Die OECD bescheinigt Deutschland nach einer geringen Bildungsmobilität nun auch eine geringe Einkommensmobilität. Gemessen an den Arbeitseinkommen läge die Bundesrepublik demnach auf einem Niveau mit Indien und weit hinter den USA. Doch das Hauptergebnis der OECD schließt eine wichtige Gruppe aus: die Selbständigen. Mit ihnen fällt das Gesamtbild positiver aus.
Einkommensmobilität: Ist der Traum vom sozialen Aufstieg in Deutschland ausgeträumt?
IW-Kurzbericht
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Die OECD bescheinigt Deutschland nach einer geringen Bildungsmobilität nun auch eine geringe Einkommensmobilität. Gemessen an den Arbeitseinkommen läge die Bundesrepublik demnach auf einem Niveau mit Indien und weit hinter den USA. Doch das Hauptergebnis der OECD schließt eine wichtige Gruppe aus: die Selbständigen. Mit ihnen fällt das Gesamtbild positiver aus.
Folgt man den neuesten Ergebnissen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur sozialen Mobilität, so steht es um die soziale Durchlässigkeit in Deutschland besorgniserregend schlecht (OECD, 2018). Trotz jüngster Fortschritte bei den PISA-Tests ist die Bildungsmobilität in Deutschland vergleichsweise gering. Da Bildungserfolg und Einkommen eng miteinander verbunden sind, liegt es nahe, dass der Zusammenhang zwischen den Einkommen von Eltern und Kindern ebenfalls überdurchschnittlich stark ausfällt. Dies sollte nun gezeigt werden.
Den Zusammenhang zwischen Einkommen von Eltern und Kindern bestimmen die Autoren der OECD-Studie unter anderem mithilfe des sogenannten intergenerationalen Elastizitätskoeffizienten. Interpretieren kann man dieses Maß als Anteil der Einkommensungleichheit, der zwischen den Generationen übertragen wird. In Deutschland gehen nach OECD-Schätzungen 55 Prozent der Einkommensungleichheit unter den Söhnen auf die Einkommensungleichheit unter den Vätern zurück (der Elastizitätskoeffizient beträgt 0,55). Mit diesem Wert stellt sich die Lage in Deutschland schlechter als in den USA (rund 41 Prozent) dar und ist vergleichbar mit der Situation in Ländern wie Indien oder China. Aber wie plausibel ist dieses Ergebnis? Frühere Untersuchungen weisen auf Grundlage derselben Daten und einem vergleichbaren Einkommenskonzept eine deutlich höhere Mobilität in den Arbeitseinkommen für Deutschland aus (Corak, 2006, 2017). Die aktuellsten Veröffentlichungen für Deutschland kommen auf einen Elastizitätskoeffizienten zwischen 0,3 und 0,4, wobei mögliche Mess- und Schätzfehler bestmöglich reduziert wurden. Damit kommt der Wert für Deutschland im ungünstigsten Fall dem der USA nahe, aber er ist weit entfernt von jenen 0,55 der OECD-Studie (Schnitzlein, 2016; Stockhausen, 2017). Man könnte einwenden, dass sich die bisherigen Studien für Deutschland allein auf westdeutsche Väter und Söhne bezogen haben und die Mobilität unter Einbezug von (1) Müttern und Töchtern und (2) Ostdeutschen zum Ergebnis der OECD führte. Doch auch das Ergebnis der OECD bezieht sich ausschließlich auf die Arbeitseinkommen von Vätern und Söhnen. Tatsächlich zeigen eigene Untersuchungen, dass die Einkommensmobilität zwischen Vätern und Töchtern in Westdeutschland eher geringer ist. Allerdings ist dies in erster Linie auf Unterschiede im Erwerbsumfang und der Erwerbsbeteiligung zurückzuführen. Zwar hat die Erwerbsquote von Frauen in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen, aber sie arbeiten immer noch häufiger in Teilzeit als Männer. Diese Unterschiede führen tendenziell zu einer geringeren Mobilität. Des Weiteren ist nicht ersichtlich, ob in der OECD-Studie neben westdeutschen auch ostdeutsche Personen betrachtet wurden. Da die Arbeitseinkommensmobilität zwischen Vätern und Söhnen im Osten nach der Wiedervereinigung tendenziell größer ausfällt als im Westen, scheidet dies als Erklärung aus. Eine höhere Mobilität ist angesichts der gravierenden strukturellen Veränderungen des Arbeitsmarktes und individueller Erwerbsbiographien nach der Wende nicht unerwartet. Diese und andere Einflüsse machen eine Betrachtung gleichermaßen kompliziert, weshalb das IW bislang von einer gemeinsamen Analyse ost- und westdeutscher Verhältnisse abgesehen hat.
Die Erklärung für das Ergebnis der OECD-Studie liegt vielmehr in der Beschränkung auf die Arbeitseinkommen von abhängig Beschäftigten; selbständig Beschäftigte werden nicht berücksichtigt. Der Effekt dieser in der Literatur eher unüblichen Einschränkung fällt für Deutschland besonders groß aus: Werden alle Beschäftigten in der Analyse berücksichtigt, wie die OECD später selbst zeigt, verdoppelt sich die Einkommensmobilität und der Elastizitätskoeffizient sinkt von 0,55 auf 0,29 (OECD, 2018, 198). Auch ein Vergleich der OECD-Ergebnisse mit den bislang besten verfügbaren Schätzern zur Arbeitseinkommensmobilität zwischen Vätern und Söhnen zeigt, wie sehr die Wahl der Untersuchungsgruppe das Länderranking beeinflusst (Corak, 2006, 2017). So steigt Deutschland von den hinteren Rängen in die Mitte des Rankings auf (Abbildung).
Man kann sicherlich gut begründen, warum bestimmte Beschäftigungsgruppen aus der Analyse ausgeschlossen werden, beispielsweise weil das die internationale Vergleichbarkeit erhöht. Allerdings können solche Einschränkungen auch ins Gegenteil umschlagen, wenn dadurch bestimmte Personen- und Einkommensgruppen in einzelnen Ländern einseitig ausgeschlossen werden oder die Größe der Untersuchungsgruppe erheblich sinkt. So machten Selbständige im Jahr 2016 in Deutschland zwar nur rund 10 Prozent aller Erwerbstätigen aus, was unterhalb des EU-Durchschnitts liegt. Die Gruppe umfasst aber unter anderem die freien Berufe wie zum Beispiel Ärzte oder Rechtsanwälte, allesamt Berufsgruppen, die – von Einzelfällen abgesehen - eher nicht mit prekären Verhältnissen assoziiert werden und durch eine höhere Einkommensdynamik gekennzeichnet sind. Gleichzeitig fällt der Anteil der Solo-Selbständigen, die eher unterdurchschnittlich verdienen, in Deutschland geringer aus als in anderen Ländern (Brenke, 2013). Bei allem Bemühen um eine Harmonisierung der Datensätze macht diese kurze Betrachtung deutlich, das maßgebliche Unterschiede in der Komposition der Selbständigen zwischen den Ländern bestehen, die in Folge ihres Ausschlusses die Ergebnisse zur Einkommensmobilität stark beeinflussen. Daher sollte die Wahl der Untersuchungsgruppe stets transparent gestaltet sein und auf Unterschiede zu bisherigen Untersuchungen genau hingewiesen werden.
Unabhängig davon bleibt das Ergebnis zur Bedeutung der selbständigen Beschäftigung für die Einkommensmobilität beachtenswert. Es ist durchaus zu hinterfragen, warum abhängige Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland weniger dynamisch sind als in anderen Ländern. Eine Erklärung könnte darin liegen, dass der deutsche Arbeitsmarkt durch einen hohen Stabilitätsgrad gekennzeichnet ist und eine gefestigte Mittelschicht hervorgebracht hat. Dazu passt, dass die Beschränkung auf abhängig Beschäftigte nur wenig Einfluss auf die Auf- und Abstiegsmobilität an den Rändern der Einkommensverteilung hat. Andere Studien, die die gesamte Erwerbsbevölkerung umfassen, zeigen eine ähnliche Verhärtung an den Rändern und mehr Mobilität innerhalb der mittleren Einkommensbereiche (Schnitzlein, 2016).
Aus ihren Ergebnissen leitet die OECD ab, dass es circa sechs Generationen in Deutschland dauert, bis eine Person aus dem untersten Einkommensbereich das gesellschaftliche Durchschnittseinkommen erreicht, wenn alles andere gleich bleibt. Allerdings gilt diese Extrapolation in gleichem Maße für diejenigen, die sich im oberen Einkommensbereich befinden, wenn man annimmt, dass die soziale Mobilität entlang der Einkommensverteilung für alle Gruppen gleich groß ist. Ergebnisse von Schnitzlein (2016) deuten darauf hin und zeigen erst in der Generation der Söhne eine etwas höhere Mobilität am unteren Ende der Verteilung. Die oberen Einkommensbezieher würden ebenfalls in rund sechs Generationen das Durchschnittseinkommen erreichen und somit absteigen. Das zeigt einmal mehr, dass (relative) Mobilität in beide Richtungen wirkt und nicht nur einseitig betrachtet werden sollte.
Am Ende bleibt stehen, dass das Ergebnis der OECD nur eingeschränkt gilt und die Arbeitseinkommensmobilität über alle Beschäftigungsgruppen hinweg in Deutschland deutlich höher ausfällt. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland im Mittelfeld und es dauert im Schnitt eher drei bis vier Generationen, um zur Mitte aufzuschließen – egal von welchem Ende der Verteilung man sich nähert: Der soziale Fahrstuhl ist intakt.
Maximilian Stockhausen: Ist der Traum vom sozialen Aufstieg in Deutschland ausgeträumt?
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