Chips Act in den Fokus rückt. Die Europäische Halbleiterallianz soll zudem Hersteller, Forschung, Nutzer und Politik zusammen bringen, um den industriepolitischen Rahmen für den Chip-Standort Europa besser zu definieren (Europäische Kommission, 2021c). Ob es aber tatsächlich gelingt, Europa bis 2030 wieder an die Spitze der internationalen Entwicklung zu bringen, darf bezweifelt werden: Bisher waren es Einzelstaaten wie China, Südkorea, Taiwan oder die USA, die scheller und entschlossener handeln konnten als die EU. Die USA arbeiten an einem Chips Act, der bis zu 52 Milliarden US-Dollar in die heimische Halbleiterindustrie lenken soll. Während der Act selbst verabschiedet wurde, ist die Finanzierung noch nicht durch das Repräsentantenhaus fregegeben, sodass auch die Entscheidung über eine zu bauende Chipfabrik in Ohio aussteht (Trombly, 2022).
Da die EU erst jetzt in den Wettbewerb mit den Konkurrenten einsteigt, kann der Chips Act nur ein Erfolg werden, wenn er entschlossenes Handeln ermöglicht und rechtliche Unklarheiten abbaut. Fraglich ist jedoch, ob die EU den Beihilferahmen so weit öffnet, dass tatsächlich große Chipwerke in Konkurrenz zu Asien und den USA angelockt werden können. Um die Verwundbarkeit der EU durch internationale Krisen (Europäische Kommission, 2021a) zu verringern, kann es jedoch unumgänglich sein.
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