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Hubertus Bardt / Michael Grömling / Michael Hüther IW-Kurzbericht Nr. 12 23. Februar 2021 Risiken für die industrielle Erholung

Nach dem dramatischen Absturz im ersten Lockdown aufgrund der Corona-Welle im Frühjahr 2020 kommt die deutsche Industrie bisher vergleichsweise gut durch den zweiten Lockdown. Während Restaurants, Geschäfte, Kulturinstitutionen oder Sport- und Freizeiteinrichtungen weiterhin geschlossen sind, kann in der Industrie kontinuierlich produziert werden. Unter der Oberfläche haben sich jedoch seit Jahresanfang 2021 eine Reihe von Risiken für die Fortsetzung der industriellen Erholung angesammelt.

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Risiken für die industrielle Erholung
Hubertus Bardt / Michael Grömling / Michael Hüther IW-Kurzbericht Nr. 12 23. Februar 2021

Risiken für die industrielle Erholung

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Nach dem dramatischen Absturz im ersten Lockdown aufgrund der Corona-Welle im Frühjahr 2020 kommt die deutsche Industrie bisher vergleichsweise gut durch den zweiten Lockdown. Während Restaurants, Geschäfte, Kulturinstitutionen oder Sport- und Freizeiteinrichtungen weiterhin geschlossen sind, kann in der Industrie kontinuierlich produziert werden. Unter der Oberfläche haben sich jedoch seit Jahresanfang 2021 eine Reihe von Risiken für die Fortsetzung der industriellen Erholung angesammelt.

Auch wenn Industriebetriebe im Frühjahr 2020 nicht aufgrund staatlicher Vorgaben geschlossen werden mussten, standen wichtige Teile mit dem ersten Lockdown still. Insgesamt sank die Produktion zwischen Februar und April letzten Jahres um 29,4 Prozent. Vor allem die für die deutsche Volkswirtschaft so bedeutende Autoindustrie (Puls/Fritsch, 2020) stand nach einem Minus von 74 Prozent praktisch still, gleiches galt für das Gastgewerbe. Dem Absturz folgte eine zügige Erholung. Bis zum Jahresende 2020 konnte das Vorjahresniveau in der Industrie fast wieder erreicht werden, während das Gastgewerbe bereits unter dem zweiten Lockdown litt. Im Dezember 2020 lag die Industrieproduktion nur noch um gut 4 Prozent unter dem Jahresdurchschnitt 2019. Für das gesamte Jahr 2020 ergibt sich für die Industrie unter dem Strich ein Minus von 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Produktionslücke zum Jahr 2018 beläuft sich allerdings noch auf 14 Prozent.

Bis aber alle aufgerissenen Lücken geschlossen sind, wird noch einige Zeit ins Land gehen. Immerhin rechneten im November 2020 die Hälfte der Industriefirmen noch für das Jahr 2022 mit Produktionsrückständen (Bardt/Grömling, 2021). Die aktuelle Krise der Volkswirtschaft durch die zweite Corona-Welle mit einem Lockdown von mittlerweile schon vier Monaten wird die Wachstumsaussichten der Industrie nicht stärken, auch wenn sie bisher recht unbeschadet durch die Krise zu gehen scheint. Doch die oberflächliche Stabilität darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich eine Vielzahl von Risiken auf der Angebots- und Nachfrageseite angesammelt hat, die kurzfristig zu erheblichen Problemen und Rückschlägen führen können.

  • Bisher gut verkraftet wurden Quarantäne, Schulschließungen und Ausfall anderer Betreuungsmöglichkeiten. Die Sorge, der Ausfall von Mitarbeitern könnte die Industrieproduktion in Mitleidenschaft ziehen, hat sich nicht bestätigt.
  • Auch die Erreichbarkeit der Betriebe konnte sichergestellt werden. Eine erhebliche Einschränkung des ÖPNV würde dies aber gefährden.
  • Ebenso sind die Lieferketten und die Wertschöpfungsketten weiterhin intakt. Während im Frühjahr internationale Zulieferer ausgefallen sind, konnten die Produktionsverbünde im Winter aufrechterhalten werden. Voraussetzung dafür ist aber eine positive Entwicklung der Corona-Fallzahlen bei den europäischen Handelspartnern.
  • Die Schließung des Handels bringt ebenfalls Produktionsrisiken mit sich. Nach einiger Zeit werden die Güter nicht mehr hergestellt, die auch nicht verkauft werden müssen. Geschlossene Autohäuser waren Teil der Industrie-Krise im Frühjahr 2020.
  • Eine massive Bedrohung mit kurzfristig möglichen Konsequenzen für die industrielle Wertschöpfung liegt in der Schließung der europäischen Grenzen. Ohne den störungsfreien Warentransport kann keine moderne Just-in-Time- oder Just-in-Sequence-Produktion aufrechterhalten werden. Dabei reicht es nicht aus, dass die Güter die Grenze überqueren können. Auch Fahrer und Schiffsführer müssen ohne lange Verzögerungen an den Grenzen einreisen und sich lange genug in den Zielländern aufhalten dürfen. Schon heute wird der andauernde Ausfall von Dienstreisen als Hemmnis für Kundenbindung, Geschäftsanbahnung und Dienstleistungserbringung gesehen. Die aktuell drohenden Werksschließungen durch den eingeschränkten Grenzverkehr mit Tschechien ist ein akutes Warnsignal.
  • Zusätzliche Probleme sind in der internationalen Logistik entstanden. Ausgefallene Lieferungen des letzten Jahres werden nun nachgeholt. Der schnelle Aufschwung der Wirtschaft im zweiten Halbjahr hat die Nachfrage nach internationalen Transportdienstleistungen weiter gesteigert. Inzwischen sind Schiffskapazitäten knapp und teuer geworden, was die weitere Expansion von Güterhandel- und Produktion bremst. Der Rückgang der Charterpreise im ersten und zweiten Quartal von 23 beziehungsweise 30 Prozent wurde schon im dritten Quartal überkompensiert. Seitdem zeigte die Preisentwicklung weiter nach oben und liegt jetzt 32 Prozent über dem Wert von Anfang 2020.
  • In der Automobilindustrie ist ein zusätzliches kurzfristiges Problem virulent geworden. So fehlt es an Halbleitern, um den Bedarf durch die überraschend starke und schnelle Erholung der Automobilproduktion zu decken. Kurzfristig mangelt es an verfügbaren Angeboten, die Kapazitäten sind für andere Produkte eingeplant. Stockende Produktion durch fehlende Teile und drohende Ausfälle gefährden die Erholung dieser Schlüsselbranche.
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Neben diesen vorwiegend angebotsseitigen Verunsicherungen bestehen auch von Seiten der Nachfrage ernstzunehmende Risiken. Die Zeichen stehen zwar gut, dass mit der fortschreitenden Impfung der Bevölkerungen die Weltwirtschaft im Jahresverlauf 2021 wieder an Fahrt aufnimmt. Bereits im vergangenen Jahr hat sich das deutsche Exportgeschäft, das maßgeblich von der Industrie bestückt wird, unerwartet kräftig erholt.

  • Im April 2020 lagen die Auslandsaufträge um gut ein Drittel unter dem Niveau des Gesamtjahres 2019, gegenüber Januar 2020 belief sich die Fallhöhe sogar auf über 40 Prozent (Abbildung). Bis zum Jahresende 2020 füllten sich die Auftragsbücher mehr und mehr und im Dezember lagen die Auslandsorder bereits um gut 12 Prozent über dem Jahresmittel 2019. Ein Teil davon füllt sicherlich noch die Lücken aus dem Frühjahr. Ein Teil mag auch auf das Konto der Wachsamkeit hinsichtlich von möglichen Lieferproblemen im ersten Quartal 2021 gehen. Letztlich stabilisiert dies aber die aktuelle Produktion.
  • Während die Aufträge aus dem Nicht-Euroraum bis einschließlich Dezember 2020 kontinuierlich zulegten, wurden die Bestellungen aus dem Euroraum zuletzt wieder spürbar zurückhaltender. Das direkte und nach wie vor wichtige europäische Umfeld der deutschen Exportwirtschaft ist alles andere als robust. Vor allem bei den Investitionsgütern wird sich erst noch beweisen müssen, ob und wie nachhaltig der globale und insbesondere der europäische Investitionszyklus in diesem Jahr anzieht.
  • Die Inlandsaufträge der deutschen Industrie gewähren über die letzten Monate eine stabile Produktionsperspektive. Seit Oktober 2020 liegen die Bestellungen von Kunden aus dem Inland leicht oberhalb des Jahresdurchschnitts 2019. Das hilft deutlich, die Geschäftsausfälle vom Frühjahr Stück für Stück auszugleichen. Zudem haben diese moderaten Orderzuwächse bis zum Jahresende 2020 eine stabile Produktionsperspektive für den Start in das Jahr 2021 geliefert.

Die Entwicklung der Industrie ist von zentraler Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft. Die Tatsache, dass sie bisher gut durch die Winterkrise gekommen ist, bedeutet jedoch keine Entwarnung. Kurzfristige Zuspitzungen mit erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen sind möglich, wie die Sorge angesichts der aktuellen Erschwernisse an den Grenzen zeigt. Bei weiteren Entscheidungen über Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung muss darauf geachtet werden, die Risiken für industrielle Wertschöpfung nicht weiter zu erhöhen.

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Hubertus Bardt / Michael Grömling / Michael Hüther: Risiken für die industrielle Erholung

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