Vor kurzem haben Uğur Şahin und Özlem Türeci das Bundesverdienstkreuz für ihre patentgeschützte Entwicklung des weltweit ersten COVID-19-Impfstoffs erhalten. Die beiden stehen sinnbildlich für den unverzichtbaren Beitrag, den die Migration zur Innovationskraft Deutschlands leistet: 11,2 Prozent aller in Deutschland entwickelten Patente gehen inzwischen vollumfänglich auf Erfindende mit ausländischen Wurzeln zurück. Ohne sie wäre die Patentleistung hierzulande in den letzten zehn Jahren sogar gesunken.
Migration hält Deutschlands stotternden Innovationsmotor am Laufen
IW-Kurzbericht
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Vor kurzem haben Uğur Şahin und Özlem Türeci das Bundesverdienstkreuz für ihre patentgeschützte Entwicklung des weltweit ersten COVID-19-Impfstoffs erhalten. Die beiden stehen sinnbildlich für den unverzichtbaren Beitrag, den die Migration zur Innovationskraft Deutschlands leistet: 11,2 Prozent aller in Deutschland entwickelten Patente gehen inzwischen vollumfänglich auf Erfindende mit ausländischen Wurzeln zurück. Ohne sie wäre die Patentleistung hierzulande in den letzten zehn Jahren sogar gesunken.
Die vorliegende Studie analysiert, welchen Beitrag in Deutschland lebende Erfindende mit ausländischen Wurzeln zu den hierzulande entwickelten Patentanmeldungen leisten. Die Auswertung erfolgt mittels des eigens für die IW-Patentdatenbank entwickelten Vornamenmoduls, welches die rund 38.000 verschiedenen Vornamen aller in Deutschland wohnhaften Erfindenden beinhaltet, die seit dem Jahr 1994 an einer Patentanmeldung mit angestrebter Schutzwirkung für Deutschland beteiligt waren. In der Folge wurden diese Vornamen einem oder mehreren von insgesamt 24 Sprachräumen zugeordnet, um jene Region der Welt zu bestimmen, in der mit hoher Wahrscheinlichkeit die Wurzeln der betreffenden Personen liegen. Rund 92 Prozent dieser Vornamen sind spezifisch für einen bestimmten Sprachraum - Uğur und Özlem z. B. für den türkischen, Karl-Heinz und Hildegard z. B. für den deutschen. Für eine detaillierte Erläuterung des Vornamenmoduls siehe Koppel et al. (2018).
Grundlage der Analyse ist die Gesamtheit aller Patente, die im Zeitraum von 1994 bis 2018 hierzulande Schutzwirkung angestrebt haben (z. B. über eine Anmeldung beim Deutschen Patent- und Markenamt, beim Europäischen Patentamt oder der Weltorganisation für geistiges Eigentum) und an denen zumindest anteilig Erfindende mit Wohnsitz in Deutschland beteiligt waren. Zur Vermeidung von Doppelzählungen (z. B. bei internationalen Folgeanmeldungen) wurde eine Bereinigung auf Ebene von Patentfamilien vorgenommen. Da Patentanmeldungen einer 18-monatigen Offenlegungsfrist unterliegen, bildet 2018 das zum Auswertungszeitpunkt aktuelle Jahr.
Im Rahmen der Analyse erhalten Erfindende und damit deren Vornamen eine volle Patentanmeldung zugerechnet, wenn sie allein für die Erfindung verantwortlich zeichnen, jedoch z. B. nur ein Drittel, wenn die Anmeldung mit zwei weiteren Erfindenden geteilt wird. Es wird folglich nicht nur für alle Erfindenden deren zugehöriges Gewicht der Sprachräume ausgewertet, sondern dieser Wert wird zusätzlich durch die Anzahl der Erfindenden innerhalb einer Patentanmeldung geteilt. Natürlich leisten auch im Ausland wohnhafte Erfindende einen Beitrag zum Innovationsgeschehen in Deutschland. Da in dieser Studie jedoch der explizite Beitrag von Migration nach Deutschland gemessen wird, entfallen Anteile von Erfindenden mit Wohnsitz im Ausland, so dass das Ergebnis der fraktionalen Zählweise den vollpatentäquivalenten Anmeldungen mit erfinderischem Ursprung in Deutschland entspricht.
Einen Sonderfall der Analyse bilden internationale Vornamen wie Thomas, Christian oder Michael, die innerhalb der Population der in Deutschland wohnhaften Erfindenden mehrheitlich von Deutschen ohne Migrationsbezug, jedoch auch von Erfindenden mit Wurzeln im Ausland getragen werden. Diese Vornamen werden pauschal zu 5 Prozent der Sonderkategorie „Überlappend ausländisch-deutscher Sprachraum“ zugerechnet. Dies entspricht der aus Stichproben unter den Erfindenden folgenden Tatsache, dass rund fünf Prozent aller in Deutschland wohnhaften Erfindenden mit einem derartigen Vornamen englische, französische oder sonstige ausländische Wurzeln aufweisen.
Die Abbildung zeigt den Anteil der in Deutschland wohnhaften Erfindenden mit ausländischen Wurzeln an allen in Deutschland entwickelten Patenten, differenziert nach aggregierten Sprachräumen. Die Summe der fünf nichtdeutschen Sprachräume bildet dabei die strikte Untergrenze (10,0 Prozent im Jahr 2018), der kumulierte Wert inklusive des überlappend ausländisch-deutschen Sprachraums den realistischen Wert (11,2 Prozent im Jahr 2018). Eine unvermeidbare Untererfassung von Migration entsteht dadurch, dass Vornamen aus dem spezifisch deutschen Sprachraum auch in Österreich sowie in Teilen der Schweiz und Norditaliens Verwendung finden. Für in Deutschland wohnhafte und aus diesen Regionen zugezogene Erfindende kann folglich kein Migrationskontext identifiziert werden.
Wie die Abbildung zeigt, ist der Anteil der in Deutschland wohnhaften Erfindenden mit ausländischen Wurzeln an allen in Deutschland entwickelten Patenten zwischen 1994 und 2018 kontinuierlich von 3,8 auf 11,2 Prozent gestiegen, wobei sämtliche Sprachräume deutlich an Bedeutung gewonnen haben. Zuletzt zeichneten in Deutschland wohnhafte Erfindende mit ausländischen Wurzeln folglich bereits für jedes neunte in Deutschland entwickelte Patent verantwortlich. Und dieser Beitrag ist unverzichtbar für die Innovationskraft Deutschlands. Zwar ist die kumulierte Patentleistung von Erfindenden aus dem deutschen Sprachraum zwischen den Jahren 1994 und 2000 noch kontinuierlich gestiegen, seither stagniert sie jedoch und ist in den letzten zehn Jahren sogar gesunken. Die Ursachen hierfür liegen in der demografischen Entwicklung und verschärfend in den Arbeitsmarktengpässen technisch-naturwissenschaftlicher Qualifikationen und Berufe (Anger et al., 2020) begründet, die ihrerseits maßgeblich für Forschung, Entwicklung und in der Folge auch Patentanmeldungen verantwortlich zeichnen.
Unter dem Strich ist die kumulierte Anzahl der in Deutschland entwickelten Patentanmeldungen insgesamt zwischen 2008 und 2018 um 2,9 Prozent gestiegen, jene von Erfindenden aus dem deutschen Sprachraum jedoch um 1,8 Prozent gesunken, während jene von Erfindenden aus nichtdeutschen Sprachräumen um 84 Prozent gestiegen ist, darunter jene von Erfindenden aus dem indischen bzw. chinesischen Sprachraum gar um 303 bzw. 139 Prozent. Mit anderen Worten: Der in den letzten zehn Jahren ohnehin nur moderate Aufwuchs bei den in Deutschland entwickelten Patentanmeldungen ist ausschließlich Erfindenden mit ausländischen Wurzeln zu verdanken. Ohne sie wäre die gesamtwirtschaftliche Patentaktivität Deutschlands gesunken. Insbesondere potenzialorientierte Zuwanderung technisch-naturwissenschaftlicher Fachkräfte – und damit der Kerngruppe potenzieller Erfindender – aus Drittstaaten hat einen positiven Impuls zur Stärkung des deutschen Innovationssystems gesetzt.
Enno Kohlisch / Oliver Koppel: Migration hält Deutschlands stotternden Innovationsmotor am Laufen
IW-Kurzbericht
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