An allen Ecken und Enden fehlen Fachkräfte in Deutschland. Dabei stehen immerhin 990.000 qualifizierte Arbeitslose 1,2 Millionen offenen Stellen gegenüber. Doch was passen könnte, ist es oft nicht. Die gute Nachricht: Es gibt Wege aus der Fachkräftekrise, schreiben die IW-Ökonominnen Anika Jansen und Paula Risius in einem Gastbeitrag für Focus Online.
1,2 Millionen Jobs, 1 Million arbeitslose Fachkräfte: Dieses Paradox ist lösbar
Fachkräftesicherung ist kein Selbstzweck für Unternehmen, sondern unerlässlich für die Produktivität und Innovativität der Wirtschaft, den Wohlstand der Gesellschaft sowie zur Bewältigung aktueller Herausforderungen wie Klimawende und Digitalisierung.
Der Fachkräftemangel hat in den letzten Jahren merklich zugenommen. Auch die Corona-Pandemie konnte daran nichts ändern. Im Gegenteil, in manchen Bereichen, wie der Hotellerie und Gastronomie, ist der Fachkräftemangel nach Auslaufen der Maßnahmen sogar deutlich größer als je zuvor. Der Handlungsbedarf liegt auf der Hand.
Fachkräftemangel vor allem in sozialen und handwerklichen Berufen
Aufgrund einer guten wirtschaftlichen Entwicklung ist die Zahl aller offenen Stellen seit 2010 gestiegen. Die Zahl der Arbeitslosen ist gesunken. Aktuell stehen 1,2 Millionen offene Stellen für qualifizierte Fachkräfte 990.000 qualifizierten Arbeitslosen gegenüber. In vier von zehn Berufen gibt es nicht ausreichend Fachkräfte, um die offenen Stellen zu besetzen. Besonders betroffen sind soziale und gesundheitliche Berufe sowie technische und handwerkliche Berufe.
Gleichzeitig gibt es Berufe, in denen die Zahl der Arbeitslosen größer ist als die der offenen Stellen. Insgesamt heißt das: Selbst, wenn alle offenen Stellen mit entsprechend qualifizierten Arbeitslosen besetzt werden würden, blieben immer noch 500.000 Stellen unbesetzt und 1,4 Millionen Arbeitslose ohne Job.
Das Problem ist ein sogenanntes Mismatch, also eine Fehlpassung zwischen den von Arbeitgebern gesuchten Qualifikationen mit den vorhandenen Qualifikationen der Arbeitslosen. Manche sprechen auch von einem Fachkräfteparadoxon.
Arbeitskräfte auch im Alter qualifizieren
Qualifizierung ist eine zentrale Stellschraube bei der Fachkräftesicherung: Rein rechnerisch ließe sich allein dadurch ein großer Teil des Mangels lösen. Auch, wenn es nicht realistisch ist, dass viele Erwachsene noch einmal eine vollständige Ausbildung absolvieren – die Möglichkeit dazu besteht: Die duale Ausbildung steht grundsätzlich unabhängig vom Alter allen offen. Ebenso bieten Teilqualifikationen eine Möglichkeit, formale Qualifikationen schrittweise zu erwerben und somit schneller einsetzbar zu sein.
Der Staat fördert, etwa über die Arbeitsagenturen, viele Qualifizierungsmaßnahmen finanziell, die Länder stellen Infrastruktur wie Schulen und Hochschulen bereit. Für die Umsetzung von bzw. Teilnahme an Bildungsmaßnahmen liegt die Verantwortung aber ebenso bei Privatpersonen und Betrieben.
Einen weiteren Beitrag gegen Fachkräftemangel kann die Erhöhung des Arbeitszeitvolumens leisten. Von den aktuell 32,4 Millionen Beschäftigten, etwa hälftig Männer und Frauen, arbeitet jede dritte Person in Teilzeit. 77,9 Prozent davon sind Frauen. Grundsätzlich können gute Arbeitsbedingungen dazu führen, dass Menschen mehr arbeiten wollen .
Damit Beschäftigte ihre Arbeitszeit im Beruf erhöhen können , müssen die Rahmenbedingungen stimmen: Durch flexible Arbeitszeiten, Unterstützung bei der Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen oder Homeoffice-Regelungen können es Betriebe den Beschäftigten erleichtern, ihre Arbeitszeiten auszuweiten.
Hierfür müssen von Seiten des Staates auch Kinderbetreuung und Altenpflege weiter ausgebaut werden. Das wiederum ist schwierig, denn im Ranking der Berufe mit den größten Fachkräftelücken erreicht die Kinderbetreuung den zweiten, die Altenpflege den dritten Rangplatz. Hier beißt sich die Katze gewissermaßen in den Schwanz, denn wenn einmal Personal fehlt, steigt oft auch die Arbeitsbelastung und verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen; das spürt man besonders in der Pflege. Umso wichtiger ist es, schnell gegenzusteuern.
Deutschland ist auf Zuwanderung angewiesen
Die Mobilisierung inländischer Fachkräftepotenziale allein wird nicht ausreichen, denn durch den demografischen Wandel ist Deutschland langfristig auf Zuwanderung angewiesen. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen jetzt in Rente, und bis 2030 werden voraussichtlich 5 Millionen Personen weniger im erwerbsfähigen Alter sein. Schätzungen zufolge benötigt Deutschland eine jährliche Nettoeinwanderung von 400.000 Personen, um den demografischen Wandel zu kompensieren.
Die tatsächliche Nettozuwanderung variiert stark und lag im Mittel der letzten 30 Jahre bei 294.000 Personen. Doch auch Zuwanderung ist eine Herausforderung, da sich etwa Visa-Vergaben durch Personalengpässe bei Behörden teilweise verzögern und die Integration langfristig gelingen muss. Um die Potenziale internationaler Fachkräfte zu heben und eine Rückwanderung zu vermeiden, ist es Aufgabe der Betriebe und der Gesellschaft, auf diese Zielgruppe zuzugehen und sie nachhaltig – auch sozial – zu integrieren.
Gegen den Fachkräftemangel benötigen wir Fachkräfte
So paradox es klingt: Für viele Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel benötigen wir Fachkräfte. Gerade deshalb ist es so wichtig, früh gegenzusteuern. Verantwortung dafür tragen wir alle: Privatpersonen leisten die Arbeit und investieren in ihre Qualifikation. Betriebe schaffen gute Arbeitsbedingungen, gehen auf verschiedene Zielgruppen zu und unterstützen ihre Beschäftigten bei der Qualifizierung.
Arbeitgeberverbände, aber auch Projekte wie das BMWK-geförderte Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) helfen Unternehmen dabei. Und der Staat unterstützt sowohl Privatpersonen als auch Betriebe durch entsprechende Rahmenbedingungen. „Das eine“ Patentrezept zur Lösung des Fachkräftemangels gibt es nicht, stattdessen muss an vielen Stellen angesetzt werden.
Zum Gastbeitrag auf focus.de
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