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Jürgen Matthes IW-Kurzbericht Nr. 61 9. September 2019 Exportschwäche kostet Wachstum

Die leichte Schrumpfung der Wirtschaftsleistung im abgelaufenen Quartal ist in erster Linie auf einen Mangel an Exportdynamik zurückzuführen. Vor allem die deutschen Warenausfuhren in das Vereinigte Königreich, Italien, China und die Niederlande entwickelten sich im ersten Halbjahr 2019 deutlich schlechter als im gleichen Vorjahreszeitraum.

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Exportschwäche kostet Wachstum
Jürgen Matthes IW-Kurzbericht Nr. 61 9. September 2019

Exportschwäche kostet Wachstum

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die leichte Schrumpfung der Wirtschaftsleistung im abgelaufenen Quartal ist in erster Linie auf einen Mangel an Exportdynamik zurückzuführen. Vor allem die deutschen Warenausfuhren in das Vereinigte Königreich, Italien, China und die Niederlande entwickelten sich im ersten Halbjahr 2019 deutlich schlechter als im gleichen Vorjahreszeitraum.

Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Das Verarbeitende Gewerbe befindet sich sogar in einer Rezession. Nach einer Schrumpfung der realen industriellen Bruttowertschöpfung um 2,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr im ersten Quartal 2019, war im zweiten Quartal sogar ein Rückgang um –4,9 Prozent zu verzeichnen. Auch wenn das abgelaufene Quartal dieses Jahr einen Arbeitstag weniger hatte als im Jahr 2018, scheint sich die Abwärtsbewegung in der Industrie eher noch beschleunigt zu haben. Vor diesem Hintergrund stellt sich angesichts der starken Exportorientierung der deutschen Wirtschaft die Frage: Wie sehr ist die aktuell abnehmende Wirtschaftsdynamik in Deutschland auf die unruhige Wetterlage in der Weltwirtschaft zurückzuführen, die zuletzt eher noch stürmischer geworden ist, wenn man auf die Lage in Italien, den drohenden No-Deal-Brexit und die weitere Eskalation des Handelskonflikts zwischen den USA und China schaut?

Tatsächlich hat der preisbereinigte Außenbeitrag, der sich aus der Differenz der realen Entwicklung von Exporten und Importen ergibt, gemäß den jüngst veröffentlichten Daten des Statistischen Bundesamtes entscheidend dazu beigetragen, dass das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal 2019 um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal geschrumpft ist (kalender- und saisonbereinigt). Ohne den negativen Wachstumsbeitrag des Außenbeitrags von –0,5 Prozentpunkten wäre die deutsche Wirtschaft um fast einen halben Prozentpunkt im Vergleich zum Vorquartal gewachsen. Der negative Außenbeitrag geht vor allem auf eine schwache Exportentwicklung zurück, wobei sich auch die Importdynamik abgeschwächt hat, allerdings weniger stark. Die preisbereinigten Exporte von Waren und Dienstleistungen sanken im zweiten Quartal 2019 um –1,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal, die realen Importe nahmen „nur“ um –0,3 Prozent ab.

Die Exportwirtschaft kämpft mit starkem Gegenwind. Angesichts von Handelskrieg, Italienmisere und No-Deal-Brexit befindet sich die globale wirtschaftspolitische Unsicherheit nahe ihrem Höchststand vom Mai 2019. Weltwirtschaft und Welthandel schwächeln. Das ifo-Weltwirtschaftsklima ist so niedrig wie in der akuten Phase der Euro-Schuldenkrise und auch die Exporterwartungen der deutschen Unternehmen sind schlecht.

Doch wie giftig war dieser Risikococktail wirklich für die deutsche Exportwirtschaft im Jahr 2019? Das zeigt ein Blick auf die Entwicklung der nominalen deutschen Warenexporte in diesem Jahr. War im ersten Halbjahr 2018 noch ein Zuwachs gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum von 3,9 Prozent zu verzeichnen, so nahmen die Ausfuhren in den ersten beiden Quartalen 2019 nur noch marginal um 0,5 Prozent zu.

Blickt man auf die zehn wichtigsten Exportpartnerländer Deutschlands, fallen die üblichen Verdächtigen direkt ins Auge (Abbildung):

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  • Die Warenexporte in das Vereinigte Königreich gingen im ersten Halbjahr 2019 um –4,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück.
  • Nach Italien führten die deutschen Unternehmen ebenfalls bei einem Rückgang um –1,5 Prozent weniger Waren aus.
  • Doch auch bei den anderen Ländern zeigten sich deutliche Abschwächungen: So nahmen die Zuwachsraten in den Niederlanden, China und Polen im ersten Halbjahr 2019 gegenüber dem ersten Halbjahr 2018 im jeweiligen Vorjahresvergleich deutlich ab.

Geringere prozentuale Veränderungsraten sagen noch nicht viel darüber aus, wo genau das Gros der Exportschwäche zu verorten ist, da die Handelspartner unterschiedlich wichtig sind. Eine Antwort hierauf lässt sich mit einem Gedankenexperiment abschätzen: Wie hoch wären die deutschen Ausfuhren ausgefallen, wenn sie so zugelegt hätten wie im ersten Halbjahr 2018? Bezogen auf die gesamten deutschen Warenexporte ergibt sich folgendes Bild: Wenn diese im ersten Halbjahr 2019 statt um 0,5 Prozent mit der Wachstumsrate des ersten Halbjahres 2018 von 3,9 Prozent gewachsen wären, hätten die gesamten deutschen Ausfuhren um rund 22 Milliarden Euro höher gelegen.

Wenn auch bei den einzelnen Exportpartnern die Veränderungsrate des ersten Halbjahres 2018 unterstellt wird, lässt sich grob abschätzen, wo die meisten Exporte aus diesem Blickwinkel im ersten Halbjahr 2019 „fehlen“. Allein die folgenden vier Länder vereinen über die Hälfte der „fehlenden“ Exportzuwächse auf sich (Abbildung).

  • Die Niederlande führen die Liste der Partner mit den meisten „fehlenden“ Exporten mit einer fiktiven Fehlgröße von rund 5 Milliarden Euro an. Das liegt daran, dass die Niederlande als Exportzielland mit 6,9 Prozent der viertwichtigste von allen Exportpartnern im Jahr 2018 waren und die Zuwachsrate der deutschen Ausfuhren dorthin im Vergleich der beiden ersten Halbjahre 2018 und 2019 sehr stark von 11,1 auf 0,4 Prozent eingebrochen war. Diese Abschwächung dürfte auch eine Folge der abgeflauten Weltkonjunktur sein, da viele deutsche Ausfuhren für den Weltmarkt über Rotterdam laufen.
  • Bei Italien, dem sechstwichtigsten Exportpartner mit einem Anteil von 5,3 Prozent, ergibt diese Vorgehensweise rund 3,5 Milliarden Euro an „fehlenden“ Warenausfuhren in den ersten sechs Monaten dieses Jahres, weil es auch hier 2019 sehr viel schlechter lief als im Vorjahr. Dazu dürfte die deutliche Wachstumsabschwächung in Italien wesentlich beigetragen haben. Nachdem das italienische Wirtschaftswachstum im Jahr 2018 noch 0,9 Prozent betrug, sieht Consensus Forecasts im Durchschnitt der befragten Prognostiker aktuell für 2019 nur eine Stagnation des realen BIP voraus. Die fragwürdige Wirtschaftspolitik der vormaligen populistischen Regierung in Italien hat damit zu einem Kollateralschaden bei den deutschen Exporteuren geführt.
  • Nach China, dem drittwichtigsten Exportzielland mit einem 7,1-prozentigen Anteil im Jahr 2018, hätten die deutschen Exporteure im ersten Halbjahr 2019 rund 2,8 Milliarden Euro mehr an Waren ausführen können, wenn sich statt 4,1 Prozent eine Zuwachsrate von 10,3 Prozent wie im Jahr 2018 ergeben hätte. Auch in China ist dies auf die deutliche Wachstumsabschwächung dort zurückzuführen, die wiederum eng mit dem Handelskonflikt mit den USA zusammenhängt. Damit bekommt die deutsche Exportwirtschaft auch über diesen Kanal die härtere Gangart der US-Administration zu spüren.
  • Mit Blick auf das Vereinigte Königreich, dem fünftwichtigsten Exportpartner mit 6,2 Prozent, „fehlen“ trotz des großen prozentualen Rückgangs nur 0,8 Milliarden Euro an fiktiven Exporten in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. Das liegt daran, dass angesichts der Brexit-Debatte auch im Vorjahr bereits mit –2,5 Prozent ein deutlicher Rückgang der deutschen Ausfuhren zu verzeichnen war.

Die Warenexporte in die USA haben sich im ersten Halbjahr dagegen sogar besser entwickelt als im gleichen Zeitraum des Jahres 2018, als sie gegenüber dem Vorjahr lediglich stagnierten. Die US-Wirtschaft läuft weiterhin relativ robust und trotz wiederkehrender Drohungen mit Zöllen auf Automobileinfuhren blieb die deutsche Wirtschaft außerhalb der Branchen Stahl und Aluminium bisher weitgehend von den direkten Folgen höherer US-Zölle verschont.

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