Die Gefahr wächst, dass die Austrittsverhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich (UK) scheitern. Trotzdem mangelt es in der deutschen Wirtschaft noch an Vorkehrungen für ein solches No-Deal-Szenario und das dann drohende Chaos. Das zeigt eine aktuelle IW-Umfrage unter Unternehmen aus Industrie und industrienahen Dienstleistungen. Selbst bei Firmen, die in das UK exportieren und daher besonderen Risiken des Brexits ausgesetzt sind, sagen 29 Prozent, dass sie nicht vorbereitet sind; weitere 44 Prozent nur in geringem Maß.
Brexit: Unternehmen in Deutschland kaum auf No-Deal-Szenario vorbereitet
IW-Kurzbericht
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Die Gefahr wächst, dass die Austrittsverhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich (UK) scheitern. Trotzdem mangelt es in der deutschen Wirtschaft noch an Vorkehrungen für ein solches No-Deal-Szenario und das dann drohende Chaos. Das zeigt eine aktuelle IW-Umfrage unter Unternehmen aus Industrie und industrienahen Dienstleistungen. Selbst bei Firmen, die in das UK exportieren und daher besonderen Risiken des Brexits ausgesetzt sind, sagen 29 Prozent, dass sie nicht vorbereitet sind; weitere 44 Prozent nur in geringem Maß.
Gut zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum im Juni 2016 sind die Verhandlungen über den Austritt scheinbar in eine Sackgasse geraten. Vor allem die Frage von möglichen Kontrollen an den Grenzen von Nordirland erweist sich als Stolperstein. Und obwohl mit Blick auf die zukünftigen Wirtschaftsbeziehungen Kompromisslinien denkbar sind (Matthes, 2018a), scheinen auch hier die Positionen verhärtet. Sollten die Austrittsverhandlungen scheitern, wäre damit auch die vorgesehene Übergangszeit bis Ende 2020 hinfällig, die dazu dienen soll, dass für Firmen auf beiden Seiten erst danach neue Regeln im gegenseitigen Handel gelten.
Ohne Übergangsfrist würde es nach dem 29. März 2019 über Nacht zu einem harten Brexit kommen – also vor allem zur Wiedereinführung von Zöllen und Grenzkontrollen. Zumindest anfänglich droht zudem rechtliches Chaos, weil in vielen Bereichen nicht klar wäre, welche Regeln für grenzüberschreitende wirtschaftliche Transaktionen gelten würden. Die Kosten der Unsicherheit und von neuen Handelshemmnissen wären auf beiden Seiten des Ärmelkanals deutlich spürbar (Hüther et al., 2018; Matthes 2018b; 2018c).
Für die Unternehmen wäre ein No-Deal ein Horrorszenario. Aus Sorge davor haben manche Firmen laut Medienberichten bereits reagiert. Sie bauen zum Beispiel mehr Lagerkapazität auf, um Lieferverzögerungen zu überbrücken. Teilweise werden Werksferien auf die Brexit-Zeit gelegt, um das kurzfristige Chaos zu umgehen. In London wird sogar das staatliche Chartern von Schiffen diskutiert, um akute Versorgungslücken zu schließen.
Selbst wenn ein No-Deal-Szenario letztlich nicht eintreten mag, auszuschließen ist es derzeit keineswegs. Daher ist es auch für deutsche Unternehmen nötig, Notfallpläne für diesen Fall in der Schublade zu haben, um die drohenden ökonomischen Schäden zumindest in Grenzen zu halten. Um zu ermitteln, wie sich deutsche Firmen bislang darauf vorbereitet haben, hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im September und Oktober 2018 eine Umfrage unter über 1.100 deutschen Unternehmen aus Industrie und industrienahen Dienstleistungen von der IW Consult GmbH im Rahmen des IW-Zukunftspanels durchführen lassen.
Die IW-Umfrage kommt zu einem besorgniserregenden Ergebnis: Ein knappes halbes Jahr vor dem Brexit sind viele deutsche Firmen noch völlig unvorbereitet auf ein mögliches Scheitern der Austrittsverhandlungen.
Die umsatzgewichteten Zahlen zeigen (Abbildung): Rund 60 Prozent aller befragten Unternehmen haben bisher keinerlei Vorbereitungen für ein No-Deal-Szenario getroffen. Weitere knapp 25 Prozent haben lediglich geringe Anstrengungen unternommen. Damit haben mehr als fünf von sechs Firmen (84,7 Prozent) unzureichende Vorkehrungen ergriffen. Nur 14 Prozent der Unternehmen haben sich nach eigenen Angaben in mittlerem oder hohem Umfang vorbereitet. Obwohl die Mehrheit der Firmen keine intensiven Handelsbeziehungen mit Partnern im UK pflegt, könnten einige der Unternehmen auch indirekt über ihre Lieferkette betroffen sein. Auch die weiteren Details der Umfrage relativieren die Sorgen um die mangelnde Vorbereitung nur teilweise:
- Industrieunternehmen sind nur unwesentlich besser aufgestellt. Hier gibt zwar nur gut die Hälfte an, nicht vorbereitet zu sein. Dafür ist der Anteil der Firmen mit geringen Vorkehrungen mit rund 31 Prozent höher. Damit sind mehr als vier von fünf der befragten Industriefirmen nur unzureichend auf ein Scheitern der Austrittsverhandlungen eingestellt.
- Bei großen Unternehmen (mehr als 250 Mitarbeiter), die in der Regel international aktiver sind als kleinere Betriebe, weisen drei von vier nicht genügende Vorbereitungsmaßnahmen auf. Gar keine Vorkehrungen haben hier auch rund 44 Prozent der Firmen getroffen.
Auch unter den deutschen Unternehmen, die in das UK exportieren, sind knapp 29 Prozent vollkommen unvorbereitet. Fast 44 Prozent haben nur geringe Vorkehrungen getroffen. Damit sind auch unter diesen Firmen fast drei von vier (72,4 Prozent) nicht ausreichend vorbereitet. Wirklich gut präparierte Unternehmen sind auch hier nur (wichtige) Einzelfälle.
Manche Unternehmen mögen glauben, dass bis Ende März 2019 noch genügend Zeit bleibt, um die Vorbereitungen zu beginnen oder zu intensivieren. Auch mögen einige Firmen noch abwarten, ob es nicht doch zu einer Einigung zwischen der EU und dem UK kommt. Doch könnten die dann verbleibenden wenigen Monate zur Vorbereitung für viele Unternehmen zu kurz sein. So scheinen die Ergebnisse des Europäischen Rates von Mitte Oktober darauf hinzudeuten, dass vor Dezember keine Kompromisse zu erwarten sind. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Kapazitäten von externen Beratungsfirmen begrenzt sind, die für manche Unternehmen unentbehrlich sind, um alle wichtigen firmenspezifischen Maßnahmen für ein No-Deal-Szenario vorbereiten zu können.
Die Uhr tickt also nicht nur für das UK, wie Michel Barnier, der Chef-Verhandler der EU, zu sagen pflegt. Auch für die deutschen Firmen, die noch unvorbereitet sind, ist es höchste Zeit, sich auch auf den unwahrscheinlichen Fall eines No-Deal-Szenarios vorzubereiten. Denn ohne Notfallpläne in der Breite der Wirtschaft wären erhebliche kurzfristige Brexit-Schäden für die deutsche Wirtschaft zu befürchten, die bei einer besseren Risikoplanung vermeidbar sind.
Hubertus Bardt / Jürgen Matthes: Brexit – Unternehmen in Deutschland kaum auf No-Deal-Szenario vorbereitet
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