Deutschland sollte nicht mehr auf der Ausgabenbremse stehen. IW-Direktor Michael Hüther schlägt einen Deutschlandfonds in Höhe von 450 Milliarden Euro vor. Damit könnte die Bundesregierung investieren, ohne die Verschuldungsregeln zu verletzen.
Investitionen: „Mehr Flexibilität”
Es gab Zeiten, da war Deutschland der „kranke Mann Europas“, geschüttelt von Arbeitslosigkeit und Schulden. Damals wurde die Schuldenbremse eingeführt. Noch dazu gelten die Eu-weiten Maastricht-Kriterien, die Staatsverschuldung begrenzen sollen. Während der Schuldenkrise und auch danach hadern viele Länder in der EU damit und wollen lieber mehr Geld ausgeben. Doch Deutschland setzt auf Sparkurs – bislang. Denn jetzt tut sich etwas. Wie der 450 Milliarden Euro schwere Fonds funktionieren soll, erklärte er am Mittwoch in den Räumen der Deutschen Bank Luxemburg. Dorthin hatte die „Europa Union Luxemburg“, ein pro-europäischer Verein, eingeladen. Gut 60 Gäste, darunter etliche Vertreter des Finanz- und Wirtschaftsstandortes Luxemburg sowie der deutsche Botschafter Heinrich Kreft, waren vom engagierten Vortrag angetan und hatten zahlreiche Fragen. Wir haben Prof. Hüther interviewt.
Prof. Hüther, steckt die Angst vorm Bild des kranken Mannes noch zu tief in der Wahrnehmung?
Vor zehn Jahren hätte niemand gedacht, dass wir mal mit die höchste Arbeitsintegration Europas haben werden. Jetzt sind 80 Prozent der Menschen in Arbeit statt 66 Prozent im Jahr 2000. Seit sechs Jahren ist der Bundeshaushalt ausgeglichen und unsere Wirtschaft ist hoch wettbewerbsfähig. Seit 2019 liegt unsere Schuldenquote unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wir sind also lange schon kein kranker Mann mehr. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Probleme gibt und dass es so bleiben muss. Stichwort digitale Transformation: Bei B2B sind wir gut, bei B2C dominieren hingegen die USA und China. Eine weitere Baustelle ist die Dekarbonisierung. Die Politik hat Ziele ausgerufen, doch der Weg dorthin ist schlecht bestellt und teuer. Darüber hinaus folgt die Demografie ihrer eigenen Dynamik, denn ab 2025 wird die Anzahl der Erwerbspersonen zurückgehen und sorgt für Probleme.
Warum brauchen wir einen Deutschlandfonds, wenn doch vieles so gut läuft?
Als die Schuldenbremse in der Verfassung verankert wurde, war der Zins traditionell höher als die Wachstumsrate. Dann belasten für sich genommen Schulden künftige Generationen. Die Idee einer Schuldenbremse war grundsätzlich gut, aber der Rahmen war zu eng definiert und unflexibel. Das nimmt uns jetzt den Atem. Wir brauchen mehr Flexibilität. Die hätten wir mit einem solchen anleihenfinanzierten Deutschlandfonds. Das wäre Maastricht-konform und mit der Schuldenbremse zu vereinbaren. Gleichzeitig wäre es auch ein wichtiges Signal in Europa. Denn in den vergangenen vier Jahren haben wir nur Reformen des Bewahrens und des Ausbaus des Sozialsystems gesehen, statt mehr in Bildung und Innovation zu investieren. Wir sollten mit einer Investitionsoffensive massive neue Impulse geben.
Wäre das nicht ein Widerspruch zu bisherigen Regeln?
Nein, denn damals sollte die Schuldenbremse verhindern, dass zukünftige Generationen mit unseren Ausgaben belastet werden. Jetzt ist die Situation anders. Wenn der Zinssatz niedriger ist als die Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts, ist eine Kreditfinanzierung vorteilhaft. Wir haben eine Situation, in der sowohl der Staat, als auch Unternehmen als auch Privatleute seit Jahren gespart haben. Daher kann der Realzins nicht steigen. Die Nachfrage nach Krediten fehlt. Mit dem Deutschlandfonds könnten wir dort ansetzen, wo Mittel nötig sind, in den Kommunen und bei den überregionalen Infrastrukturnetzen. Dort fehlt Geld, die Gemeinden tragen 80 Prozent der Investitionen. Das Geld könnte in Infrastruktur, Bildung und Wohnungsbau fließen. Auf der Grundlage der dynamischen Beschäftigung wäre das kein Problem.
Für wie wahrscheinlich halten Sie die Umsetzung?
Das wird nicht in dieser Regierung stattfinden, aber wenn es 2021 zu schwarz-grün kommt, ist ein solcher Fonds wahrscheinlicher. In allen Parteien gibt es ein Bewusstsein dafür - auch, wenn der sozialdemokratische Finanzminister diesen Schritt nicht als erster gehen kann.
Wäre ein Deutschlandfonds auf EU-Ebene sinnvoll?
Warum nicht? Wir könnten innerhalb der EU Investitions-Anleihen ausgeben, für den European Green Deal - wie anders soll der finanziert werden, wenn das EU-Budget auf ein Prozent des BIP gedeckelt wird. Mit Projektbonds parallel zum MFR ließen sich die notwendigen großen Investitionen finanzieren. Das aus Beitragsmitteln zu versuchen, wird nicht gelingen und wäre auch nicht sinnvoll.
Zum Interview auf journal.lu
Fin.Connect.NRW-Fachveranstaltung: Ein besseres Finanzierungsumfeld für Unternehmensgründungen und Innovationen in NRW
Um die De-Karbonisierung und Digitalisierung in NRW voranzutreiben und damit den Wirtschaftsstandort zukunftsfest zu machen, braucht es kluge Ideen. Schließlich eröffnen vor allem Innovationen neue Perspektiven und können helfen, vorhandene Hemmnisse zu ...
IW
Zwischen Koalitionschaos und Trump-Risiken: „Deutschland muss jetzt ein starkes Sicherheitssignal senden“
Im Handelsblatt-Podcast „Economic Challenges“ sprechen IW-Direktor Michael Hüther und HRI-Präsident Bert Rürup über die Unsicherheiten in Deutschland durch das Ampel-Aus und die Herausforderungen einer zweiten Trump-Amtszeit. Sie erklären, warum klare ...
IW