Die USA haben gewählt, vermutlich wird Joe Biden der 46. Präsident. Die erwartbaren juristischen Scharmützel des Trump-Clans können das nur verzögern, aber nach der Auszählung nicht verändern. Was heißt das für die Welt? Und was heißt das für Deutschland? Ein Gastkommentar von IW-Direktor Michael Hüther.
Auf uns kommt es an!
Es wäre ein Fehler, Trump als Unfall der Geschichte zu werten. Sein Antritt 2016 gegen Washington und das politische Establishment nahm nur in anderen Formen und Farben auf, was bei Obama mit "Yes we can!" zur Mobilisierung der Wähler führte. Das Scheitern Obamas, das Land zu einen, hatte viel von dem Frust gegenüber der Zentralregierung direkt zu Trump umgeleitet. All dies steht zudem in langer historischer Tradition, einer Zentralgewalt zu misstrauen. Die Verfassungsgebung 1787/88 war dadurch geprägt, der große Konflikt des Sezessionskrieges.
Insofern wäre es ebenso ein Fehler, die langfristig wirksamen innenpolitischen Trends zu übersehen. Das heutige politische System der USA macht deutlich, dass die Logik der Verfassung – zwei Parteien mit hoher und breiter Integrationskraft finden zum Kompromiss – immer weniger erfüllbar wird. Denn die oft erwähnte Spaltung der Gesellschaft und die Homogenität beider Parteien wirken dahin, dass Kompromisse kaum noch errungen werden. Diese Schärfung begann in den 1950er-Jahren mit einem Wandel der Republikanischen Partei zur Partei der kleinen Leute und verschärfte sich später zunehmend vor dem Hintergrund der liberalen 1960er-Jahre ("equal rights" bezüglich Rasse und Geschlecht).
Die seit drei Jahrzehnten dominante Haltung bei den Republikanern, einen demokratischen Präsidenten in seiner Amtsausübung zu blockieren, wirkt dabei ebenso dysfunktional wie die Haltung bei den Demokraten, mit Identitätspolitik jeder Minderheit mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen als der traditionellen Mehrheitsgesellschaft. Unüberbrückbare Differenzen im Inneren löst man am ehesten durch Konflikte mit anderen. Das betrifft China, aus nachvollziehbaren Gründen, und das fordert Europa – freundlich bei Biden wie bei Obama, brutal wie bei Trump.
Eine unglaubliche Chance für Deutschland und Europa
Darin liegt aber nun eine unglaubliche Chance für Deutschland und für Europa. Die neue Administration wird – da liegt ein zentraler Unterschied zu Trump – versuchen, durch Allianzen und Netzwerke den Einfluss gegenüber dem chinesischen Imperialismus zu stärken. Insbesondere Deutschland – als verlässlichster Partner, nachdem das Vereinigte Königreich ausgeschieden ist – kann hierbei vermittelnd und orientierend wirken.
Dafür aber müssen wir den Reformbedarf bei den internationalen Institutionen – vor allem WTO und WHO – erkennen und konstruktiv wenden. Dafür müssen wir vor allem eine Vorleistung durch mehr finanzielles Engagement für die eigene Sicherheit erbringen. Und dafür brauchen wir mehr Ehrlichkeit im Umgang mit China. Der ökonomische Vorteil für die deutsche Wirtschaft darf nicht dazu führen, dass wir die ethische Herausforderung einer Diktatur übersehen. Das sind schwierige Abwägungen, ohne Zweifel. Aber darüber sollte man offen in Unternehmen und Politik reden.
Deutschland muss in Europa vorangehen
Es ist eine vielleicht immer noch ungewohnte Rolle, aber Deutschland als "unverzichtbare Nation Europas" – so der frühere polnische Außenminister Sikorski – muss in Europa vorangehen und international auftreten. Es wird zurecht erwartet, und es kann bei angemessener Tonalität gut gelingen. Eines aber bleibt entscheidend: Wir müssen die Illusion ablegen, dass andere für uns existentielle Aufgaben erledigen. Insofern ist die militärische Stärkung – in einer Europäischen Verteidigungsunion – eine ureigene demokratische Selbstbehauptung. Mit einem Präsident Biden gibt es dann viele Möglichkeiten der Kooperation.
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