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Jürgen Matthes IW-Kurzbericht Nr. 35 17. Mai 2023 Deutsche Direktinvestitionen in China: Kaum Diversifizierung

Die deutschen Direktinvestitionsbestände in China überstiegen im Jahr 2021 erstmals die Marke von 100 Milliarden Euro. 2022 kamen noch 11,5 Milliarden Euro hinzu. Der Anteil Chinas an den deutschen Direkt-investitionsbeständen im gesamten Ausland bleibt damit konstant. Auch gegenüber den übrigen Ländern der Region Ost- und Südasien zeigt sich keine nennenswerte Diversifizierung weg von China. Das Bild der Abhängigkeiten von China bleibt damit differenziert.

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Kaum Diversifizierung
Jürgen Matthes IW-Kurzbericht Nr. 35 17. Mai 2023

Deutsche Direktinvestitionen in China: Kaum Diversifizierung

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die deutschen Direktinvestitionsbestände in China überstiegen im Jahr 2021 erstmals die Marke von 100 Milliarden Euro. 2022 kamen noch 11,5 Milliarden Euro hinzu. Der Anteil Chinas an den deutschen Direkt-investitionsbeständen im gesamten Ausland bleibt damit konstant. Auch gegenüber den übrigen Ländern der Region Ost- und Südasien zeigt sich keine nennenswerte Diversifizierung weg von China. Das Bild der Abhängigkeiten von China bleibt damit differenziert.

Die Deutsche Bundesbank hat jüngst turnusgemäß die Daten für den Bestand an deutschen Direktinvestitionen in China im Jahr 2021 veröffentlicht. Mit 102,6 Milliarden Euro hat die deutsche Wirtschaft mit ihren Direktinvestitionsbeständen in China erstmals die 100-Milliarden-Schwelle überschritten. Damit entfällt auf China ein Anteil von 7,2 Prozent der deutschen Direkt-investitionen im gesamten Ausland. Zudem wurde der Vorjahreswert für 2020 leicht nach oben revidiert, von 89,5 auf 92,1 Milliarden Euro. Diese Daten beruhen auf einer aufwendigen Auswertung der Bilanzen von meldepflichtigen Unternehmen und stehen erst mit einer Zeitverzögerung von über zwei Jahren zur Verfügung. Auf Basis der zusätzlichen Direktinvestitionsflüsse nach China im letzten Jahr dürfte der Bestandswert im Jahr 2022 schätzungsweise auf rund 114 Milliarden Euro steigen. Dies ist eine Schätzung, die anders als die Bundesbank Wertveränderungen der Bilanzwerte aufgrund von mangelnden Daten nicht berücksichtigen kann.

Kaum eine Spur von Diversifizierung

Die zusätzlichen Direktinvestitionsflüsse nach China lagen im Jahr 2022 mit 11,5 Milliarden Euro so hoch wie nie zuvor (Matthes, 2023a). Dies deutet darauf hin, dass deutsche Firmen in der Gesamtschau trotz höherer geo-politischer Risiken noch nicht auf eine Diversifizierung ihrer globalen Direktinvestitionen weg von China setzen. Ein genauerer Blick bestätigt dieses Bild, zeigt aber auch Differenzierungsbedarf auf.

Diversifizierung bedeutet Risikostreuung und sollte, wenn schon nicht in einer Verringerung der absoluten Werte, zumindest in einer Senkung der relativen Anteilswerte Ausdruck finden. Wenn man von der erwähnten Schätzung der Bestandswerte für 2022 ausgeht, stiegen die Direktinvestitionsbestände in China im vergangenen Jahr um 11,2 Prozent. Die deutschen Direkt-investitionsbestände im gesamten Ausland nahmen in ähnlicher Größenordnung um 11,8 Prozent zu. Damit hat sich der chinesische Anteil nicht verändert, sondern blieb konstant bei 7,2 Prozent.

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Auch beim Vergleich zum übrigen Ost- und Südasien zeigt sich kaum eine Diversifizierung, obwohl einige Länder dieser Region attraktive, alternative Handelspartner sein können, wie etwa Indien, Indonesien, Vietnam oder Südkorea. Die geschätzten deutschen Direkt-investitionsbestände in die Region Ost- und Südasien ohne China erhöhten sich um 12,3 Prozent im Jahr 2022 und damit nicht wesentlich mehr als die nach China.

Damit setzt sich grosso modo ein mittelfristiger Trend fort. Zwischen 2015 und 2022 nahmen die geschätzten deutschen Direktinvestitionsbestände in China um knapp 60 Prozent zu, im übrigen Ost- und Südasien um gut 56 Prozent, also vergleichbar stark. Die übrigen asia-tischen Staaten waren folglich in den Vorjahren bereits ähnlich stark gefragte Standorte für deutsche Investoren wie China. Auch hier finden sich also am aktuellen Rand bislang keine nennenswerten Anzeichen einer deutlich stärkeren Diversifizierung als Reaktion auf die prekärer gewordene geopolitische Lage.

In China wird aus verschiedenen Gründen derzeit weiterhin viel investiert. Unternehmen lokalisieren dort immer mehr Geschäftsaktivitäten bis hin zu Zulieferstrukturen und Forschung (Jungbluth et al., 2023). Sie tun das teilweise auf Druck der chinesischen Regierung, die mit Subventionen winkt (Merics/EUCC, 2023), und teils, weil sie China als Fitnesscenter für ihre Wettbewerbsfähigkeit sehen. Zuweilen lokalisieren sie auch aus geopolitischen Gründen – sei es, um sich stärker gegen einen potenziellen Handelskrieg zu wappnen oder um ihr China-Geschäft bilanztechnisch eher vom übrigen globalen Geschäft abkoppeln zu können, falls es bei einem möglichen Taiwan-Konflikt zu gegenseitigen weitreichenden Sanktionen käme.

Diese Lokalisierungsstrategien dürften allerdings zu einer stärkeren Abkoppelung des China-Geschäfts vom Standort Deutschland führen, sodass deutsche Wertschöpfung und Beschäftigung in Zukunft weniger stark am Wachstum des chinesischen Markts teilhaben könnten (Jungbluth et al., 2023).

Investitionen in China mit Besonderheiten

Die deutschen Direktinvestitionszuflüsse nach China weisen Besonderheiten auf. So kommt es seit 2017 in China auch zu Liquidationen von Direktinvestitionen, also zur Rückabwicklung. Die Liquidationen liegen in der Größenordnung von jährlich um die 3 Milliarden Euro, im Jahr 2021 sogar bei 4,5 Milliarden Euro (Abbildung). Das ist jedoch nicht ungewöhnlich, da es weltweit geschieht. So liegt Chinas Anteil an den Liquidationen im gesamten Ausland bei weniger als 5 Prozent in den Jahren ab 2017, und das meist deutlich.

China sticht aber heraus mit einem hohen Anteil der reinvestierten Gewinne als Finanzierungsquelle von zusätzlichen Direktinvestitionen (Abbildung; Matthes, 2023a). Chinas Anteil an den reinvestierten Gewinnen im gesamten Ausland lag in den letzten drei Jahren bei um die 20 Prozent.

Abhängigkeiten differenziert zu sehen

Die Debatte über die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China wird oft zu undifferenziert geführt, sodass vermeintliche Widersprüche auftreten können. Tatsächlich zeigen sich je nach betrachtetem Aspekt erhebliche Unterschiede beim Ausmaß der Abhängigkeit von China.

Gesamtwirtschaftlich – also auf aggregierter Ebene – ist Deutschland deutlich weniger von China abhängig als gemeinhin angenommen (Matthes, 2022). Das gilt überwiegend auch auf Ebene der Industriebranchen (Busch et al., 2023) sowie bei den in China durch Direkt-investitionen erzielten Gewinnen (Jungbluth et al., 2023). Absatzseitig sind beispielsweise schätzungsweise nur rund 3 Prozent der gesamten deutschen Arbeitsplätze direkt oder indirekt vom Export nach China abhängig, selbst in der Industrie sind es lediglich schätzungsweise zwischen 5 und 6 Prozent. Auch auf der Importseite ist die Abhängigkeit auf aggregierter Ebene gesamtwirtschaftlich überschaubar (Matthes, 2022; Busch et al., 2023). Das liegt vor allem daran, dass Deutschland mit vielen Ländern Handel treibt und dass auch die heimische Wirtschaft wichtiger Abnehmer und Lieferant für viele deutsche Firmen ist.

Sorgen bereitet allerdings, dass im Handel mit China ein gravierendes Ungleichgewicht entstanden ist, weil Importe aus China im Jahr 2022 stark gestiegen sind, Exporte nach China dagegen kaum, sodass es zu einem Rekord-Handelsbilanzdefizit von mehr als 84 Milliarden Euro kam (Matthes, 2023b). Dies ist auch deshalb kritisch zu sehen, weil auf der Ebene einzelner Produkte teilweise eine sehr große Abhängigkeit von China besteht, weil hier bis zu 100 Prozent der deutschen Einfuhren aus China kommen (Sandkamp et al., 2023). Das gilt zum Beispiel, bei einigen bedeutsamen Rohstoffen wie Seltene Erden, bei wichtigen elektronischen Bauelementen und bei einer Reihe von pharmazeutischen und chemischen Grundstoffen. Im geopolitischen Konfliktfall ist Deutschland bei der Versorgung mit diesen Gütern möglicherweise erpressbar.
Daher sollten deutsche Unternehmen im Rahmen einer Derisking-Strategie dafür sorgen, besonders kritische Abhängigkeiten in ihren Lieferketten schnell und konsequent abzubauen. Die Außenwirtschaftspolitik muss das flankieren, etwa mit Freihandelsabkommen.

Eine weitere hohe Abhängigkeit besteht bei einigen deutschen Firmen, die einen hohen Teil ihrer globalen Umsätze in China erwirtschaften. Auch hier droht Erpressbarkeit. Diese Risiken sind vorrangig von den Unternehmen selbst zu managen. Die Politik muss ihrerseits Sorge dafür tragen, dass mögliche betriebliche Verluste bei einem etwaigen Konfliktfall rund um Taiwan nicht bei den deutschen Steuerzahlern landen.

Diversifizierung wäre verkraftbar

Aufgrund der hohen Abhängigkeiten bei individuellen Produkten und einzelnen Firmen wäre ein Handelskrieg mit China oder gar ein Decoupling kurzfristig zweifellos sehr schädlich. Dies gilt besonders auf der Importseite bei den Lieferketten.

Längerfristig wären die Schäden aufgrund der eher geringen gesamtwirtschaftlichen Abhängigkeiten allerdings überschaubar, wenn die Zeit genutzt würde, um alternative Bezugs- und Absatzquellen aufzutun. So zeigen verschiedene Studien, dass selbst eine sehr starke Reduktion des Handels mit China nach Ablauf von rund zehn Jahren nur relativ geringe volkswirtschaftliche Schäden in Höhe von weniger als 1 Prozent der realen Wirtschaftsleistung oder des Realeinkommens mit sich bringen würde (Felbermayr et al., 2022; vbw, 2022; Stiftung-Familienunternehmen, 2023). Diese Studien dürften die tatsächlichen Effekte zwar unterschätzen. Doch selbst wenn die Schäden doppelt oder dreimal so hoch ausfielen, erscheinen sie verkraftbar, wenn sie sich über zehn Jahre verteilen ließen.

Die Ableitung daraus: Auch eine gewisse Verringerung des Handels mit China könnte Deutschland sich über mehrere Jahre gestreckt leisten, wenn es gewollt wäre. Diversifizierung bleibt damit das Patentrezept beim Derisking gegenüber China.

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