Die Automobilindustrie unterliegt derzeit weltweit einem tiefgreifenden Strukturwandel. Die Elektrifizierung, die Fahrzeugautomatisierung und -vernetzung sind die wesentlichen Treiber dieser Entwicklung. „Was bedeuten diese Trends für Nordrhein-Westfalen?”, das ist die Kernfrage dieser Studie.
Zukunft der Automobilwirtschaft in Nordrhein-Westfalen
Studie der IW Consult in Zusammenarbeit mit Fraunhofer IAO und automotiveland.nrw für das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Die Automobilindustrie unterliegt derzeit weltweit einem tiefgreifenden Strukturwandel. Die Elektrifizierung, die Fahrzeugautomatisierung und -vernetzung sind die wesentlichen Treiber dieser Entwicklung. „Was bedeuten diese Trends für Nordrhein-Westfalen?”, das ist die Kernfrage dieser Studie.
Der Ausgangspunkt ist die Einschätzung der wahrscheinlichen globalen Entwicklung bis zum Jahr 2040 in Form von Szenarien, deren mögliche Auswirkungen auf Umsätze, Wertschöpfung und Beschäftigung auf Landesebene dargestellt werden. Davon ausgehend werden Handlungsempfehlungen formuliert, die es dem Land ermöglichen sollen, bestmöglich vom Wandel zu profitieren.
Automobilwirtschaft im Umbruch
Die Automobilindustrie befindet sich weltweit in einem herausfordernden Umfeld. Die Produktion von Leichtfahrzeugen (PKW und leichte Nutzfahrzeuge) hatte 2017 weltweit mit 92,8 Millionen Einheiten einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. 2019 wurden nur noch 87,4 Millionen Fahrzeuge produziert.
Insbesondere die Coronakrise hat im Jahr 2020 nochmals zu einem globalen Einbruch der Produktion auf voraussichtlich nur rund 74 Millionen Fahrzeuge geführt. In Deutschland wurden 2020 19,1 Prozent weniger Fahrzeuge neu zugelassen als noch im Vorjahr. An diesem Tiefpunkt startet die Zukunftsanalyse in dieser Studie.
Erschwerend kommt hinzu, dass die deutschen Automobilhersteller weltweit nach wie vor erfolgreich agieren, aber die Inlands- zugunsten der Auslandsproduktion fällt. Verschärfte Umweltregulierungen – mit dem aktuellen 55-Prozent-Ziel zur Reduzierung der CO2-Emissionen bis 2030 – setzen neue Rahmenbedingungen und verschärfen den Anpassungsdruck für die Unternehmen in der gesamten Automobilwirtschaft. Die derzeitige Emissionsminderungsregulierung für den Automobilsektor beruht noch auf dem 40-Prozent-Ziel zur Reduzierung der CO2-Emissionen. Sie sieht einen Flottengrenzwert von 95 gCO2/km nach dem WLTP-Testverfahren für die Jahre 2021 bis 2024 und weitere Reduktionsschritte in den folgenden Jahren vor. Die Entscheidung über eine mögliche Anpassung dieses Flottengrenzwerts steht noch aus.
Auf der anderen Seite entfalten sich durch den automobilen Wandel auch Chancen für die Branche. Der Markt mit batterieelektrisch betriebenen Fahrzeugen wird in den nächsten Jahren stark wachsen. Brennstoffzellen und synthetische Kraftstoffe befinden sich in der Entwicklung. Ihnen wird großes Zukunftspotenzial eingeräumt, auch wenn sie aktuell noch nicht wettbewerbsfähig sind. Die Systeme für hochautomatisiertes Fahren (Level 4) sind entwickelt, aber noch nicht im Einsatz. Fahrerloses Fahren (Level 5) wird in Pilotprojekten erprobt. Auch die Vernetzung der Fahrzeuge schreitet voran. Die hierdurch entstehenden neuen Möglichkeiten lassen neue Märkte entstehen. Dazu zählen der Bau und Betrieb von Ladesäulen, Cyber-Security-Lösungen, die Analyse von Fahrzeugdaten, die Entwicklung einer vernetzten Verkehrsinfrastruktur und digitaler Geschäftsmodelle wie beispielsweise Mobilitätsplattformen. Diese neuen – heute noch weitgehend nicht existenten – Märkte können nach den Ergebnissen der im Projekt durchgeführten Expertenworkshops deutschlandweit auf gut 121 Milliarden Euro Wertschöpfung im Jahr 2040 dimensioniert werden – auf Nordrhein-Westfalen könnten davon entsprechend rund 15 Milliarden Euro entfallen. Das ist die zentrale Wachstumsperspektive der neuen klimafreundlichen und vernetzten Mobilitätssysteme.
Globale Szenarien der Automobilwirtschaft
In der Studie wird die Entwicklung der Märkte für Leichtfahrzeuge bis 2040 untersucht. Dazu zählen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bis 7,5t Gesamtgewicht. In verschiedenen Szenarien werden die weltweit produzierten Stückzahlen und die Marktvolumina in den drei relevanten Systemen Elektrifizierung, Fahrzeugautomatisierung und -vernetzung abgeschätzt, die den automobilen Strukturwandel maßgeblich prägen. Daneben werden die traditionellen Antriebe (Verbrennungsmotoren) und die Sonstige Systeme (Karosserie, Fahrwerk, Reifen, Interieur, Exterieur etc.) berücksichtigt. Für die einzelnen Systeme und die dazugehörigen Komponenten werden Mengen und Preise bis 2040 in Szenarien geschätzt.
Das Trendszenario geht von einem wenig dynamischen Wachstum der Fahrzeugproduktion in den nächsten 20 Jahren aus. Die Zahl der weltweit neu zugelassenen Fahrzeuge soll von 74,3 Millionen Einheiten (2020) auf 96,0 Millionen im Jahr 2040 ansteigen. Das ist ein Zuwachs von nur etwa 29 Prozent über 20 Jahre oder 1,3 Prozent pro Jahr. Zum Vergleich: Im Zeitraum der Jahre 2010 bis 2018 lag diese Wachstumsrate weltweit bei 3 Prozent. Der tiefgreifende Strukturwandel in der Automobilwirtschaft wird also nicht durch ein starkes Mengenwachstum flankiert, wodurch die Herausforderungen der Transformation steigen. Dieser flache Wachstumspfad spiegelt die großen Unsicherheiten wider, die mit dem radikalen Wandel zu neuen Antrieben eingehen. Die Umstellung von Fahrzeugen mit konventionellen Antrieben hin zu elektrifizierten Antrieben bedarf an vielen Stellen im Gesamtsystem grundlegende Neuerungen und Weiterentwicklungen. Die hohe Adaption neuer Antriebe, die den Szenarien zugrunde liegt, muss erst bewältigt werden. Der Megatrend der Nachhaltigkeit gepaart mit einem Bedeutungsverlust individueller Mobilität bei Jüngeren und Wachstumsengpässen in den globalen Megacities erschweren es aktuell, das zukünftige Mobilitätsverhalten vorherzusagen. Viele Akteure in den Unternehmen der Automobilwirtschaft zeigen sich deshalb aktuell skeptisch bzgl. eines höheren Wachstumspfads, wie die Ergebnisse von Expertenworkshops im Rahmen dieser Studie belegen. Deshalb ist das Trendszenario vorsichtig konzipiert.
Entlang dieser eher niedrigen Wachstumsraten ist mit einem starken Strukturwandel hin zu elektrischen Antrieben zu rechnen. Der Anteil der neu zugelassenen Fahrzeuge mit traditionellem Verbrennungsmotor fällt von 95 Prozent (2020) auf nur noch rund 25 Prozent (2040). Batterieelektrische Fahrzeuge erhöhen ihren Anteil in diesem Zeitraum von aktuell 2 Prozent auf etwa 66 Prozent. Hybrid-Fahrzeuge bleiben eine Übergangslösung; ihr Anteil steigt von 3 Prozent (2020) auf 13 Prozent (2030) und fällt dann wieder auf 5,5 Prozent bis 2040 zurück. Die Brennstoffzelle bleibt nach aktuellem Kenntnisstand im Bereich der Leichtfahrzeuge ein Nischenprodukt. Mit einer breiteren Markteinführung wird erst 2030 gerechnet. Der Anteil dieser Fahrzeuge soll 2040 auf globalem Niveau bei etwa 4 Prozent liegen. Das entspricht 3,8 Millionen Fahrzeugen.
In einem Exkurs wird die Entwicklung im Bereich der schweren Lkw analysiert. Dort wird die Brennstoffzelle eine wesentlich höhere Bedeutung als bei den Leichtfahrzeugen einnehmen. Bereits 2030 sollen weltweit 9 Prozent der neu zugelassenen Lkw mit dieser Technologie angetrieben werden. Der Anteil steigt bis 2040 auf 43 Prozent und übersteigt deutlich den Anteil batterieelektrischer Lkw (23 Prozent). Der europäische Automobilherstellerverband (ACEA) hat im Dezember 2020 die Losung ausgegeben, dass alle Lkw bis 2040 ohne Verbrennungsmotoren auskommen müssen, um bis 2050 CO2-Neutralität in der EU zu erreichen. Das bedeutet für den Infrastrukturausbau eine doppelte Herausforderung. Es muss gleichzeitig ein Energieversorgungs- und ein Tankstellensystem für beide Antriebsarten aufgebaut werden.
Karl Lichtblau / Hanno Kempermann / Cornelius Bähr / Johannes Ewald / Manuel Fritsch / Enno Kohlisch / Benita Zink: Zukunft der Automobilwirtschaft in Nordrhein-Westfalen – Status quo, Trends, Szenarien
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