Die hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüsse werden heftig kritisiert. Als Erklärung wird unter anderem eine zu schwache Investitionstätigkeit in Deutschland angeführt. Dieser Zusammenhang ignoriert jedoch die Internationalisierung der Investitions- und Produktionsstandorte sowie intertemporale Spar- und Investitionsentscheidungen.
Deutsche Investitionen im Fokus der internationalen Politik
IW-Kurzbericht
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Die hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüsse werden heftig kritisiert. Als Erklärung wird unter anderem eine zu schwache Investitionstätigkeit in Deutschland angeführt. Dieser Zusammenhang ignoriert jedoch die Internationalisierung der Investitions- und Produktionsstandorte sowie intertemporale Spar- und Investitionsentscheidungen.
Die gesamtwirtschaftliche Investitionstätigkeit in Deutschland ist in der internationalen wirtschaftspolitischen Diskussion ein aktuelles Thema. In der Auseinandersetzung mit den hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüssen taucht regelmäßig das Argument auf, die hinter den Güterexporten zurückbleibenden Güterimporte reflektieren eine zuschwache Inlandsnachfrage in Deutschland. Als Grund hierfür wird dann unter anderem eine zu schwache Investitionstätigkeit in Deutschland diagnostiziert (Fratscher, 2017). Mit Blick auf die spiegelbildliche Kapitalbilanz reflektieren demnach die deutschen Kapitalbilanzdefizite (Kapitalexporte übersteigen die Kapitalimporte) ebenfalls eine zu schwache Investitionstätigkeit. Die laufenden gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse übertreffen demnach die laufenden Investitionen im Inland. Das (Spar-)Kapital, das hierzulande nicht verwendet wird, steht dann eben anderen Ländern zur Verfügung.
Aus dieser Leistungsbilanzkonstellation kann aber aus verschiedenen Gründen nicht auf eine Investitionsschwäche in Deutschland geschlossen werden:
Internationalisierung der Produktion
Die deutschen Unternehmen sind in hohem Maß in internationale Produktionsketten eingeflochten.Diese Internationalisierung der Produktion geht mit länderübergreifenden Investitionen einher. Zudem helfen diese Direktinvestitionen auch bei der Erschließung ausländischer Absatzmärkte. Die Direktinvestitionen sind dann nicht substitutiv, sondern vielmehr komplementär zu den Inlandsinvestitionen zu sehen. Mit Blick auf Deutschland zeigt sich, dass anziehende Inlandsinvestitionen oftmals mit anziehenden Auslandsinvestitionen einhergehen – und umgekehrt (Grafik).
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Die gesamte länderübergreifende Investitions- und Wertschöpfungskette verstärkt und sichert in allen beteiligten Ländern die Produktionspotenziale. Länder, die relativ stark diese Form der Globalisierung vorantreiben, haben dann auch entsprechend hohe Abflüsse und Zuflüsse an Direktinvestitionen. Die deutschen Unternehmen verzeichnen infolge ihrer Internationalisierungsstrategien seit dem Jahr 2004 einen positiven Saldo bei den Direktinvestitionen und sie tragen damit zugleich zur Kapitalstockbildung im Ausland bei. Mit Blick auf die Leistungsbilanz kann dies dann dazu führen, dass diese im Ausland entstehenden Produktionsstätten wiederum die Lieferung von im Inland produzierten Investitionsgütern nach sich ziehen und so zum Leistungsbilanzüberschuss beitragen. Deutsche Fabriken im Ausland werden mit deutschen Maschinen aus dem Inland ausgestattet.
Globaler Investitionszyklus
Ab dem Jahr 2002 setzte weltweit ein bislang einzigartiger Anstieg der Sachkapitalbildung ein (Grömling, 2016). Bis zum Jahr 2008 verdoppelte sich das globale Investitionsvolumen. Den stärksten Anstieg verzeichneten mit knapp 250 Prozent die Schwellen- und Entwicklungsländer. Im Euroraum verdoppelten sich die Investitionen. Am absoluten Investitionszuwachs im Zeitraum 2002 bis 2008 hatten die aufstrebenden Volkswirtschaften ein Gewicht von über 50 Prozent, ihr Anteil am globalen Investitionsvolumen stieg dadurch von 20 auf 37 Prozent an. Nach der globalen Finanzmarktkrise hielt der Investitionsboom in den aufstrebenden Ländern zumindest bis zum Jahr 2014 an – während die Investitionen in den fortgeschrittenen Ländern stagnierten. Zuletzt entfiel jeweils die Hälfte der globalen Investitionstätigkeit auf beide Ländergruppen. Im Gesamtzeitraum 2002 bis 2015 hatte sich die Sachkapitalbildung in den aufstrebenden Volkswirtschaften mehr als verfünffacht. Damit kam es einerseits zu einem anhaltenden ökonomischen Aufholprozess der Schwellen- und Entwicklungsländer. Andererseits können Länder, die Investitionsgüter produzieren, in Zeiten einer hohen globalen Nachfrage nach Investitionsgütern hohe Handelsbilanzüberschüsse realisieren. Diese Situation ist vergleichbar mit den Handelsbilanzüberschüssen von rohstoffreichen Ländern in Zeiten hoher Nachfrage und hoher Preise für Rohstoffe. Die deutsche Handels- und Leistungsbilanz atmet historisch stark im Rhythmus der globalen Investitionsgüternachfrage (Abelshauser, 2011, S. 283 ff.;Grömling, 2014).
Anpassung an die Demografie
Der zunehmende Anteil älterer Menschen und die Antizipation einer schwierigeren Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme können die privaten Sparanreize erhöhen. Wenn ein Teil dieser Ersparnisse über Nettokapitalexporte im Ausland angelegt wird, dann hat dies spiegelbildlich einen Leistungsbilanzüberschuss zur Folge. Die damit einhergehende Nettoauslandsposition (Vermögensansprüche an ausländische Kapitalstöcke) kann in Zukunft – wenn das inländische Produktions- und Einkommenspotenzial infolge der demografischen Entwicklung beeinträchtigt wird – wieder aufgelöst werden. Heutiges Sparen und Investieren im Ausland erhöht die Einkommen von Morgen, und zwar dann, wenn Arbeitskräftemangel zu Produktions- und Einkommenskürzungen führt. Zum einen kann so die demografisch bedingte Einkommenslücke geschlossen werden. Über Nettokapitalimporte fallen dann die Verfügbaren Einkommen im Inland höher aus als die im inländischen Produktionsprozess entstehenden Einkommen. Zum anderen kann dann auch die Inlandsverwendung von Gütern höher ausfallen als die Inlandsproduktion. Deutschland würde in Zukunft Leistungsbilanzdefizite realisieren. Die Leistungsbilanz reflektiert somit auch intertemporale Spar- und Konsumentscheidungen (Kooths, 2014).
Staatsverschuldung
Die Schuldenstandquote in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften ist im Zeitraum 2007 bis 2016 von 72 auf 107 Prozent angestiegen. In einer Reihe von Ländern – unter anderen in den USA – bestehen seit geraumer Zeit sogenannte Zwillingsdefizite. Der laufende Staatshaushalt und die Leistungsbilanz verzeichnen jeweils ein Defizit. Die zum Leistungsbilanzdefizit spiegelbildlichen Kapitalbilanzüberschüsse werden somit herangezogen, um die Staatsdefizite zu finanzieren. Dies legt nahe, diesen Ländern eher ein Kapitalbilanz- als ein Leistungsbilanzproblem zu attestieren – das Leistungsbilanzdefizit folgt also dem Kapitalbilanzüberschuss. Die Spardefizite dieser Länder erfordern Sparüberschüsse anderer Länder. Die Verwendung dieser Mittel für oftmals konsumptive Staatsausgaben steht dann in Konkurrenz zu einer investiven Verwendung – in allen Ländern.
Michael Grömling: Deutsche Investitionen im Fokus der internationalen Politik
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