Mikrosimulationsanalyse der Auswirkungen inflationsbedingter Einkommensteuererhöhungen
Kalte Progression
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Mikrosimulationsanalyse der Auswirkungen inflationsbedingter Einkommensteuererhöhungen
In den Jahren 2013 und 2014 wird der Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer erhöht. Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den neuesten Zahlen des regelmäßigen Existenzminimumberichts der Bundesregierung (BT-Drucksache 17/5550). Der darin bezifferte sozialrechtliche Mindestbedarf ist von der Einkommensbesteuerung auszunehmen. Der Anstieg des Existenzminimums ist vorrangig auf gestiegene Preise zurückzuführen. Die Bundesregierung hatte deshalb ursprünglich geplant, nicht nur den Grundfreibetrag, sondern auch weitere Tarifgrenzen der Steigerung der Verbraucherpreise anzupassen und um den gleichen Prozentsatz zu erhöhen. Das Bundesfinanzministerium (BT-Drucksache 17/8683) begründet dies damit, dass Lohnerhöhungen, die lediglich die Inflation ausgleichen, durch den progressiven Steuertarif für einen überproportionalen Anstieg der Einkommensteuerschuld sorgen. Dieser als kalte Progression bezeichnete Effekt sei vom Gesetzgeber letztlich nicht gewollt. Das Vorhaben, den Tarif der Einkommensteuer insgesamt anzupassen, scheiterte jedoch am Bundesrat. Ein wesentliches Motiv der Länder, dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht zuzustimmen, waren die bereits eingeplanten Mehreinnahmen durch die Einkommensteuer, die sich eben auch durch den Effekt der kalten Progression ergeben. Deshalb bleibt es bei der Anpassung des Grundfreibetrags. Alle anderen Parameter des Einkommensteuertarifs sind damit seit 2010 unverändert geblieben.
In vorangegangenen Steuerreformen wurde der Einkommensteuertarif in der Regel so verändert, dass neben anderen Anpassungen auch der Effekt der kalten Progression ausgeglichen wurde. Das ist allerdings nicht zwangsläufig der Fall. Vielmehr steigen die Steuereinnahmen schlicht dadurch, dass gerade keine Anpassung des Tarifs erfolgt. Deshalb wird der Effekt der kalten Progression häufig als heimliche Steuererhöhung bezeichnet. Alternativ wäre es möglich, den Tarif durch eine inflationsabhängige Indexierung automatisch anzupassen. Das nähme Politikern jedoch die Möglichkeit, den Abbau der kalten Progression als Steuererleichterung zu verkaufen.
Aufgabe dieser Untersuchung ist es, den Effekt der kalten Progression zu quantifizieren. Abgesehen von der Erhöhung des Grundfreibetrags sind Tarifanpassungen unterblieben. Deshalb kumulieren die rein inflationsbedingten Steuermehreinnahmen seit 2010 Jahr für Jahr. Mit Hilfe eines Simulationsmodells, das auf Daten für mehrere Millionen Steuerpflichtige beruht, wird ermittelt, wie hoch die Belastung durch die kalte Progression bis zum Jahr 2017 ausfällt, wenn bis dahin keine weitere Tarifänderung erfolgt und inwieweit bestimmte Steuerpflichtige davon in stärkerem Maße als andere betroffen sind.
Die Simulation zeigt, dass der Gesamteffekt der kalten Progression in sieben Jahren mehr als 20 Milliarden Euro ausmacht und jeder Steuerpflichtige allein aufgrund des Zusammenwirkens von Inflation und Steuerprogression im Durchschnitt 561 Euro mehr Einkommensteuer zahlt. Die niedrigeren Einkommen zahlen zwar in absoluten Zahlen weniger, ihre anteilige Zusatzbelastung ist jedoch höher als die der Steuerzahler mit höheren Einkommen. Deshalb sollte die regelmäßige Tarifanpassung aufgrund der Preisentwicklung verpflichtend werden. Dazu muss das Zustimmungsverfahren umgekehrt werden, so dass das Aussetzen der Tarifanpassung der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat bedarf. Dadurch kann der regelmäßige Abbau der kalten Progression nicht mehr wie bisher von nur einer Kammer verhindert werden, sondern muss durch eine gemeinsame Entscheidung beider Organe herbeigeführt werden.
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