Wie könnte russisches Gas ersetzt werden? Wie kann der Gasverbrauch reduziert werden? Welche Handlungsoptionen hat die Politik? Die IW-Energieökonomen Andreas Fischer, Malte Küper und Thilo Schaefer erklären, weshalb die abwartende Haltung der Bundesregierung nachvollziehbar ist, gerade im Hinblick auf einen vermutlich irreversiblen Verzicht auf russische Gasimporte.
Gaslieferungen aus Russland können kurzfristig nicht kompensiert werden
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Wie könnte russisches Gas ersetzt werden? Wie kann der Gasverbrauch reduziert werden? Welche Handlungsoptionen hat die Politik? Die IW-Energieökonomen Andreas Fischer, Malte Küper und Thilo Schaefer erklären, weshalb die abwartende Haltung der Bundesregierung nachvollziehbar ist, gerade im Hinblick auf einen vermutlich irreversiblen Verzicht auf russische Gasimporte.
Mit jedem Tag, an dem die russische Invasion in die Ukraine andauert, mehren sich die Stimmen, die einen Boykott russischer Energielieferungen in die EU fordern. Durch den Verzicht auf den milliardenschweren Import von Kohle, Öl und Gas soll der Druck auf den Kreml weiter erhöht und Präsident Putin zum Einlenken gebracht werden, so sehen es die Befürwortenden. Die Kritiker:innen, zu denen auch die Bundesregierung um Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck zählt, warnen vor den in ihren Augen unkalkulierbaren Folgen eines sofortigen Importstopps und sehen insbesondere die Gasversorgung für den kommenden Winter gefährdet.
Kurzfristig wäre ein vollständiger Verzicht Deutschlands auf russische Energielieferungen mit enormen Folgewirkungen verbunden, da sich weder die Einfuhr ohne weiteres durch alternative Importe ersetzen ließe noch alle Verbraucher:innen unmittelbar ihre Energieversorgung auf einen anderen Energieträger umstellen können. Deutschland bezieht über die Hälfte seines Gases und ein Drittel des Rohöls aus Russland. Auch beim Import von Kohle ist Russland bislang der größte Lieferant. Ein sofortiger Stopp dieser Energieimporte würde demnach die deutsche Energieversorgung erst einmal infrage stellen. Zu untersuchen ist deshalb, inwieweit Deutschland im Falle eines Energieboykotts kurzfristig überhaupt genügend Kohle, Öl und Gas aus anderen Ländern importieren könnte.
Ausgangslage
Deutschland hat den Abbau heimischer fossiler Energierohstoffe bereits deutlich zurückgefahren. Das betrifft insbesondere den Abbau von Steinkohle, aber auch die eigene Gaserzeugung. Zudem ist der Ausstieg aus dem Braunkohletagebau bereits beschlossen. Die Wind- und Solarenergie ist im Zuge der Energiewende deutlich ausgebaut worden, dennoch kam dieser Ausbau zuletzt ins Stocken und so konnte die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern kaum noch reduziert werden. Steinkohle, Erdgas, Erdöl und Uran für die bisher noch nicht abgeschalteten Atomkraftwerke werden nahezu gänzlich importiert. Angesichts der ambitionierten Klimaziele des Green Deal auf europäischer Ebene und des deutschen Klimaschutzgesetzes ist ein erheblicher Umbau der Energieversorgung ohnehin erforderlich und muss deutlich an Fahrt gewinnen, wenn die Ziele in der festgelegten Zeit erreicht werden sollen. Dazu muss durch einen konsequenten Umstieg auf erneuerbare Energien der Einsatz fossiler Energieträger deutlich verringert werden. Doch auch wenn die besonders klimaschädliche Stein- und Braunkohle bis Ende des Jahrzehnts weitestgehend an Bedeutung verlieren wird, wird Mineralöl und insbesondere Gas mittelfristig noch eine zentrale Rolle in der Energieversorgung zukommen.
Verschiedene Studien, die den Pfad zur Klimaneutralität 2045 untersucht haben, prognostizieren bis 2030 nur eine leicht verringerte Nachfrage nach Erdgas von 6 % bis 17 % (BCG, 2021; dena, 2021; Prognos et al., 2021). Grund dafür ist, dass Deutschland bislang auf Erdgas als Übergangsenergieträger setzen wollte, da es weniger emissionsintensiv als Kohle und gleichzeitig flexibler in seiner Nutzung als beispielsweise Atomkraft ist. Der Ausbau erneuerbarer Energien sollte auf diese Weise durch Gaskraftwerke flankiert und die Versorgungssicherheit in Zeiten geringer erneuerbarer Einspeisung garantiert werden. Zu Beginn des Jahres ordnete die europäische Kommission in ihrer Taxonomie demnach Erdgas als „vorübergehend nachhaltig“ ein, was als Zugeständnis an Deutschland verstanden werden kann, das in wenigen Jahren sowohl aus der Atomenergie als auch aus der Kohlenutzung aussteigen möchte.
Aktuelle Situation
Russland ist Deutschlands wichtigster Energielieferant. Sollten die von dort bezogenen Mengen nicht mehr zur Verfügung stehen, gilt es in kürzester Zeit für Ersatz zu sorgen. Wie schnell dies gelingen kann, hängt dabei nicht nur von den verfügbaren Angebotsmengen auf den Weltmärkten, sondern auch von der energieträgerspezifischen Transport- und Speicherinfrastruktur ab.
Die Importe von russischer Steinkohle, die zuletzt etwa 45 % der Gesamtimporte ausmachten, könnten nach Einschätzung der Bundesregierung und des Vereins der Kohlenimporteure innerhalb weniger Monate vollständig ersetzt werden. Durch die geringeren Anforderungen an Transport und Speicherung lassen sich kurzfristig zusätzliche Mengen aus Ländern wie den USA, Kolumbien oder Australien beziehen. Für Steinkohle gibt es einen ausreichend großen Weltmarkt, zudem können unterschiedliche Steinkohlequalitäten gemischt werden.
Mineralöl, das im Jahr 2021 zu 34 % aus Russland importiert wurde, wäre dagegen kurzfristig deutlich schwieriger zu ersetzen, obwohl sich bereits einige Veränderungen auf dem globalen Ölmarkt bemerkbar machen. So ist eine Preisdifferenz von über 20 US-$ pro Barrel zwischen russischem Öl und qualitativ vergleichbaren Produkten entstanden. Daher kann bereits jetzt ein Rückgang in der Nachfrage nach russischem Rohöl beobachtet werden. Russisches Öl lässt sich allerdings insbesondere an den Raffineriestandorten, die zu Zeiten der Sowjetunion an das russische Pipelinenetz angeschlossen wurden, kurzfristig schwierig ersetzen. Die Folgen eines Ölembargos würden sich daher zunächst vor allem in den ostdeutschen Bundesländern bemerkbar machen. Insgesamt kommt rund ein Viertel der europäischen Ölimporte nach Mittel- und Osteuropa durch die Druschba-Pipeline.
Noch kritischer als bei Steinkohle und Mineralöl wäre die Situation im Falle eines Energieboykotts bei der Versorgung mit Erdgas. Russische Gaslieferungen deckten in den vergangenen Jahren mehr als die Hälfte des deutschen Bedarfs und knapp 40 % der europäischen Nachfrage, einzelne Länder im Baltikum und Osteuropa beziehen ihr Gas sogar fast ausschließlich aus Russland. Die drei wichtigsten Pipelinerouten für russisches Gas in den Westen waren bisher Nord Stream 1, die JAMAL-Leitung über Weißrussland und Polen und der Ukrainekorridor. Davon abgesehen bestehen in Europa Pipelineverbindungen nach Norwegen, Nordafrika und Aserbaidschan. Zusammen wurden über die verschiedenen Pipelines im Jahr 2021 etwa 80 % des europäischen Gasbedarfs gedeckt. Weitere 20 % wurden als Flüssiggas (LNG) per Schiff importiert und an dafür vorgesehen Terminals wieder regasifiziert. Besonders gefragt war Flüssiggas in Ländern wie Spanien, Portugal oder Frankreich. Würden die russischen Gaslieferungen ausbleiben, müsste zum einen über die bestehenden Pipelines und zum anderen über Flüssiggasimporte ein Großteil des bisherigen Bedarfs ersetzt werden.
Gaslieferungen aus Russland können kurzfristig nicht kompensiert werden
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Die entscheidende Energie-Reform, die Deutschlands Zukunft sichern kann
Neben Migration und Haushaltslöchern prägte die Energiewende die kurze Ampel-Zeit: Um Versorgung zu sichern und wettbewerbsfähiger zu werden, sind schnelle Lösungen nötig, schreibt IW-Ökonom Andreas Fischer in einem Gastbeitrag für Focus Online – jetzt und für ...
IW
„Rückkehr zur Atomkraft wäre nicht sinnvoll“
Seit mehr als einem Jahr gibt es in Deutschland keine Atomkraftwerke mehr – trotzdem fordern manche, wieder in die Kernkraft einzusteigen. IW-Energieexperte Malte Küper erklärt im Interview mit der Stuttgarter Zeitung, warum viel dagegen spricht.
IW