Bis Mitte Juni dürften in Deutschland bereits eine halbe Million Arbeitstage durch Arbeitskämpfe verloren gegangen sein. Das wäre der höchste Wert seit 1993. Damals fielen fast 600.000 Tage aus, ein Jahr zuvor sogar 1,5 Millionen – damals allerdings jeweils für das komplette Jahr. Doch es gibt einen Unterschied zu damals: In diesem Jahr toben in Deutschland gleich mehrere Tarif-Großkonflikte parallel.
Extreme Konflikteskalation
Wenn Lotsen, Piloten oder Lokführer streiken, sind viele betroffen, aber die Arbeitskampfstatistik lässt das ziemlich kalt. Erst wenn große Organisationen zum Ausstand aufrufen, hinterlässt das Streikgeschehen seine Spuren in der Statistik – so auch in diesem Jahr: Da kamen zu den Dauerstreiks bei Bahn und Lufthansa bereits zu Jahresbeginn massive Warnstreiks in der Metall- und Elektro-Industrie - die IG Metall rief nach eigenen Angaben im Januar und Februar mehr als 870.000 Arbeitnehmer zur Teilnahme auf. Zuletzt folgten die unbefristeten Arbeitskämpfe bei den Kitas und aktuell bei der Deutschen Post. Dort befanden sich zuletzt fast 18.000 Beschäftigte im Ausstand. In Deutschland wird derzeit also nicht nur besonders viel gestreikt, sondern es fallen auch viele Arbeitstage aus.
Der Blick auf die verschiedenen Eskalationsstufen von Tarifauseinandersetzungen unterstreicht, dass es in diesem Jahr ungewöhnlich ruppig zugeht (Tabelle): Ohne Eskalation brachte bisher allein der Marburger Bund seine Tarifverhandlungen über die Bühne. Dass Verdi bei der Deutschen Lufthansa nach drei Verhandlungsrunden noch ruhig bleibt, dürfte indes vor allem mit den diversen Großbaustellen der Gewerkschaft zusammenhängen. Denn nachdem sich die Gewerkschaft bei Amazon und bei den Kitas festgefahren hat, will sie jetzt den hohen Organisationsgrad bei der Deutschen Post nutzen, um erfolgreich zu sein.
Ungemach könnte zudem bald wieder in anderen Branchen drohen: Derzeit befinden sich vier Konflikte in der Schlichtung. Aber nur wenn diese allesamt erfolgreich verlaufen, wird sich das Streikgeschehen im zweiten Halbjahr beruhigen.
Laufende und abgeschlossene Tarifkonflikte 2015
Maximale Eskalationsstufe: 0=Tarifverhandlung; 1=Streikdrohung; 2=Abbruch der Verhandlungen; 3=Streikaufruf; 4=Warnstreik; 5=Scheitern und Schlichtung/juristische Auseinandersetzung; 6=Scheitern und Urabstimmung/Scheitern und Streik, 7=Arbeitskampf; Stand 12. Juni 2015; Quelle: IW-Tarifdatenbank
Tarifliche Bezahlung als Instrument zur Fachkräftegewinnung?
Eine erfolgreiche Gewinnung von Fachkräften rückt immer stärker in den Fokus der Unternehmen. Damit wächst auch die Herausforderung, Stellenanzeigen möglichst attraktiv zu gestalten. Da in der öffentlichen Debatte häufig eine Tarifbindung mit guten ...
IW
„In der Süßwarenindustrie droht keine Endlosspirale wie im Handel“
IW-Tarifexperte Hagen Lesch untersucht, wie konfliktreich Tarifverhandlungen sind. Im Interview mit der Lebensmittelzeitung erklärt er, warum es im Handel zuletzt besonders ruppig war und was er für die Gespräche in der Süßwarenbranche erwartet.
IW