Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung ist das Armutsrisiko von Familien mit Kindern höher als gedacht – dies liegt aber vor allem daran, dass gemäß der neuen Berechnungsmethode der Wohlstand der meisten Familien – und damit auch die Armutsschwelle – deutlich höher ausfällt als bisher.

Armutsrisiko von Familien: Neue Methode, neue Schwächen
Die Berechnung der Schwelle zur Armutsgefährdung und die Berücksichtigung des Bedarfs unterschiedlicher Haushaltstypen folgen weitgehend internationalen Konventionen. Dabei wird beispielsweise angenommen, dass das Leben günstiger wird, wenn mehrere Menschen zusammenleben. Ein Paar ohne Kinder muss demnach nur über das 1,5-fache des Einkommens eines Singlehaushalts verfügen, um statistisch zur selben Einkommensgruppe zu gehören. Diese Gewichtung des Bedarfs ist nicht unumstritten, weder politisch noch wissenschaftlich. Die Bertelsmann-Studie geht deshalb nun einen neuen Weg: Dabei wird der Bedarf einkommensabhängig gemäß der tatsächlichen Ausgaben unterschiedlicher Haushaltstypen in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe geschätzt. Dahinter steckt die – durchaus plausible – Vermutung, dass die finanzielle Belastung durch zusätzliche Haushaltsmitglieder im unteren Einkommensbereich höher ausfällt als bei wohlhabenden Haushalten.
Nach der neuen Berechnungsmethode stehen Familien mit sehr geringem Einkommen schlechter da als bisher. Für die meisten Haushalte wurden die Kostenersparnisse aus dem Zusammenleben bislang aber laut der Studie eher unterschätzt. Dies gilt keineswegs nur für reiche Haushalte: Bei mehr als 80 Prozent aller Paarhaushalte mit Kindern liegt der Wohlstand gemäß der Bertelsmann-Studie höher als nach konventioneller Berechnung. Der Vergleich mit den bisherigen Bedarfsgewichten zeigt: Alle Familien mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von mehr als etwa 2.000 Euro stellen sich mit den neuen Bedarfsgewichten finanziell besser. Dadurch steigt das bedarfsgewichtete Medianeinkommen, was wiederum auch Auswirkungen auf die Armutsgefährdungsquote hat. Da die Einkommensgrenze, unterhalb derer ein Haushalt als armutsgefährdet gilt, vom Medianeinkommen abhängt, erhöht sich diese Grenze durch die neue Berechnungsmethode deutlich: Ein Alleinstehender würde nun bis zu einem Einkommen von 1.168 Euro monatlich als armutsgefährdet gelten und nicht mehr nur bis rund 1.000 Euro wie bisher.
Der Anstieg der Armutsgefährdungsquote basiert vor allem darauf, dass kleine Haushalte zurückfallen, die weniger von den niedrigeren Kosten des Zusammenlebens profitieren. Neben Singlehaushalten betrifft dies insbesondere Alleinerziehende mit einem Kind – beides Haushaltstypen, die bereits nach konventioneller Methode als besonders von Armut betroffene Risikogruppen identifiziert wurden. Zudem ist auch die Berechnungsmethode der Bertelsmann-Stiftung streitbar: Die angewandte Methodik ist zwar zur Berechnung der Bedarfsgewichte bezogen auf die regelmäßigen Konsumausgaben bereits erprobt. In der Studie wird das Konzept jedoch auf das gesamte Einkommen – also auch auf einmalige Anschaffungen und Ersparnisse – ausgeweitet. Das scheint diskutabel, weil Ersparnisse und langfristige Anschaffungen andere Eigenschaften aufweisen, die nicht mit den alltäglich anfallenden Konsumausgaben vergleichbar sind. Zum Beispiel fallen bei einem Autokauf die Ausgaben und die Nutzung zeitlich auseinander. Verzerrend wirkt außerdem, dass Ersparnisse und langfristige Anschaffungen viel stärker vom jeweiligen Wohlstand abhängen als die Konsumausgaben.

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