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Michael Hüther bei Capital Interview 4. Februar 2025

US-Strafzölle: „Trump erzählt Räuberpistolen wie vor acht Jahren”

Die deutsche Wirtschaftsleistung schrumpft und US-Präsident Trump verhängt Zölle gegen Handelspartner. IW-Direktor Michael Hüther erklärt im Interview mit Capial, wie Deutschland wieder stark werden und sich gemeinsam mit Europa wehren kann.

Herr Professor Hüther, Deutschland redet sich die Köpfe über die richtige Migrationspolitik heiß, die Diskussion über Maßnahmen gegen die schwache Konjunktur hat das Nachsehen. Stimmt die Gewichtung im Wahlkampf?

Bezogen auf die Herausforderung, vor der wir stehen, stimmt die Gewichtung nicht. Wir erleben gerade den perfekten Sturm auf die deutsche Volkswirtschaft: Die Anzahl der Erwerbspersonen schrumpft aus demografischen Gründen, die Globalisierung trifft uns besonders hart und wir haben Schwierigkeiten, die Transformation zur Klimaneutralität gut zu organisieren.

Die Wirtschaft aufzupäppeln ist also drängender als die Migration einzuschränken?

Die Attentate sind schlimm, keine Frage. Aber es ärgert mich, dass wir bei der Migration nicht wirklich über Inhalte reden. Welche Maßnahmen helfen denn gegen die irreguläre Migration? Außerdem scheinen viele nicht zu begreifen, wie uns die reguläre Migration mittlerweile hilft. Seit April 2020, als das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft trat, verzeichnen wir eine deutliche Qualitätsverbesserung bei der Migration in den Arbeitsmarkt: jünger, weiblicher, besser ausgebildet, eine höhere deutsche Sprachkompetenz. Die Menschen bringen all das mit, was wir uns gewünscht haben. Plötzlich debattieren wir aber so, als kämen ausschließlich Gewalttäter ins Land...

…was die AfD stark kolportiert. Wie bewerten Sie als Ökonom den Versuch der CDU vergangene Woche, ein hartes Migrationsgesetz mithilfe der Stimmen der AfD im Bundestag durchzubringen?

Es war eher ein Versagen von SPD und Grünen. Sie hätten dem Gesetz zustimmen können, denn was die CDU will, war ihnen ja nicht unbekannt und der SPD auch nicht wirklich fremd. Die ganze Debatte wird allmählich absurd. Jetzt fürchten viele um die Brandmauer gegen rechtsaußen, die nach meinem Eindruck nicht in Frage steht. Wie ich die CDU kenne, wird sie nicht mit der AfD zusammen regieren. SPD und Grüne nutzen die Lage aus, um sich mit einer moralischen Attitüde selbst über das eigene Scheitern bei diesem Problem hinwegzutäuschen.

Dennoch wurde die AfD durch den CDU-Versuch aufgewertet. Worin liegt die Gefahr für die deutsche Wirtschaft, wenn die extreme Rechte stark gemacht wird?

Man muss sich nur deren Programmatik anschauen: Sie geben auf die Probleme durch die alternde Gesellschaft keine Antwort, wollen aber die Energiewende rückabwickeln, und aus der Währungsunion und der Europäischen Union austreten. Das ist alles höchst gefährlich und würde der deutschen Wirtschaft schaden. Ohne die EU würden wir schlechter dastehen, da braucht man nur nach Großbritannien zu schauen.

Im Wahlkampf reden selbst Mitglieder der alten Ampelregierung die Wirtschaftslage in Grund und Boden. Ist es denn wirklich so düster?

Es ist schon so: Man hat sehr lange gebraucht, um die seit 2018 laufende industrielle Rezession zu begreifen – und wir haben bis heute keine stimmigen Antworten darauf. Wir stehen vor einem ziemlichen Chaos.

Was meinen Sie damit?

Viele Dinge sind völlig ungeklärt. Dabei muss es nun schnell um die Stärkung Europas gehen, um Maßnahmen gegen die Überalterung der Gesellschaft, auch um gezielte Einwanderung. Für den Weg zur Klimaneutralität braucht es eine wirksame Strategie, die dann nicht ständig zerredet werden darf. Und die Politik muss eine Erhöhung der Arbeitszeit durchsetzen: Vollzeiterwerbstätige arbeiten bei uns 250 Stunden im Jahr weniger als in der Schweiz – das ist nicht zukunftsfähig.

Wie schaut das Ausland auf die ehemalige Wirtschaftshochburg Deutschland?

Ich war letzte Woche in Ungarn. Die argumentieren inzwischen ähnlich wie die Italiener: Schuld an den Schwierigkeiten im eigenen Land ist immer Deutschland. Das ist billige Polemik, aber wir bieten ihnen gerade auch reichlich einfache Argumente an, wenn wir als einzige Volkswirtschaft nicht wachsen und zu wenig dagegen tun.

Noch grimmiger zeigt sich US-Präsident Donald Trump, der Strafzölle gegenüber Mexiko, Kanada und China verhängt, und Europa ähnliche Maßnahmen androht. Was heißt das für Deutschland?

Zölle schädigen unsere Wertschöpfungsketten, die aus Mexiko und Kanada in die USA verlaufen, besonders die der Automobilbranche. Deutsche Autowerke in den USA beziehen Zulieferungen aus Kanada und Mexiko. Was Trump nicht merkt: Zölle schwächen und schädigen nicht nur Kanada und Mexiko – sondern am Ende auch die USA. Sie gewinnen dadurch nichts und verlieren viel. Ich wundere mich immer, dass keiner Donald Trump mal erklärt, warum möglichst freier Handel so vorteilhaft ist.

Er begründet seine Maßnahmen mit den Worten: "Die EU hat uns so schlecht behandelt." Stimmt das?

Alles seltsam. Ich habe seine Rede zum Amtsantritt gehört, das war kurz vor dem Wahnsinn: Er sei von einer Kugel am Ohr getroffen worden und der liebe Gott habe ihn überleben lassen mit dem Auftrag: „Make America great again!“ Ich dachte, sowas kann man im 21. Jahrhundert keinem vernünftigen Menschen mehr erzählen. In den USA geht das offensichtlich. Faktisch hat sein Vorgänger Joe Biden eine sehr erfolgreiche Wirtschaftspolitik gemacht, unter ihm wurde der US-Industriesektor erstmals revitalisiert.

Trump will die Europäer zwingen, mehr Waren aus den USA kaufen. Aber wie? Offenbar sind etwa die US-Fahrzeuge für Europäer nicht attraktiv.

Genauso ist es. Was Trump betreibt, ist ökonomisches Kinderzimmer. Vor acht Jahren wollte er auch schon erreichen, dass wir Feuerwehrautos aus den USA kaufen. Die Dinger sind aber so riesig, dass sie bei uns nicht durch die mittelalterlich geprägten Stadtkerne passen würden. Der größte Autoexporteur aus den USA in den Rest der Welt ist übrigens BMW, vor allem mit seiner X-Serie, gebaut in South Carolina. Kurzum: Trump erzählt dieselben Räuberpistolen wie vor acht Jahren.

Schlittern wir durch Trumps Irrwitz in eine noch tiefere und längere Rezession?

Die deutsche Wirtschaft hat eine besondere Wettbewerbsposition, weil sie in bestimmten Nischen nicht ersetzbar ist. Aber unsere Arbeitsmarktsituation ist im Augenblick nicht gut, die Marke von drei Millionen Arbeitslosen wurde knapp gerissen. Es kommt sehr darauf an, was wir in Europa hinbekommen. Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen hat letzte Woche den „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ vorgestellt als Orientierung für das, was Europa tun will. Dazu zählen den Regelungs- und Verwaltungsaufwand drastisch reduzieren, für bezahlbare Energie sorgen und die Dekarbonisierung wettbewerbsfähig machen. Man wird sehen, was genau passiert.

Und mit eigenen Strafzöllen gegenhalten? Das hat Bundeskanzler Olaf Scholz gerade Richtung USA angedeutet.

Das haben wir 2018 gemacht, etwa gegen Harley Davidson-Motorräder. Mit 450 Millionen Menschen hat die EU den größten Binnenmarkt, das ist für die Amerikaner nicht uninteressant. Alles in allem ist aber nicht gut, was da passiert, weil es dem Gedanken von offenen Märkten und globaler Kooperation entgegensteht. Diesem Gedanken sollten wir folgen.

Deutschland ist gerade im Standby-Modus. Echte Durchbrüche auch in der Wirtschaftspolitik sind vor Sommer, wenn dann womöglich eine neue Regierung im Amt ist, kaum zu erwarten. Können wir uns diese Zwangspause leisten?

Sie ist leider unvermeidbar, die Regierung ist nun einmal auseinandergebrochen. Es sollten aber noch vor der Sommerpause klare Signale kommen. Ich halte das für möglich, auch wenn nach den Ereignissen der vergangenen Wochen eine Koalition der CDU sowohl mit SPD wie mit den Grünen eher schwieriger geworden ist. Die Preise dafür sind gestiegen.

Welche Koalition wäre Ihrer Ansicht nach am geeignetsten, um uns schnell aus der Wirtschaftskrise zu führen?

Es gibt faktisch nur zwei realistische Optionen: Schwarz-Rot und Schwarz-Grün. Da hängt es vom Personal ab. Schwarz-Rot mit den Sozialdemokraten Boris Pistorius, Jörg Kukies und Lars Klingbeil – da kann ich mir was Gutes vorstellen. Schwarz-Grün mit Habeck wird die Union nicht mitmachen. Aber wenn die SPD wieder sozialpolitische Preise fordert und die Grünen nicht verstehen, dass man die Energiewende stärker marktgetrieben umsetzen muss, wird es mit beiden Parteien schwierig. Ich bin mir aber auch nicht sicher, ob die Union wirklich konzeptionell gut vorbereitet ist auf die Herausforderungen.

Was sind aus Ihrer Sicht die drei entscheidenden wirtschaftlichen Probleme, die eine neue Bundesregierung sofort lösen muss?

Sie muss, erstens, schnell ein Signal senden für mehr Investitionen in Deutschland, über eine Investitionsprämie oder Superabschreibungen. Zweitens müssen die Strompreise runter. Drittens darf die Regierung nicht die Sozialbeiträge weiter hochlaufen lassen.

Wie wichtig ist das Vorantreiben der Energiewende?

Das ist natürlich wichtig. Dass da zuletzt viel Verunsicherung erzeugt wurde, auch durch Äußerungen von Friedrich Merz, ist nicht gut gelaufen.

Sie meinen sein Gerede von Windrädern, die am besten wieder abgebaut gehören, oder vom grünen Stahl, an dessen schnellen Erfolg Merz aber nicht glaubt?

Ich hätte das so nicht gesagt. Die deutsche Stahlbranche ist längst auf dem Weg zur Transformation. Und wir haben uns vor langer Zeit entschieden, die Stromversorgung durch Erneuerbare Energien sicherzustellen, die Netze auszubauen und für die Spitzenlast Gaskraftwerke vorzuhalten, die mittelfristig mit grünem Wasserstoff betrieben werden. Diesen Weg jetzt mit Kernenergie neu zu definieren, kostet immens viel Geld, dauert viel zu lange und wirft uns am Ende alle zurück.

Kann eine rasche ökonomische Genesung überhaupt gelingen, ohne die Schuldenbremse zu lösen und Konjunkturanreize zu setzen?

Eine neue Regierung wird die Schuldenbremse überprüfen müssen mit Blick auf den Investitionsbedarf bei der Infrastruktur und den Netzen. Das kriegen wir so nicht hin. Wir können – analog zur Bundeswehr - ein Sondervermögen über 60 Milliarden pro Jahr auf zehn Jahre einrichten. Das wissen auch die CDU-regierten Bundesländer. Insofern gehe ich davon aus, dass solch ein Sondervermögen kommen wird.

Zum Interview auf capital.de

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