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Jürgen Matthes / Hubertus Bardt IW-Kurzbericht Nr. 71 16. November 2018 Gefahr von hartem Brexit macht deutschen Unternehmen Sorgen

Trotz der vorläufigen Einigung auf ein Austrittsabkommen kann es weiterhin zu einem harten Brexit kommen. In einer aktuellen Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) geht die Mehrheit der befragten deutschen Unternehmen aus Industrie und industrienahen Dienstleistungen von einem solchen Szenario mit deutlich verschlechterten Handelsbedingungen aus. Betroffen sind vor allem Unternehmen mit direkten Handelsbeziehungen in das Vereinigte Königreich (UK).

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Gefahr von hartem Brexit macht deutschen Unternehmen Sorgen
Jürgen Matthes / Hubertus Bardt IW-Kurzbericht Nr. 71 16. November 2018

Gefahr von hartem Brexit macht deutschen Unternehmen Sorgen

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Trotz der vorläufigen Einigung auf ein Austrittsabkommen kann es weiterhin zu einem harten Brexit kommen. In einer aktuellen Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) geht die Mehrheit der befragten deutschen Unternehmen aus Industrie und industrienahen Dienstleistungen von einem solchen Szenario mit deutlich verschlechterten Handelsbedingungen aus. Betroffen sind vor allem Unternehmen mit direkten Handelsbeziehungen in das Vereinigte Königreich (UK).

Die vorläufige Einigung auf ein Austrittsabkommen zwischen der EU und dem UK ist noch keine Garantie, dass es nicht doch zu einem harten Brexit kommt, also zu Grenzkontrollen, Zöllen und neuen regulatorisch bedingten Hemmnissen im gegenseitigen Handel. Denn der Austrittsdeal kann noch im britischen Unterhaus scheitern. Und selbst wenn das Austrittsabkommen dort angenommen wird und damit auch die Übergangsphase bis Ende 2020 in Kraft tritt, kann es danach noch zu einem harten Brexit kommen. Denn erst während der Übergangsphase, bei der sich zunächst nichts Wesentliches an den Handelsbeziehungen ändert, wird über die Details des zukünftigen Wirtschafts- und Handelsabkommens für die Zeit danach verhandelt. Beide Seiten streben mindestens ein ehrgeiziges Freihandelsabkommen ohne Zölle im gegenseitigen Handel an. Allerdings sind die Vorstellungen über die dabei machbare Handelsintegration noch recht konträr.

Daher ist nicht auszuschließen, dass die Verhandlungen über ein zukünftiges Wirtschaftsabkommen scheitern und es doch zu einem harten Brexit kommt. Das UK würde aus Sicht der EU zu einem Drittland und es würde sogar wieder Zölle auf beiden Seiten geben. Außerdem käme es zu aufwendigen Grenzkontrollen und neuen kostenträchtigen nichttarifären Handelshemmnissen, wenn das UK nicht eine Zollunion mit der EU eingeht und seine produktrelevanten Vorschriften nicht länger an bestehende und neue EU-Regeln angleicht. In der Folge müssten die Firmen auf beiden Seiten ihre Produkte für den Export kostenträchtig umbauen und im Partnerland neu zulassen.

Um die Erwartungen an die Konturen eines zukünftigen Handelsabkommens und an die Wirkungen eines harten Brexits zu vermessen, wurden im September und Oktober 2018 im Rahmen des IW-Zukunftspanels rund 1.100 deutsche Unternehmen aus Industrie und industrienahen Dienstleistungen befragt. Das Ergebnis zeigt, dass große Skepsis über den Ausgang der Verhandlungen herrscht und die negativen Effekte eines harten Brexits auch für deutsche Firmen spürbar wären.

Sollte das vereinbarte Austrittsabkommen im britischen Parlament doch scheitern, droht ein harter Brexit direkt nach dem 29. März 2019. Die Sorge der deutschen Wirtschaft vor einem solchen Fall ist groß. Rund 39 Prozent aller befragten Unternehmen (umsatzgewichtet) rechnen mit einem No-Deal-Szenario, bei Firmen mit UK-Export sind es sogar 56 Prozent.

 

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Neue Handelsbarrieren

Überwiegend gehen die Unternehmen von einen harten Brexit aus, also der Einführung von Grenzkontrollen, Zöllen und regulatorisch bedingten Hemmnissen. Dabei ist die Skepsis umso größer, je intensiver die Handelsbeziehungen der Firmen mit dem UK sind (Abbildung).

  • Neue kostenträchtige Grenzkontrollen erwartet fast jedes zweite befragte Unternehmen. Bei kleinen Firmen unter 50 Mitarbeitern beträgt dieser Anteil zwar nur 36 Prozent, bei großen Betrieben mit über 250 Mitarbeitern aber fast 57 Prozent. Unter den Firmen mit UK-Export gehen sogar zwei von drei Unternehmen von neuen Grenzkontrollen aus, nur eins von sechs sieht das anders. Hintergrund dieser ausgeprägten Erwartung dürfte sein, dass die britische Regierung lange Zeit bekundet hat, nach dem Brexit keine Zollunion mit der EU anzustreben. Erst in den letzten Wochen wurde zumindest eine zeitweilige Zollunion in den Blick genommen, wie sie jetzt im Austrittsabkommen avisiert ist.
  • Bei der Frage nach kostenträchtigen nichttarifären Handelshemmnissen durch abweichende Produktregulierungen sagen ebenfalls durchweg mehr Firmen Ja als Nein.
  • Bemerkenswert ist, dass eine relative Mehrheit der befragten Firmen auch die Wiedereinführung von Zöllen erwartet. Bei den stärker dem Brexit ausgesetzten Firmen mit UK-Export glauben sogar 55 Prozent, dass Zölle eingeführt werden. Offenbar erwarten sie ein Scheitern der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen. Nur 23 Prozent sagen hier klar Nein.
  • Wenn die befragen Unternehmen bei keiner der zuvor genannten Handelsbarrieren mit Ja antworteten, wurden sie explizit nach ihrer Erwartung befragt, ob sie einen weichen Brexit ohne diese neuen Hemmnisse erwarten. Hier antworteten je nach Abgrenzung nur um die 5 Prozent mit Ja. Ein so definierter weicher Brexit wird also derzeit für sehr unwahrscheinlich gehalten.

Auswirkungen eines harten Brexits

Wenn es tatsächlich wie von vielen Firmen angenommen zu einem harten Brexit mit Zöllen, Grenzkontrollen und abweichenden produktrelevanten Regulierungen kommen sollte, rechnen die befragten Unternehmen damit, dass sich dies unterschiedlich auf Exporte einerseits und heimische Beschäftigung und Produktion andererseits auswirken würde. Dabei werden zunächst die Ergebnisse der Umfrage nur für Firmen mit UK-Export aufgezeigt, die besonders exponiert sind:

  • Fast drei von vier Unternehmen mit UK-Export (73,2) fürchten, dass ihre Exporte bei einem harten Brexit negativ betroffen wären. Bei 17 Prozent werden sogar stark negative Auswirkungen erwartet. Rund 23 Prozent der Firmen sehen allerdings keine Auswirkungen.
  • Bei den Folgen eines harten Brexits für Beschäftigung und Produktion in Deutschland zeigt sich ein anderes Bild. Eine große Mehrheit selbst der in das UK exportierenden Betriebe (62 Prozent) erwartet, dass ihre Beschäftigung und Produktion nicht betroffen sein würde. Rund ein Drittel fürchtet geringe Wirkungen, starke Effekte nur knapp 3 Prozent.

Da viele Unternehmen nicht in das UK exportieren, sind die Auswirkungen auf alle Unternehmen und damit auf die Gesamtwirtschaft geringer. So gehen 72 Prozent aller befragten Firmen davon aus, dass selbst ein harter Brexit keine Wirkungen bei Beschäftigung und Produktion hinterlässt. Eine von fünf Firmen erwartet eher negative Effekte, aber nur weniger als 2 Prozent sehen stark negative. Dabei sind Industriefirmen nur wenig skeptischer als der Durchschnitt aller befragten Firmen aus Industrie und industrienahen Dienstleistungen. Allerdings sind kleine Firmen deutlich optimistischer als große.

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