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Tobias Hentze bei n-tv.de Interview 26. November 2021

Koalitionsvertrag: „Kein großer Wurf, aber ein guter Auftakt”

Die Ampelkoalitionäre haben die Messlatte zu Beginn ihrer Regierungszeit hoch gehängt. Die ambitionierten Ziele beispielsweise für Klimaschutz, Digitalisierung und Wohnungsbau werden Milliardensummen verschlingen. Woher das Geld kommen soll, bleibt allerdings unklar. IW-Ökonom Tobias Hentze spricht mit ntv.de über Schuldenbremse, Klimafonds und Lücken bei der Finanzierung.

Auffällig war ja, dass die Vertreter aller drei Parteien relativ gut drauf waren. Man kann sagen, dass es dafür auch ganz klar inhaltliche Gründe gab. Die SPD hat sich in wichtigen sozialen Fragen durchgesetzt. Mindestlohn, Kindergrundsicherung und Bürgergeld, also die Reform von Hartz IV, wären da die Stichworte. Die Grünen haben beim Klimaschutz deutliche Spuren hinterlassen. Das Thema nimmt eine sehr wichtige Rolle im gesamten Koalitionsvertrag ein. Und bei der FDP fällt mit als Erstes das Thema Digitalisierung ein. Auch das Thema zieht sich durch den Vertrag. Man kann also wirklich sagen, dass die Handschrift jeder der drei Parteien deutlich erkennbar ist.

In den ersten Reaktionen fällt immer wieder ein Wort: „ambitioniert”. Digitalisierung, vorgezogener Kohleausstieg, Ende des Verbrennungsmotors, 15 Millionen E-Autos bis 2030 auf deutschen Straßen, der Bau von 400.000 Wohnungen pro Jahr sind nicht nur inhaltlich große Ziele. Das alles kostet auch sehr viel Geld. Wurde hier solide gerechnet?

Wie für alle Koalitionsverträge gilt hier erstmal, dass Papier geduldig ist. Hier wurden viele Absichtserklärungen formuliert. Inwieweit die solide finanziert werden, werden wir sehen. Am Ende wird man auch diese Regierung an ihren Taten messen. Bisher sehe ich schon noch einige Lücken oder Fragezeichen bei der Finanzierung. Die Projekte kosten sehr viel Geld und in den meisten Punkten wird im Vertrag nicht klar formuliert, woher es kommen soll.

Dass die Schuldenbremse erhalten bleibt, macht es der neuen Regierung nicht leichter ...

Die Schuldenbremse bedeutet auf jeden Fall, dass die Verschuldung sehr restriktiv ausfallen muss, weil die Regeln eben so sind. Aber die Ampelkoalition hat zumindest schon zwei Ideen, wie sie an Geld kommen kann, das muss man auch klar sagen. Zum einen sollen öffentliche Unternehmen wie die Deutsche Bahn, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und die KfW stärker einbezogen werden. Sie sollen mehr machen als bisher. Und das läuft jenseits der Schuldenbremse. Zum anderen soll der Energie- und Klimafonds ausgebaut werden. Hier soll Geld für die nächsten Jahre geparkt werden. Dadurch, dass die Schuldenbremse in diesem und im nächsten Jahr ausgesetzt ist und die restriktiven Regeln der maximalen Verschuldung nicht gelten, kann der Fonds mit Schulden aufgefüllt werden. Dieses Geld kann dann ab 2023 ausgegeben werden. Das ist der konkreteste Finanzierungsansatz der neuen Regierung.

Kommt da viel Geld zusammen? Würden Sie sagen, hier ist ein großer Wurf zur richtigen Zeit gelungen?

Es ist nicht der ganz große Wurf, weil die Regierung vor einer Reform der Schuldenbremse zurückschreckt. Aber dadurch, dass der Umfang der Verschuldung 2021 und 2022 unbegrenzt ist, stellt sich jetzt die Frage, wie viel Geld die neue Koalition tatsächlich beabsichtigt in diesem Fonds zu parken. Nach oben gibt es kein Limit. Die Frage ist auch eine juristische: Darf man einen Energie- und Klimafonds mit Milliardensummen füllen mit der Begründung, dass wir eine Pandemie haben? Das ist offen und etwas widersprüchlich.

Die Ampel-Koalition will den Kohleausstieg möglichst im Jahr 2030 schaffen. Gleichzeitig wird aber die EEG-Umlage, mit der Ökostrom seit gut 20 Jahren gefördert wird, abgeschafft. Die CO2-Abgabe wird nicht erhöht. Und ein neues Klimageld wird im Koalitionsvertrag bislang nur angedeutet. Braucht so ein Kraftakt nicht einen konkreten Finanzierungsrahmen?

Ein deutlich beschleunigter Ausbau der Erneuerbaren Energien ist die wesentliche Voraussetzung für erfolgreichen Klimaschutz in Deutschland. Daher ist dieses Ziel richtig und wichtig. Das gilt aus meiner Sicht auch für die Abschaffung der EEG-Umlage, weil es an wichtigen Stellen eine Entlastung für Haushalte darstellt, die ansonsten überfordert wären. Es gibt aber Fragezeichen bei der Finanzierung, auch wegen eines anderen Aspekts, den die Ampelregierung sich auf die Fahnen geschrieben hat: der Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen. Alle Ausgaben sollen hinterfragt werden. Das ist erstmal ein guter Ansatz. Die Frage ist aber: Wird eine Transformation dadurch begünstigt oder behindert? Die Ampelkoalition hat sich zwei Beispiele vorgeknöpft: Das ist einmal das Steuerprivileg für Dieselfahrzeuge und das andere ist die Besteuerung von Hybridfahrzeugen. Bei denen soll es wohl Einschränkungen geben. Aber das Geld, das hier gespart wird, kann sicherlich nicht die ganzen Projekte im Klimaschutz finanzieren. Eine offene Frage ist deshalb: Wie stark wird die neue Ampelregierung an Steuervergünstigungen rangehen? Die Antwort bleibt der Koalitionsvertrag schuldig. Da wird es noch Diskussionen geben.

2030 soll Schluss sein mit dem Verbrennungsmotor. Rund 15 Millionen vollelektrische Autos sollen dann auf unseren Straßen fahren. „Ein bisschen Weihnachten und Ostern gleichzeitig”, hat das der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer kommentiert. Das Thema "Leitmarkt für E-Mobilität" habe schon Angela Merkel 2010 propagiert und nichts sei dabei herumgekommen und zu neuen Arbeitsplätzen werde im Koalitionsvertrag auch nichts gesagt. Glauben Sie, die Ampelregierung hat hier den besseren Plan?

In dem Bereich gibt es relativ viele Subventionen und Vergünstigungen. Stichwort: E-Autoprämie. Auch die alte Regierung hat so schon versucht, die Transformation voranzubringen. Die Ziele der alten und der neuen Regierung sind in der Tat gar nicht so verschieden: Klimaschutz, Digitalisierung, sozialer Ausgleich, Wettbewerbsfähigkeit, das kennen wir auch alles aus vorherigen Koalitionsverträgen. Natürlich steht auch dem Arbeitsmarkt ein Wandel bevor, wenn wir die Wirtschaft transformieren. Ein positiver Aspekt im Koalitionsvertrag ist, dass die Regierung sich bekennt, mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren, auch Startups zu fördern beispielsweise. Das ist die Basis, um in neuen Technologien voranzukommen, zukünftige Arbeitsplätze zu schaffen und zukünftiges Wachstum zu generieren. Ich habe eingangs gesagt, Papier ist geduldig. Auf die Taten kommt es an.

Die Ampelkoalition hat auch beim Wohnungsbau die Latte höher gehängt. Pro Jahr sollen jetzt 400.000 neue Wohnungen entstehen. Nur 100.000 davon sollen öffentlich gefördert werden, der Rest von privaten Investoren kommen. Was sagen Sie da dazu?

Wohnungen sind ein wichtiges Thema. Dass die Ampel hier einen Schwerpunkt legt, ist richtig. Aber aus unserer Sicht ist die Anzahl von 400.000 Wohnungen auf mittlere Sicht überdimensioniert. Zwar ist in Ballungszentren der Bedarf auch zukünftig hoch, in Kleinstädten und auf dem Land droht der Ampel-Plan jedoch über das Ziel hinauszuschießen. Leerstände könnten so zum Problem werden. Das führt zu Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt.

Wie beurteilen Sie die neue Idee der Aktienrente, die im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist?

Die Themen Rente und Steuern sind definitiv zwei Kapitel, die aus meiner Sicht nicht ambitioniert sind. Da soll sehr wenig passieren. Bei der Rente will man an den Haltelinien festhalten und ergänzt das System um die Aktienrente. Zehn Milliarden Euro sollen hier 2022 investiert werden. Das ist ein minimaler Betrag mit Blick auf die Rentenzahlungen, die wir haben. Selbst wenn die Rendite zehn Prozent sein sollte, bleibt es ein Tropfen auf dem heißen Stein. Kurz- und mittelfristig kann das keinen wesentlichen Beitrag zur gesetzlichen Rente liefern. Es hat höchstens eine symbolische Wirkung. Faktisch hat das keine stabilisierenden Effekte auf die nächsten Jahre. Bei dem Punkt Steuern sieht man, dass verschiedene Parteien sich auch neutralisieren können. Wenn ich an den Wahlkampf zurückdenke, dann wollte die FDP breite Entlastungen für alle. SPD und Grüne wollten höhere Steuern für Spitzenverdiener und Vermögende, teilweise auch für Unternehmen. Rausgekommen ist: "Wir machen daran nichts". Normalverdiener müssen auf Entlastungen verzichten, weil sich hier keiner zu sehr bewegen wollte. Beim Kapitel Steuern sehe ich schon eine gewisse Irrsinnigkeit. Die Parteien haben sich gegenseitig blockiert zum Schaden der Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen.

Die deutsche Wirtschaft ist bei verschiedenen Megatrends nur noch zweitklassig - Digitalisierung ist da nur ein Beispiel. Die Hoffnung ist, das Deutschland unter der Ampel eine Aufholjagd startet. Welche Note würden Sie dem Koalitionsvertrag vor diesem Hintergrund geben?

Die richtigen Themen sind im Koalitionsvertrag gesetzt. Wie die umgesetzt werden sollen, da gibt es offene Fragen. Aber insgesamt ist das schon ein guter Auftakt. Es kann aber auch sein, dass man die Note nach ein oder zwei Jahren noch mal revidieren muss.

Zum Interview auf n-tv.de

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