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Pekka Sagner / Michael Voigtländer IW-Kurzbericht Nr. 5 25. Januar 2023 Mismatch im Wohnungsmarkt

Etwa 6 Prozent der Haushalte in deutschen Großstädten leben in tendenziell zu kleinen Wohnungen, besonders häufig sind Haushalte mit Migrationshintergrund und Familien betroffen. Fast ebenso viele Haushalte leben in tendenziell zu großen Wohnungen – die Energiekrise könnte dazu beitragen, dieses Missverhältnis etwas zu reduzieren.

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Mismatch im Wohnungsmarkt
Pekka Sagner / Michael Voigtländer IW-Kurzbericht Nr. 5 25. Januar 2023

Mismatch im Wohnungsmarkt

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Etwa 6 Prozent der Haushalte in deutschen Großstädten leben in tendenziell zu kleinen Wohnungen, besonders häufig sind Haushalte mit Migrationshintergrund und Familien betroffen. Fast ebenso viele Haushalte leben in tendenziell zu großen Wohnungen – die Energiekrise könnte dazu beitragen, dieses Missverhältnis etwas zu reduzieren.

Laut der Definition von Eurostat (o. J.) gilt eine Wohnung grundsätzlich dann als überbelegt, wenn nicht für jede Person im Haushalt rechnerisch ein Raum zur Verfügung steht. Dies gilt etwa dann, wenn ein Paar mit einem Kind nur in einer 2-Zimmer-Wohnung lebt oder wenn es bei zwei Kindern im jugendlichen Alter nur ein Kinderzimmer gibt. Im Folgenden wird eine simplere Heuristik genutzt, um Haushalte zu identifizieren, die tendenziell beengt wohnen. Dies gilt dann, wenn weniger Wohnräume als Haushaltsmitglieder vorhanden sind. Das Phänomen der Überbelegung spielt in ländlichen Kommunen und abseits der großen Ballungsgebiete kaum eine Rolle, in Gemeinden unter 2.000 Einwohnern sind zum Beispiel nur 1 Prozent der Haushalte betroffen. Anders sieht es aber in den deutschen Großstädten aus, hier wohnten im Jahr 2020 6 Prozent der Haushalte in rechnerisch zu kleinen Wohnungen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade in Großstädten sehr viele Single-Haushalte leben, die per Definition nicht von Überbelegung betroffen sein können. Entsprechend kumuliert sich das Problem bei einigen Gruppen besonders. So lebten im Jahr 2020 ein Drittel der Familien in überbelegten Wohnungen, bei den Haushalten mit direktem Migrationshintergrund waren es ein Fünftel. Überproportional häufig sind Haushalte betroffen, in denen der Haushaltsvorstand zwischen 40 und 55 Jahren alt ist (13 Prozent) – ein Hinweis, dass es vor allem in Familien mit älteren Kindern räumlich eng ist.

Die Quote der zu beengt wohnenden Haushalte ist ein guter Indikator, um die Spannung im Wohnungsmarkt zu erfassen. Denn gerade in angespannten Märkten können Familien aufgrund fehlender oder zu teurer Alternativen nicht umziehen, der Haushalt bleibt in der eigentlich zu kleinen Wohnung. Dies kann auch zu innerfamiliären Spannungen beitragen und zum Beispiel den Erfolg von Kindern in der Schule gefährden (Solari/Mare, 2012). Dass Familien auf diese Art auf die Anspannung im Wohnungsmarkt reagieren, zeigt auch die Zahl der Studierenden, die noch zu Hause wohnt. Während es 2003 nur 22,3 Prozent der Studierenden waren, stieg die Quote bis 2018 auf 25,2 Prozent (Berghoff/Hachmeister, 2019).

Die Quote der Überbelegung ist damit gerade im Vergleich zur Wohnkostenbelastung ein besserer Indikator für die Lage am Wohnungsmarkt. Denn die Wohnkostenbelastung – also der Anteil der Wohnkosten am verfügbaren Einkommen – zeigt über die letzten 10 Jahre eigentlich keinerlei Veränderungen und bleibt konstant bei einem Niveau von rund 25 Prozent in den Großstädten (vgl. Sagner et al., 2020). Ursächlich hierfür sind zum einen positive Einkommensentwicklungen, geringe Anstiege von Mieten im Bestand und eben die Reaktionen vieler Haushalte nicht umzuziehen, was dann zur Überbelegung führt.

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Überbelegung so hoch wie in den 1990er Jahren

Betrachtet man die Überbelegung in den deutschen Großstädten im Zeitverlauf, so zeigen sich die unterschiedlichen Phasen des Wohnungsmarktes. Anfang der 1990er Jahre war die Überbelegung besonders groß. Damals war die Zuwanderung nach Deutschland aufgrund der Wiedervereinigung sehr hoch, später auch aufgrund des Jugoslawienkrieges. In der Spitze erreichte die Überbelegung in den deutschen Städten einen Wert von 37 Prozent bei Familien mit Kindern. Danach ging die Überbelegung deutlich zurück, weil die Zuwanderung in die Großstädte nachließ und die Bautätigkeit sehr stark angestiegen war – allein 1994 wurden in Deutschland über 600.000 Wohnungen gebaut. In der Folge sank die Quote bis auf 23 Prozent im Jahr 2008 bei Familien und 5 Prozent bei allen Mieterhaushalten. Tatsächlich war der Wohnungsmarkt in dieser Phase sehr entspannt, die Mieten stagnierten im Wesentlichen, die Einwohnerentwicklung der Großstädte war verhalten. Mit dem Anstieg der Zuwanderung aus dem In- und Ausland in die Großstädte ist dann die Überbelegungsquote bei Familien wieder deutlich gestiegen und erreichte im Jahr 2018 wiederum 37 Prozent in dieser Gruppe. Gerade im Jahr 2020 gab es aber einen deutlicheren Rückgang der Überbelegungsquote. Dies deckt sich mit der geringeren Einwohnerentwicklung in den Großstädten, die auch auf die Corona-Pandemie zurückführbar ist. Insbesondere die verbesserten Möglichkeiten für mobiles Arbeiten sind für viele Menschen ein Argument, ins günstigere Umland zu ziehen.

Tauschpotenziale in Großstädten?

Das Gegenstück zu Haushalten in zu beengten Wohnungen sind solche, die in sehr großzügigen Wohnungen leben. Annahmegemäß sind dies im Folgenden Haushalte, in denen die Zahl der Zimmer die Zahl der Haushaltsmitglieder um 3 und mehr überschreitet – also etwa der Single-Haushalt in einer 4-Zimmer-Wohnung. Dies gilt in den Großstädten für 6 Prozent der Mieterhaushalte. Rechnerisch könnte die Überbelegung also ausgeglichen werden. Allerdings kann die Wahl einer großen Wohnung auch präferenzgerecht sein, etwa weil häufig Gäste empfangen werden. Zudem muss berücksichtigt werden, dass hier nur Großstädte im Aggregat betrachtet werden, innerhalb der Großstädte können also beengt und großzügig lebende Haushalte auch stärker auseinanderfallen. Nichtsdestotrotz deuten die Zahlen aber auf ein gewisses Tauschpotenzial hin, insbesondere mit Blick auf ältere Haushalte. So leben 9 Prozent der Haushalte mit einem Haushaltsvorstand über 70 Jahre in sehr großzügigen Wohnungen. Dies dürfte im Wesentlichen auf den Remanenzeffekt zurückzuführen sein, wonach Haushalte oft auch dann nicht umziehen, wenn die Kinder ausziehen oder der Partner verstirbt. Auffällig ist, dass die Quote der großzügig belegten Wohnungen zwischen 1995 und 2010 kontinuierlich gestiegen ist, dann zunächst runtergegangen ist und seit 2017 wieder kräftiger steigt. Gerade im Zeitraum 1995 bis 2010 war der Wohnungsmarkt aufgrund der geschaffenen Überkapazitäten im Wohnungsbau eher entspannt, weshalb sich viele Mieter auch sehr große Wohnungen leisten konnten. Seitdem die Preise auf den Mietwohnungsmärkten erneut anziehen, wird die Nachfrage nach großen Wohnungen wieder reduziert. Ursächlich für den starken Anstieg seit 2017 dürfte paradoxerweise dennoch die noch stärkere Anspannung im Markt sein. Zwar setzen die hohen Neuvertragsmieten Anreize, eher kleinere Wohnungen anzumieten, bei Bestandsmietern in großen Wohnungen wirkt aber der zunehmende Unterschied zwischen den Bestands- und Neuvertragsmieten in die andere Richtung, sprich ein Verbleib in einer eigentlich zu großen Wohnung ist günstiger. Gerade in anziehenden Märkten steigt der Unterschied deutlich an, da sich die Bestandsmieten aufgrund restriktiverer Regulierung deutlich langsamer entwickeln als die Neuvertragsmieten. Kühling et al. (2021) haben daher schon gefordert, die Bestandsmieten müssten an das Marktniveau angeglichen werden, damit Anreize gesetzt werden, passendere Wohnungen anzumieten.

Energiekrise könnte Matching im Wohnungsmarkt verbessern

Eine zusätzliche Belastung der Bestandsmieter durch ein Anheben der Bestandsmieten erscheint in der aktuellen Lage aber kaum angemessen. Allerdings ist zu vermuten, dass bereits die Energiekrise für eine passendere Auswahl der Wohnungen sorgt. Da die Energiekosten zu einem erheblichen Teil über die Wohnfläche bestimmt werden, gibt es nun für Haushalte in sehr großzügigen Wohnungen mehr Anreize, in eine kleinere Wohnung zu ziehen. Dies könnte unterstützt werden durch Hilfen bei der Wohnungssuche oder aber auch Umzugshilfen. Viele Wohnungsunternehmen haben sich in der Vergangenheit bereits bemüht, Wohnungstausche zu organisieren, allerdings mit geringen Erfolgen. Unter den neuen Rahmenbedingungen könnten die Chancen hierfür aber etwas besser sein. Allein dies wird jedoch nicht ausreichen, um dem Trend überbelegter Wohnungen entgegenzuwirken. Ganz entscheidend ist es, die Bautätigkeit hochzuhalten, was aufgrund steigender Baukosten und zinsbedingt nachlassender Nachfrage schwierig ist. Zumindest sollten die Städte aber bei der Baulandausweisung nicht nachlassen. Darüber hinaus bedarf es verstärkt Maßnahmen, um im Bestand neue Wohnungen zu errichten. Neben Dachausbauten sollten auch Aufstockungen aktiv befördert werden, ebenso wie die Schaffung von Einliegerwohnungen, gerade bei selbstgenutztem Wohneigentum.

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