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Hubertus Bardt / Michael Hüther IW-Kurzbericht Nr. 91 10. Dezember 2024 Verteidigungsfähigkeit erfordert Priorität im Bundeshaushalt und föderale Gesamtbilanz

Die Ampel-Koalition ist über die Finanzierung der unterschiedlichen Politikbereiche zerbrochen, doch eine neue Bundesregierung wird von ähnlichen Herausforderungen stehen.

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Verteidigungsfähigkeit erfordert Priorität im Bundeshaushalt und föderale Gesamtbilanz
Hubertus Bardt / Michael Hüther IW-Kurzbericht Nr. 91 10. Dezember 2024

Verteidigungsfähigkeit erfordert Priorität im Bundeshaushalt und föderale Gesamtbilanz

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Ampel-Koalition ist über die Finanzierung der unterschiedlichen Politikbereiche zerbrochen, doch eine neue Bundesregierung wird von ähnlichen Herausforderungen stehen.

Neben notwendigen Ausgaben für Investitionen in Infrastruktur sowie zur Finanzierung der anstehenden Transformation erfordert die Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine starke haushälterische Schwerpunktsetzung. Mit der neuen US-Administration und der anhaltenden russischen Aggression dürfte sich dieser Druck noch weiter erhöhen. Die Finanzierungslücke kann im Laufe der nächsten Legislaturperiode auf 74 Milliarden Euro jährlich ansteigen.

Mit dem Ende des Kalten Krieges eröffnete sich für die Bundesrepublik ein erhebliches Sparpotenzial: Der Verteidigungshaushalt wurde immer weiter reduziert, da die akute Bedrohung durch den Warschauer Pakt nicht mehr existent war. Deutschland schien, wie Bundespräsident von Weizsäcker zum Tag der deutschen Einheit 1990 formulierte, „nur noch von Freunden umgeben“.

Schon in den 1980er Jahren war der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt von 3 auf 2,5 Prozent gesunken (SIPRI Military Expenditure Database, 2024). Bis Mitte der neunziger Jahre fiel der Anteil weiter auf nur noch 1,5 Prozent. Im ersten Jahr nach der deutschen Einheit wurden noch 4,3 Prozent des Bundeshaushalts für Verteidigung ausgegeben, vier Jahre später waren es nur 2,7 Prozent. Diese De-Priorisierung im Bundeshaushalt setzte sich bis 2021 fort.

Daran änderte sich auch der zunehmende Druck der NATO und insbesondere seitens der USA nichts, ebenso wenig die sich schrittweise verschärfende Sicherheitslage. Auf dem Gipfel von Wales 2014 akzeptierten alle NATO-Partner, ihre Verteidigungsausgeben in Richtung von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen (NATO, 2014). Dies war eine Reaktion auf die russische Annexion der Krim und die faktische Besetzung der Ost-Ukraine. Der politische Druck, der schon unter US-Präsident Obama erhöht wurde, hat sich auf die deutschen Verteidigungsausgaben praktisch nicht ausgewirkt. Ein Anstieg von 1,2 auf 1,5 Prozent war erst zu beobachten, als Trump Präsident der USA war und die Verlässlichkeit der NATO infrage stellte. Gemessen an dem Szenario, dass sich Europa stärker selbst um die eigene Verteidigung kümmern müsse, sind diese Steigerungen völlig unzureichend gewesen.

Das ist fragwürdig, denn der Staat hat aufgrund völkerrechtlich anerkannter Souveränität und rechtsstaatlich definierten Gewaltmonopols das Mandat für die öffentlichen Güter äußere und innere Sicherheit (Hüther/Gerards Iglesias, 2024).

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Damit erfüllt er elementare Voraussetzungen gesellschaftlicher Entwicklung und wirtschaftlicher Dynamik. Doch erst der russische Überfall auf die Ukraine hat zu einer gewissen Prioritätenverschiebung geführt. Nach der Zeitenwende-Rede von Bundeskanzler Scholz und der Einrichtung des Sondervermögens wurden die Ausgaben gesteigert und erreichten 2024 erstmals die 2-Prozent-Marke (Röhl, 2024). Diese ist zwischenzeitlich auf dem Gipfel von Vilnius im Jahr 2023 als Reaktion auf die russische Aggression von den NATO-Mitgliedern als Untergrenze definiert worden (NATO, 2023).

Auch wenn das gemeinsame NATO-Ziel im letzten Bundeshaushalt der Ampel-Koalition erstmalig erreicht und sogar leicht übertroffen wurde, ist die dauerhafte Erfüllung dieser Verpflichtung keineswegs abgesichert (Bardt, 2024a). Die mittelfristige Finanzplanung sieht eine nominale Konstanz des Einzelplans 14 (Verteidigungsministerium) vor. Die Differenz wird im Wesentlichen aus dem Sondervermögen Bundeswehr gedeckt. Dieses wird rechnerisch Ende 2027 aufgebraucht sein. Spätestens dann ist eine deutliche Erhöhung der regulären Budgetansätze oder eine weitere Sonderfinanzierung notwendig.

Nach aktueller mittelfristiger Finanzplanung soll der Verteidigungshaushalt von 53,5 Milliarden auf 80 Milliarden ansteigen, um so die NATO-Vorgabe zu erfüllen. Dieser Aufwuchs wird durch eine entsprechende pauschale Reduktion des Einzelplans 60 „Allgemeine Finanzverwaltung“ rechnerisch ausgeglichen. Hier ist ein Rückgang von über 31 auf unter 3 Milliarden Euro vorgesehen. Eine solche Kürzung erscheint materiell nicht glaubwürdig. Eine Finanzierung des 2 Prozent-Ziels innerhalb des bestehenden Haushaltsrahmens nach Auslaufen des Sondervermögens erfordert damit erhebliche zusätzliche Einsparungen, zusätzliche Steuereinnahmen oder eine ergänzende Kreditaufnahme.

Die formale vorhandene, aber materiell unzureichend unterlegte Finanzplanung zur Sicherung des 2 Prozent-Ziels führt zu Unsicherheiten hinsichtlich der Zielerreichung und stellt die Glaubwürdigkeit der politischen Verpflichtung infrage. Diese Unsicherheit führt dazu, dass die notwendige Planungsperspektive für die Industrie nicht vorliegt und entsprechende Kapazitäten zur Produktion von Verteidigungsgütern nicht aufgebaut werden können (Bardt, 2024b). Das fehlende mittelfristige Finanzierungscommitment droht so die Ausrüstungsmöglichkeiten der Bundeswehr und die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu schwächen.

Auch mit Blick auf die NATO-Partner ist eine materiell glaubwürdig sichergestellte Finanzierung der Verteidigung auf dem Niveau von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts essenziell. Wenn Deutschland seine Verpflichtung nicht einhält, kann nicht erwartet werden, dass die anderen NATO-Partner dies ausgleichen und die Bündnisverteidigung gewährleisten. Insbesondere die USA unter Präsident Trump dürften auf solche Signale empfindlich reagieren. Wenn in Konsequenz die Glaubwürdigkeit der gemeinsamen NATO-Verteidigung weiter geschwächt wird, kann sich dies zu einer existenziellen Bedrohung der äußeren Sicherheit entwickeln. Eine robuste wirtschaftliche Entwicklung ist dann arg behindert.

Auf internationaler Ebene ist zudem zweifelhaft, ob das bisherige Ziel von 2 Prozent dauerhaft ausreichend sein wird. Seit dieses Ziel formuliert wurde, hat sich die Sicherheitssituation in Europa grundlegend verändert, sodass deutlich höhere Anstrengungen notwendig sein dürften. Das 2-Prozent-Ziel ist damit als Untergrenze zu verstehen, die Größenordnung von 3 Prozent wird vielfach diskutiert.

In den Jahren 2025 bis 2027 wird das 2-Prozent-Ziel erreicht, wenn für den Bundeshaushalt die mittelfristige Finanzplanung sowie das verbleibende Sondervermögen herangezogen wird. Wird dies für 2028 ohne die unzureichend unterlegte Mittelaufstockung auf 80 Milliarden Euro fortgeschrieben, fehlen in dem Jahr allein 21,5 Milliarden Euro (Abbildung).

Als realistisches Alternativszenario kann angenommen werden, dass das NATO-Ziel bis 2028 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ansteigt. In diesem Fall steigt der ungedeckte Finanzierungsbedarf nach Auslaufen des Sondervermögens auf 74 Milliarden Euro jährlich. Für die gesamte Legislaturperiode wären 136 Milliarden Euro zusätzlich zu finanzieren, um die zentrale Staatsaufgabe der äußeren Sicherheit erfüllen zu können.

Dabei ist nicht berücksichtigt, welche Kosten bereits jetzt und nicht erst im Konfliktfall für die Sicherstellung der infrastrukturellen Unterstützung, Ausstattung und Begleitung der Bündnistruppen im Falle eines Krieges Russlands gegen die NATO in Deutschland zu tragen sind (Hüther/Gerards Iglesias, 2024). Das weist darauf hin, dass die Bundesregierung dringend eine föderale Gesamtbilanz für die Verteidigung erstellen sollte, die alle absehbaren finanziellen Bedarfe erfasst. Gerade für die Sicherstellung sind Kommunen und Länder gefordert, aber bisher weder im Stande noch vorbereitet, um diese Lasten tragen zu können.

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