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Michael Hüther und Jens Südekum in der Süddeutschen Zeitung Gastbeitrag 14. April 2019

Die Schuldenbremse ist nicht zeitgemäß

Deutschland sollte jetzt Kredite aufnehmen, um Defizite in Bildung und Infrastruktur zu beheben, schreiben IW-Direktor Michael Hüther und Jens Südekum in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung.

Die Schuldenbremse feiert zehnten Geburtstag - Zeit, um Bilanz zu ziehen. Sie hat ihren Zweck übererfüllt und steht heute einer dringend erforderlichen Modernisierungs- und Wachstumspolitik im Wege. Sie sollte reformiert werden.

Getragen von einer breiten politischen Mehrheit wurde die Schuldenbremse 2009 in der Verfassung verankert. Damals stand Deutschland unter dem akuten Schock der Finanzkrise. Die massiven Konjunkturprogramme, die zur Stützung der Wirtschaft notwendig waren, hatten die Schuldenquote in kurzer Zeit von 63 auf 81 Prozent des Bruttoinlandsprodukts emporschnellen lassen. Das sollte wieder umgekehrt werden. Deswegen durften die Bundesländer in normalen Zeiten und nach einer Übergangsphase gar keine Kredite mehr aufnehmen. Beim Bund wurde die Neuverschuldung eng begrenzt, auf aktuell rund zwölf Milliarden Euro.

Das scheint seine Wirkung nicht verfehlt zu haben. Deutschlands Schuldenquote ist zurück bei der 60-Prozent-Marke, Tendenz weiter fallend. Bereits 2022 dürfte sie bei 50 Prozent ankommen, und ganz langfristig läge sie bei unverändertem Wachstum bei nur noch 11 Prozent.

Ist das nicht prima, wenn der Staat kaum noch Schulden hat? So einfach ist es leider nicht. Denn gleichzeitig haben sich gravierende Mängel bei öffentlichen Gütern aufgetan: marode Schulen, Straßen und Brücken; ein unterfinanzierter Bildungssektor; langsames und unzuverlässiges Internet; eine Bundeswehr im beklagenswerten Zustand. Die Liste ließe sich fortsetzen. Diese Defizite haben sich mittlerweile zur zentralen Bremse für private Investitionen entwickelt und sind zum Signum staatlicher Handlungsunfähigkeit geworden. Wenn Firmen keinen Zugang zu guter Infrastruktur und ausgebildeten Fachkräften haben, dann halten sie sich mit Investitionen zurück und legen das Geld lieber im Ausland an. So entstehen aber keine neuen Innovationen und Arbeitsplätze.

Nun wäre es unfair, diese Probleme allein der Schuldenbremse anzulasten. Die Investitionen sanken schon vor 2009, besonders auf kommunaler Ebene. Und überhaupt musste die Bremse faktisch noch nie greifen. Denn der deutsche Staat schwimmt momentan im Geld, weil die Steuereinnahmen infolge anhaltenden Beschäftigungsaufbaus sprudeln und die Zinsausgaben stark rückläufig sind. Allein vergangenes Jahr erwirtschaftete er insgesamt einen Überschuss von 54 Milliarden Euro. Man hätte also durchaus mehr für Investitionen ausgeben können. Viele Freunde der Schuldenbremse behaupten deswegen, in Wirklichkeit fehle es gar nicht an Geld, sondern bloß an politischem Willen.

Es ist so, als ob der Staat Geldscheine auf dem Bürgersteig liegen lässt, statt sie aufzuheben

Diese Sichtweise ist aber verkürzt. Für eine große Modernisierungsoffensive braucht der Staat eine verlässliche Finanzierung. Aber Planungssicherheit und Flexibilität wurden durch das Verbot der Kreditaufnahme beschnitten. So hat die Schuldenbremse schon heute - trotz Haushaltsüberschüssen - ihre Schatten geworfen. Und private Investoren verändern ihre Kapazitäten trotz hoher Bedarfe wie in der Baubranche kaum, weil die verlässliche Perspektive fehlt.

Noch wichtiger ist der Blick nach vorne. Es wird nicht automatisch weitergehen mit den Rekordsteuereinnahmen. Geboten ist wachstumspolitische Vorsorge, um auch künftig die Bedingungen für mehr wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu bieten. Hier ist der Staat für mindestens eine Dekade gefordert, um die Defizite in der Infrastruktur, in der Bildung und beim digitalen Wandel zu beheben. Zudem stellt sich die Frage, ob die Schuldenbremse im Hinblick auf das historisch niedrige Zinsniveau noch zeitgemäß ist. Wenn der deutsche Staat sich heute einen Euro leiht, muss er den Gläubigern in zehn Jahren real keine 90 Cent zurückzahlen. Trotzdem ist die Nachfrage nach Bundesanleihen ungebrochen, weil große institutionelle Anleger und Versicherungen nach sicheren Häfen suchen, von denen es auf der Welt nur sehr wenige gibt.

Dieses Potenzial könnte der deutsche Staat nutzen, sich zu Negativzinsen zu verschulden, und damit langfristig und stetig in Bildung und Infrastruktur investieren. Die Schuldenbremse hindert ihn aber daran und schiebt damit einer vernünftigen Wirtschaftspolitik den Riegel vor. Es ist so, als ob der Staat Geldscheine auf dem Bürgersteig liegen lässt, statt sie aufzuheben. Durch diese Politik wird zukünftigen Generationen die Chance verbaut, der Investitionsbedarfe noch Herr werden zu können.

Die Zinskosten des Bundes liegen seit zehn Jahren unterhalb der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts. In dieser Konstellation kann Deutschland Anleihen permanent überwälzen und läuft keine Gefahr, auch nur in die Nähe einer Schuldenkrise zu kommen. Zwar könnten die Zinsen auch wieder steigen, etwa wenn die EZB ihre lockere Geldpolitik beendet. Doch nach aktuellen Schätzungen des IW Köln hätte selbst das nur einen vorübergehenden und schwachen Effekt. Denn die Haupttreiber der niedrigen Zinsen liegen anderswo: hohe Ersparnisse einer alternden Gesellschaft bei gleichzeitig niedriger Kapitalnachfrage einer sich digitalisierenden Wirtschaft. Diese strukturellen Faktoren werden sich nicht so bald ändern.

Deutschland sollte also nicht stur an der Schuldenbremse festhalten, sondern das Jubiläum zu einer Reform nutzen. Nicht zu einer kompletten Abschaffung. Denn es ist auch weiterhin ratsam, Schuldenfinanzierung von Transfers und Sozialausgaben auszuschließen. Aber bei Zukunftsausgaben und Investitionen ist es anders. Sie sollten in einem separaten bundesstaatlichen Vermögenshaushalt abgerechnet werden, für den Kreditfinanzierung grundsätzlich zulässig ist.

Das mag zwar theoretisch den Anreiz für Politiker erzeugen, künftig alles als Investition zu bezeichnen, nur um sich verschulden zu dürfen. Aber würde solcher Etikettenschwindel nicht von den Wählern bestraft? Ist die Verfassung der geeignete Ort, um detaillierte Haushaltsvorschriften zu regeln, nur weil man den gewählten Repräsentanten des Staates nicht über den Weg traut? Ein bisschen Vertrauen in die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie täte schon gut; dafür spricht übrigens auch die Geschichte bundesstaatlicher Finanzpolitik in früheren Dekaden. Und in Wirklichkeit steht Deutschland vor ganz anderen Herausforderungen.

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