1. Home
  2. Presse
  3. Jamaika oder Ampel-Bündnis?: Neue Koalition muss Zukunftsthemen anpacken
Zeige Bild in Lightbox
IMK-Chefökonom Sebastian Dullien (links) und IW-Direktor Michael Hüther (rechts) (© Quelle: IMK/IW)
Michael Hüther im WDR Interview 29. September 2021

Jamaika oder Ampel-Bündnis?: Neue Koalition muss Zukunftsthemen anpacken

Über die Frage, was die neue Bundesregierung jetzt wirtschaftspolitisch für Deutschland leisten muss und welche Koalition – Ampel oder Jamaika – besser geeignet wäre, diskutiert WDR-Moderator Helmut Rehmsen mit IW-Direktor Michael Hüther und IMK-Chefökonom Sebastian Dullien in der Sendung Profil. Ein Streitgespräch.

Nach der Wahl gibt es die Option für zwei deutlich unterschiedliche Koalitionsoptionen. Bedeutet das Unsicherheit bei Unternehmen, bei Anlegern auch bei Beschäftigten?

Hüther: Nein, für mich ist das erstmal ein Ergebnis, das der Welt klarmacht: In Deutschland haben die Extreme keinen Einfluss auf die Politik. Die Linke ist faktisch nicht drin. Die AfD ist auf Platz fünf gerutscht. In vielen anderen entwickelten Volkswirtschaften ist das anders. Beide Optionen – die Ampel und Jamaika – sind interessant.

Die Wirtschaft wünscht sich eine schnelle Regierungsbildung. Ist das ein Wert an sich, egal welche der beiden Optionen zum Zuge kommt?

Dullien: Natürlich ist es auch für die Wirtschaft nicht gut, wenn sich die Regierungsbildung über viele Monate hinziehen würde. Das kann dazu führen, dass dann die Unternehmen bei ihren eigenen Investitionen oder Einstellungen zurückhaltend sind. Allerdings heißt es auch nicht, dass man irgendetwas überstürzen sollte. Von daher sehe ich da überhaupt kein Problem, wenn wir Weihnachten noch keine Regierung haben und das erst im Januar stattfindet.

Eine rot-grün-rote Koalition hat keine Mehrheit bekommen. Einige Unternehmer haben da vielleicht immerhin ein Piccolöchen geköpft. Heißt das umgekehrt, das sind schlechte Nachrichten für Arbeitnehmer, Herr Dullien?

Dullien: Also ich wäre bei Rot-Grün-Rot wesentlich entspannter gewesen als Michael Hüther. Das wäre aus meiner Sicht auch keine Katastrophe gewesen.

Wegen einer Regierungsbeteiligung scheint es bei den Unternehmen kein großes Entsetzen zu geben. Wollen auch die Unternehmen eine zügige Klima- und Energiewende? Oder ist das jetzt eher Rhetorik?

Hüther: Nein. Erstens, weil abzusehen war, wo es hingeht. Zweitens sind die Grünen ja keine unbekannten Akteure und sind in vielen Landesregierungen dabei – etwa im Automobilland Baden-Württemberg. Die Wirtschaft weiß, dass die Transformation mit nur mit ihr gelingen kann. Insofern sind die Grünen überhaupt keine Überraschung. Interessanterweise geht es ja eigentlich nur um die Frage, wer mit Gelb und Grün koaliert.

Wo sehen Sie denn bei den Grünen und der FDP die größten Schnittmengen? Und wo verlaufen die tiefen Gräben?

Hüther: Naja, bei beiden steht doch das Ziel nicht infrage: die Klimaneutralität der Industrie. Das wir in diesem Zeitraum bis 2045/50 erreichen müssen. Also geht es doch um die Frage der Umsetzung dieser Politik. Wieviel Technologieoffenheit ist da die eine Frage, wie viel Ordnungsrecht brauchen wir, eine andere.

Dullien: Ich glaube, dass beiden Parteien klar ist, dass sie gemeinsam regieren müssen und sich darauf einlassen müssen. Und es ist ja auch so, dass man schon vor vier Jahren gewisse Schnittmengen ausgelotet hatte. Bei sozialen Fragen gibt es, glaube ich, noch Unterschiede. Also die Frage des Mindestlohns. Das ist eine Sache, die die FDP nicht unbedingt gerne mag. Die Grünen haben gesagt, wir wollen mehr kreditfinanzierte Investitionen und der FDP ist die die Schuldenbremse sehr wichtig.

Gibt es mit den beiden wahrscheinlichen Koalitionen zwei unterschiedliche wirtschaftspolitische Alternativen?

Hüther: Im Grundsatz nicht. Die Frage ist letztlich eine verhandlungstaktische. Eigentlich müssten die Grünen alles daran setzen, Jamaika zu machen, weil die CDU viele Zugeständnisse machen müsste, um überhaupt noch eine Regierungschance zu haben. Es geht ja an einer Partei nicht einfach vorbei, wenn sie knapp neun Prozent verliert.

Dullien: In den beiden Koalitionsangeboten Ampel und Jamaika könnte es im sozialpolitischen Bereich deutliche Unterschiede geben. Bei Jamaika würden wir die Union und die FDP auf der einen Seite haben, die sich nicht besonders für Dinge wie Mindestlohn oder Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eingesetzt haben. Bei der Ampel werden diese Aspekte stärker betont.

Die FDP will der Corona-Schulden und des immensen Investitionsstaus zum Trotz keine Steuererhöhungen. Kann die FDP in einer Ampel dieses Wahlversprechen durchhalten?

Hüther: Das kann sie dann, wenn sie sich bei der Frage der Kreditfinanzierung der staatlichen Investitionen beweglicher zeigt. Denn im normalen Haushalt ist das angesichts der bestehenden Verpflichtungen nicht so möglich.

Die SPD wollte eine Anhebung des Spitzensteuersatzes. Kann sie das mit der FDP um mit den Grünen so durchbringen?

Dullien: Also ich denke, das wird es wahrscheinlich nicht geben. Zumal man sich auch klarmachen muss, dass eine Anhebung des Spitzensteuersatzes ja auch eine Mehrheit im Bundesrat voraussetzen würde. Ich sehe jetzt nicht, warum die Union einer Anhebung des Spitzensteuersatzes einer Ampelkoalition zustimmen sollte als Oppositionspartei.

Können wir die Vermögensteuer gleich mit abräumen?

Dullien: Also ich gehe auch davon aus, dass eine Ampelkoalition sich nicht auf eine Vermögenssteuer einigen könnte. Ich kann mir schwer vorstellen, wie die FDP das ihren Wählerinnen und Wählern verkauft.

Hüther: Ich glaube auch, eine Tariferhöhung beim Spitzensteuersatz wird’s nicht geben. Und man muss sich auch immer klar machen: Eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes bringt nicht das Aufkommen, das gewünscht wird. Das sind überschaubare Milliardenbeträge.

Da schauen wir jetzt noch mal auf das Thema Löhne und Gehälter: SPD und Grüne wollen eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro. Wird das geben in einer Koalition mit der FDP?

Hüther: Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich glaube, die FDP wird hohen Wert auf die Mindestlohnkommission legen, die immerhin eine schwarz-rote Regierung etabliert hat. Und ich würde das befriedende dieser Mindestlohnkommission in den Vordergrund rücken und doch sagen: Lasst die doch Arbeit machen.

Zum Thema Rente: Da gibt es zwei wichtige Stellschrauben, an die sich im Wahlkampf keiner so richtig ran getraut hat: Renteneintrittsalter und das Rentenniveau. Keiner will von den 67 Jahren weg, und keiner möchte unter die 48 Prozent Rentenniveau. Wer soll das aus ihrer Sicht bezahlen?

Hüther: Da ist ja die meiste Unehrlichkeit zu greifen. Die Rente mit 67 ist Ende des Jahrzehnts durch. Danach muss man fragen, ob man das irgendwie an die Veränderung der Lebenserwartung ankoppelt. Ein Konsensmodell könnte sein, was die Schweden haben, nämlich einen staatlichen Aktienfonds, der auch sehr ordentliche Renditen abwirft. Das wäre eine Säule, die Entlastungen für das System bringt, weil so ein Fonds zusätzliche Rendite erwirtschaftet.

Wer soll die absehbare Rentenlücke aus Ihrer Sicht bezahlen, Herr Dullien?

Dullien: Ich stimme auch zu, dass wir durchaus Zuwanderung brauchen. Aber ein Faktor, der noch unterbelichtet ist, ist die Erhöhung der Erwerbstätigkeit der Menschen, die hier schon leben. Wir haben in Deutschland immer noch eine geringe Erwerbsbeteiligung von Frauen. Wir haben zwar relativ viele Frauen, die am Arbeitsleben teilnehmen, aber viele arbeiten in geringfügigen Arbeitsverhältnissen. Da kann man noch einiges tun.

Wie stehen Sie zum Modell eines wie immer gearteten Staatsfonds, einer Aktienrente, wie es die FDP nennt?

Dullien: Als zusätzliches Element kann das durchaus vernünftig sein. Man könnte auch darüber nachdenken, ob man eine Möglichkeit schafft, die alten nicht besonders attraktiven Riester-Verträge umzuwandeln in eine staatlich organisierte Aktienrente. Wichtig ist aber, dass die erste Säule, die auch Lebensstandard sichern muss, weiterhin das Umlageverfahren sein sollte, weil das einfach über die Zeit stabiler ist.

Wenn wir einen Strich drunter machen: Welche Koalition wäre für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes aus ihrer Sicht die bessere Koalition?

Hüther: Entscheidend ist, dass es keine Politik gibt, die von den Rändern her Einfluss hat. Und das ist eigentlich die Botschaft der Wahl. Ich finde es ein tolles Signal der Demokratie, dass sie sich für die breite Mitte entschieden hat. Eine höhere Wahrscheinlichkeit hat die Ampel, weil sie einfach drei Parteien zusammenbringt, die alle Stimmen gewonnen haben.

Dullien: Die Frage ist, welche dieser beiden Koalition am Ende die ganz drängenden Probleme besser angeht. Den Investitionsstau in der Infrastruktur, in Bildung angeht, aber auch in die Klimawende. Das zweite ist: Die Klimawende muss sozialverträglich gestaltet werden, weil wir sonst die Menschen nicht mitnehmen. Wer das jetzt hinbekommt, soll die Regierung bilden. Ich glaube, dass die Ampel das besser könnte.

Mehr zum Thema

Artikel lesen
„Jetzt haben wir uns hier auch gesund gespart“
Michael Hüther im Handelsblatt-Podcast Audio 12. April 2024

Verteidigung: „Jetzt haben wir uns hier auch gesund gespart“

Wie kann Deutschland sein Verteidigungsbudget erhöhen, um das NATO-Ziel zu erreichen? Im Handelsblatt-Podcast „Economic Challenges“ hinterfragen IW-Direktor Michael Hüther und HRI-Präsident Bert Rürup kritisch, ob vorgeschlagene Maßnahmen wie höhere Steuern ...

IW

Artikel lesen
Hubertus Bardt Pressemitteilung 8. April 2024

Wissenschaftspreis Bürokratie 2024: Mit Wissenschaft Bürokratie besser verstehen und abbauen

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat am 8. April zum fünften Mal den Wissenschaftspreis Bürokratie vergeben. Mit dem Preis werden Forschungsarbeiten ausgezeichnet, die sich mit der Frage beschäftigen, wie Bürokratie in Deutschland abgebaut werden ...

IW

Mehr zum Thema

Inhaltselement mit der ID 8880