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Ralph Henger im sozialpolitikblog des DIFIS Externe Veröffentlichung 2. Februar 2023 Die Wohngeld-Plus-Reform 2023: Mehr Bürokratie durch Kurzbescheide

Mit dem Gesetz zur Erhöhung des Wohngeldes (Wohngeld-Plus-Gesetz) bekommen einkommensschwache Haushalte ab dem 1.1.2023 spürbar mehr staatliche Unterstützung (Bundesgesetzblatt, 2022).

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Mehr Bürokratie durch Kurzbescheide
Ralph Henger im sozialpolitikblog des DIFIS Externe Veröffentlichung 2. Februar 2023

Die Wohngeld-Plus-Reform 2023: Mehr Bürokratie durch Kurzbescheide

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Mit dem Gesetz zur Erhöhung des Wohngeldes (Wohngeld-Plus-Gesetz) bekommen einkommensschwache Haushalte ab dem 1.1.2023 spürbar mehr staatliche Unterstützung (Bundesgesetzblatt, 2022).

Die jetzige Reform stellt die mit Abstand größte und zugleich am schnellsten umgesetzte Wohngeldreform dar. In der Tat sind die Zahlen beachtlich: Die Mehrausgaben für Bund und Länder belaufen sich auf 3,8 Milliarden Euro. Das ist ein Anstieg der bisherigen Kosten um den Faktor 3,7 (von 1,4 Milliarden Euro auf 5,2 Milliarden Euro). Die Anzahl der Wohngeldhaushalte wird gleichzeitig von knapp 600.000 auf voraussichtlich 2 Millionen Haushalte steigen (Henger et al. 2022). Das ist ein Anstieg um den Faktor 3,3. Auch mit der Geschwindigkeit des Gesetzgebungsprozesses wurde eine neue Bestmarke erreicht. Zwischen dem Gesetzesentwurf Mitte September und der Zustimmung des Bundestags (10.11.2022) und des Bundesrates (25.11.2022) liegen nur 10 Wochen. Normalerweise – wie bei den letzten beiden Wohngeldnovellen 2016 (Wohnraumförderungsgesetzes – WoGRefG) und 2020 (Wohngeldstärkungsgesetz – WoGStärkG) – wird vom Bauministerium im Frühjahr des Vorjahres ein Referentenentwurf vorgelegt, der dann noch mit den anderen Ministerien als auch mit den Bundesländern im Bundesrat mehrere Monate lang abgestimmt wird.

Die Bundesländer waren von dem Vorgehen der Bundesregierung gelinde gesprochen „not amused“. Einmal ging es ums Geld, da das Wohngeld paritätisch von Bund und Ländern bezahlt wird. Aber es ging auch um die hohe Geschwindigkeit des parlamentarischen Verfahrens, bei dem sich die Länder oft vor vollendete Tatsachen gestellt sahen. Die Landesregierung NRW vermeldete im Dezember 2022 entsprechend: „Die Bundesregierung schreibt mit der Wohngeldreform ein Menü auf die Karte, will es aber selbst nicht zubereiten. Stattdessen stellt sie die Kommunen in die kalte Küche.“

Die Inhalte der Reform sind dabei unstrittig. Zentraler Reformbaustein ist, dass ab 2023 nicht nur die Miete und die kalten Nebenkosten bezuschusst werden, sondern auch die Heizkosten. Zusammen mit den anderen Reformelementen, werden die Neuerungen dazu führen, dass die Wohngeldhaushalte, die bereits vor der Reform wohngeldberechtigt waren, im Jahr 2023 rund doppelt so viel Wohngeld erhalten werden. Erwartet wird ein Anstieg von monatlich 190 Euro auf 370 Euro. Dies erscheint vor dem Hintergrund der stark gestiegenen Heizkosten angemessen. Die neuen Haushalte, die vom oberen Einkommensrand ins Wohngeld „hereinwachsen“, werden durchschnittlich 100 Euro Wohngeld erhalten (BMWSB 2022). Der geringere Betrag für höhere Einkommensgruppen erklärt sich daraus, dass sich die Höhe des Wohngelds aus der Haushaltsgröße, den Wohnkosten und dem Haushaltseinkommen berechnet (§ 4 WoGG). Die Erhöhung der Einkommensgrenzen und die größere Reichweite des Wohngeldes sind ebenfalls richtig, um den jüngsten Entwicklungen steigender Inflation und hoher Energiekosten Rechnung zu tragen.

Um einen Antragstau im großen Umfang zu vermeiden, hat die Bundesregierung einige Verwaltungsvereinfachungen beschlossen. Die Vereinfachungen sind jedoch nur marginal. So wird der Anrechnungszeitraum für einmalige Einkommen von 36 auf 12 Monate verkürzt (§ 15, Abs. 2/3 WoGG), was die Einkommensprüfung für die Wohngeldstellen erleichtert. Auch wird der Bewilligungszeitraum von 12 auf 24 Monate verdoppelt (§ 25 WoGG), sodass bei gleichbleibenden Verhältnissen das Wohngeld erst nach zwei Jahren neu beantragt werden muss. Das betrifft vor allem Rentnerhaushalte, bei denen sich die Einkommenssituation kaum verändert. Zudem wird eine Bagatellgrenze von 50 Euro bei möglichen Rückforderungen eingeführt (§ 30a WoGG), sodass kein Aufwand mehr bei den Wohngeldstellen entsteht, wenn es darum geht, Kleinstbeträge zurückzufordern.

Hauptstreitpunkt stellt jedoch die nun neue Möglichkeit der Sachbearbeiter*innen dar, eine vorläufige Zahlung (§ 26a WoGG) zu bewilligen. Die Idee und die Absicht dieser so genannten Kurzbescheide sind natürlich nachvollziehbar. „Eine vorläufige Zahlung des Wohngeldes kann erfolgen, wenn zur Feststellung des Wohngeldanspruchs voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Wohngeld besteht.“ (§ 26a Abs. 1 WoGG). Damit können Bescheide sicher oftmals schneller fertiggestellt werden, sodass die Bedürftigen nicht viele Monate auf ihr Wohngeld (auf das sie einen Rechtsanspruch haben) warten müssen. Die Länder fragten aber natürlich zu Recht: Das soll die Lösung sein, um die riesige Antragswelle aufzufangen? Bräuchte es nicht vielmehr eine umfassende Vereinfachung des gesamten Antragsverfahrens, etwa in dem man etliche Einkommenspositionen weglässt oder auf Grundlage alter Einkommensteuerbescheide bemisst?

In der Tat sind die Kurzbescheide höchst problematisch. Hauptproblem: Bei Kurzbescheiden müssen natürlich alle Bearbeitungsfälle zweimal angepackt werden. Einmal bei der Entscheidung über die vorläufige Zahlung und dann noch einmal für den abschließenden Bescheid. Der Austausch und die Kommunikation der Wohngeldstellen mit den Wohngeldempfänger*innen werden dabei oft konfliktreich sein, beispielsweise wenn die Haushalte Geld zurückbezahlen müssen. Auch der Anreiz der Wohngeldempfänger*innen die erforderlichen Dokumente für den endgültigen Bescheid nachzureichen, wird gering sein, wenn dadurch abzusehen ist, dass sie dann Wohngeld zurückzahlen müssen. Der gesamte Prozess zwischen Kurzbescheid und Endbescheid ist zudem hochkomplex, wenn es um die Frage geht, ob ein Haushalt Wohngeld als vorrangige Leistung in Anspruch zu nehmen hat oder ob er nicht aus dem Grundsicherungssystem und dem neuen Bürgergeld eventuell höhere Leistungen erhalten würde. Hier drohen nicht nur Verständnisprobleme, sondern auch eine Behördenodyssee für viele Bedürftige, die dann gleichzeitig mit der Wohngeldstelle und dem Jobcenter/Sozialamt in Verbindung stehen müssen. Einige Kommunen haben daher angekündigt, weitgehend auf die Ausstellung von Kurzbescheiden verzichten zu wollen.

Die Anzahl der Anträge wird sich ungefähr verdreifachen. Aufgrund der kurzen Zeit ist ein reibungsloser Start des neuen Wohngeldes ausgeschlossen. Hier rächt sich, dass die Antragstellung nicht schon lange digitalisiert und online möglich ist. Die Wohngeldbehörden sind durch die beiden einmaligen Heizkostenzuschüsse und viele krankheitsbedingte Ausfälle bereits überlastet (Henger und Engler 2022). Die Bearbeitung eines Antrags dauert je nach seiner Komplexität in der Regel zwei bis acht Wochen. Wie eine aktuelle Umfrage des WDR in Nordrhein-Westfalen zeigt, dauert sie jedoch in jeder fünften Kommune länger als zwei Monate, in jeder zehnten Kommune sogar länger als drei Monate. Das bedeutet, dass etliche Haushalte erst im März/April vom neuen Wohngeld-Plus-Gesetz profitieren können, auch wenn sie einen Antrag zum frühestmöglichen Zeitpunkt 1.1.2023 stellen. Zwar erhalten Bedürftige ab dem Zeitpunkt des Monats der Antragstellung rückwirkend Wohngeld ausbezahlt, die Verzögerungen können aber speziell bei Haushalten mit sprunghaft gestiegenen Heizkosten zu finanziellen Problemen führen.

Um die große Zahl an Neuanträgen zu bewältigen, setzen die Wohngeldstellen auf die Schaffung neuer Stellen sowie auf Personal aus anderen Behörden. Auch Überstunden und Samstagsarbeit sind oft vorgesehen. Jedoch wird eine zeitnahe Bearbeitung der vielen Anträge nicht möglich sein, da viel Personal zum Zeitpunkt der Einstellung noch nicht ausreichend qualifiziert ist und noch eingearbeitet werden muss. Viele Haushalte werden daher länger auf die Bearbeitung ihrer Anträge warten müssen. Die Kurzbescheide verkürzen die Bearbeitungszeit nur in den ersten Monaten. Schon nach einigen Monaten wird sich die Lage in den Wohngeldstellen jedoch durch die Mehrarbeit insgesamt verschlechtern. „Gut gemeint“ ist damit wieder einmal das sprichwörtliche Gegenteil von „gut“.

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