Seit mehr als einem Jahr gibt es in Deutschland keine Atomkraftwerke mehr – trotzdem fordern manche, wieder in die Kernkraft einzusteigen. IW-Energieexperte Malte Küper erklärt im Interview mit der Stuttgarter Zeitung, warum viel dagegen spricht.
„Rückkehr zur Atomkraft wäre nicht sinnvoll“
Im April 2023 sind mit Neckarwestheim 2, Isar 2 und Emsland die letzten Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz gegangen. Manche Politiker von CDU und CSU sprechen sich allerdings dafür aus, die Kraftwerke wieder zu betreiben. Braucht es Atomkraft, um die Energieversorgung in Deutschland zu sichern?
Herr Küper, manche Politiker der CDU möchten wieder in die Atomkraft einsteigen. Wie lange würde es dauern, bis das erste Kraftwerk am Netz wäre?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Bis 2030 soll die Stromversorgung in Deutschland aber bereits zu 80 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen. Ich habe große Zweifel, dass die Atomkraft bis dahin einen deutlichen zusätzlichen Beitrag leisten könnte, selbst wenn wir wieder einsteigen würden.
Warum würde es denn so lange dauern?
Die Hürden dafür, abgeschaltete Kraftwerke zu reaktivieren, sind groß. Geschultes Personal fehlt und die Anlagen haben nicht mehr die notwendigen Sicherheitsgenehmigungen. Außerdem zeigen die Betreiber wenig Interesse daran, wieder einzusteigen. Es müsste auch neu diskutiert werden, wo der Atommüll endgelagert wird. Und schlussendlich braucht es die politische und gesellschaftliche Mehrheit dafür. Es spricht also viel dagegen, zur Atomkraft zurückzukehren.
Und was ist mit neuen Kraftwerken?
Neue Atomkraftwerke zu bauen, ist sehr komplex. Wir sehen an Projekten in Frankreich und England, dass neue Kraftwerke deutlich später fertiggestellt und viel teurer werden als geplant. Die Frage ist auch: Wer wäre überhaupt bereit, in Atomkraft in Deutschland zu investieren? Strom aus neu gebauten Kernkraftwerken ist teurer als Strom aus Wind- oder Solaranlagen.
Warum gibt es in Deutschland trotzdem Stimmen, die eine Rückkehr zur Atomkraft fordern?
Diese Forderung dürfte vor allem Wahlkampf vor der nächsten Bundestagswahl sein. Unter anderem die CDU will mit der Atomkraft eine Antwort auf die immer noch höheren Strompreise in Deutschland bieten. Nach aktuellem Kenntnisstand wird aber überschätzt, wie viel die Atomkraft wirklich dazu beitragen kann, dass die Preise sinken. In die Atomkraft wieder einzusteigen, ist energiepolitisch nicht erforderlich. Dennoch muss etwas gegen die hohen Strompreise getan werden. Etwa indem man die Netzentgelte und die Stromsteuer dauerhaft senkt.
Ein Argument von Befürwortern der Atomkraft ist, dass es die Kraftwerke braucht, um die Energieversorgung zu sichern.
Nein, dafür braucht es die Atomkraft nicht. Richtig ist aber: Der Anteil erneuerbarer Energien steigt immer weiter. Wie viel davon erzeugt wird, hängt davon ab, ob die Sonne scheint oder der Wind weht. Man muss im Energiesystem also auch die Stunden oder Tage überbrücken, in denen es keine oder wenig Wind- oder Solarenergie gibt. Die Atomkraft ist aber darauf ausgelegt, möglichst durchgehend zu laufen. Sie ist kein idealer Partner der erneuerbaren Energien.
Wie kann man diese Lücken sonst schließen?
Zum einen muss es Anreize für Privatpersonen und Unternehmen geben, den Strom dann und dort zu nutzen, wenn er da ist. Zum anderen müssen neue, flexible Reservekraftwerke aufgebaut werden. Sie springen immer dann ein, wenn es gerade keinen Strom aus erneuerbaren Energien gibt. Und das werden vor allem Gaskraftwerke sein. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen sie allerdings langfristig mit klimaneutralem Wasserstoff betrieben werden.
Nicht nur in Deutschland denkt man darüber nach, Atomkraft zu nutzen. Erfolgreiche Unternehmen wie Google, Amazon und Microsoft wollen in Kernkraftwerk investieren, um ihren Energieverbrauch zu decken. Welche Strategie steckt dahinter?
Die Konzerne wollen den steigenden Energieverbrauch ihrer Rechenzentren mit CO-freiem Strom decken. Der höhere Verbrauch entsteht auch durch den Aufstieg der Künstlichen Intelligenz. Im Vergleich mit einer einfachen Google-Suche braucht KI enorm viel Energie. Dabei fahren die Konzerne zweigleisig. Zum einen stellen sie ihre Rechenzentren schon heute auf erneuerbare Energien um. Zum anderen forschen sie weiter an innovativen Energiekonzepten wie Geothermie oder kleinen modularen Atomreaktoren. Für Google liegt der Hauptfokus aber auf erneuerbaren Energien. Allein im vergangenen Jahr hat Google Verträge über den Kauf von vier Gigawatt erneuerbarer Energie abgeschlossen. Zum Vergleich: Die Atomkraftwerke, die das Unternehmen bis 2035 errichten will, sollen nur eine Gesamtleistung von 500 Megawatt haben.
Sie sprechen von innovativen Konzepten wie kleinen modularen Reaktoren. Befürworter der Atomkraft hoffen auf solche Konzepte und neue Reaktortypen. Was verspricht man sich davon?
Die kleinen modularen Reaktoren sollen in Serie gefertigt werden können, davon erhofft man sich schnellere Genehmigungen, mehr Sicherheit, kürzere Bauzeiten und günstigeren Strom. Damit die Kosten aber wirklich sinken, müssten hunderte oder tausende davon produziert werden. Das passiert bisher nicht. Obwohl die Konzepte teilweise seit Jahrzehnten erforscht werden, stecken viele Anlagentypen noch in der Pilotphase.
Wie sinnvoll ist es, auf solche Konzepte zu setzen?
Die kleinen Reaktoren werden voraussichtlich keine nennenswerte Rolle dafür spielen, dass Deutschland 2045 und die EU 2050 klimaneutral sein wollen. Dafür kommen die Anlagen zu spät und bleiben auf absehbare Zeit zu teuer. Um das Klimaziel zu erreichen, sollten wir die Technologien einsetzen, die wir heute schon zur Verfügung haben und sich im Bereich der erneuerbaren Energien stetig verbessern. Gleichzeitig sollte man nicht aufhören, an innovativen Energiekonzepten zu forschen. Das kann nicht nur langfristig dem Klima helfen, sondern auch neue Geschäftsbereiche für deutsche Unternehmen eröffnen.
Hier geht es zum Interview auf stuttgarter-zeitung.de.
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