Die zehnte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) wird offiziell als GWB-Digitalisierungsgesetz bezeichnet. Bei einer Analyse der vorgeschlagenen Änderungen wird jedoch deutlich, dass die Anpassungen an die Digitalisierung nur einen Baustein der Novellierung darstellen. Wirklich neu sind die meisten behandelten Themen dabei auch nicht.
GWB-Digitalisierungsgesetz: Wird das Wettbewerbsrecht digital?
IW-Kurzbericht
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Die zehnte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) wird offiziell als GWB-Digitalisierungsgesetz bezeichnet. Bei einer Analyse der vorgeschlagenen Änderungen wird jedoch deutlich, dass die Anpassungen an die Digitalisierung nur einen Baustein der Novellierung darstellen. Wirklich neu sind die meisten behandelten Themen dabei auch nicht.
Gleich in der Überschrift des Referentenentwurfs für die 10. GWB-Novelle wird als Ziel ein „digitales Wettbewerbsrecht 4.0“ aufgeführt (BMWi, 2020, 1). Die Formulierung dieses Ziels und die Bezeichnung als GWB-Digitalisierungsgesetz vermittelt allerdings den Eindruck, dass das betroffene Gesetz bisher noch gar nicht fit für die Digitalisierung ist. Zudem wird ebenfalls die vorhergegangene 9. Novelle entwertet, die ebenfalls auf Entwicklungen im Rahmen der Digitalisierung abzielte (Rusche, 2017). Insgesamt hat sich das GWB jedoch im Kontext der veränderten Rahmenbedingungen bewährt, was beispielsweise die Verfahren des Bundeskartellamts gegen die Digitalkonzerne Amazon und Facebook gezeigt haben.
Stärkung des Kartellamts
Der Titel der Gesetzesnovelle führt aber auch in die Irre, weil die meisten Änderungen nur am Rande mit der Digitalisierung zu tun haben. Im Zentrum stehen die generelle Stärkung der Kompetenzen des Bundeskartellamts und die allgemeine Beschleunigung von Verfahren. Die umfassendsten Änderungen sind daher auf die Anpassungen der Verfahrensvorschriften zurückzuführen. Die Novellierung wird zudem mit der notwendigen Umsetzung einer EU-Richtlinie begründet (BMWi, 2020, 1). Ein zentraler Aspekt der Richtlinie 2019/1 (Amtsblatt der Europäischen Union, 2019) ist die Stärkung der Kartellbehörden, wobei es ein Ziel ist, dass sich Unternehmen nicht durch Umstrukturierungen der Strafe entziehen (Amtsblatt der Europäischen Union, 2019, 4). Dieser Sachverhalt wurde für Deutschland jedoch bereits in der 9. GWB-Novelle reguliert (Bundesregierung, 2016). Generell stellt auch das BMWi (2020, 59) fest, dass bereits viele Punkte der Richtlinie im deutschen Recht verankert sind.
Der zweite, vielleicht sogar wichtigere Punkt der Richtlinie befasst sich mit der Stärkung der länderübergreifenden Kooperation von Kartellbehörden und der Harmonisierung der Kartellverfolgung innerhalb der EU. Insbesondere im Hinblick auf die Stärkung des europäischen Standorts im weltweiten Wettbewerb ist diese Entwicklung zu begrüßen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass führende Digitalkonzerne vor allem in Staaten entstanden sind, die einen großen Binnenmarkt und damit ein hohes initiales Kundenpotenzial haben (Demary/Rusche, 2018). Die Schaffung eines einheitlichen Kartellrechts und damit die Stärkung des digitalen Binnenmarkts in der EU erleichtern auch hier die Gründung und den Aufstieg von konkurrenzfähigen Digitalkonzernen. Diese wiederum haben das Potenzial, den Wettbewerb weltweit zu stärken. Anstatt mit immer neuen Verfahren und neuen Regularien könnte die Marktmacht übermächtiger Digitalkonzerne durch neue Konkurrenten schonender eingedämmt werden.
Fokus auf Daten und Plattformen
Im Moment muss jedoch noch der erste Weg beschritten werden. Dementsprechend spielt die Regulierung insbesondere von digitalen Plattformen und die Verhinderung von Marktmachtmissbrauch in der vorliegenden Novelle eine prominente Rolle. Herauszuheben sind in diesem Zusammenhang folgende Änderungen:
- Die Ausweitung der Marktmacht durch Daten: Seit der 9. Novelle wird im Kontext von Unternehmen auf mehrseitigen Märkten eine Marktmacht aufgrund des Zugangs zu relevanten Daten aufgeführt (§ 18 (3a)). Laut Novelle soll dies in Zukunft für alle Märkte gelten (BMWi, 2020, 9, 2.).
- Es wird spezifisch für Plattformen der Fall der Marktmacht aufgrund der Bedeutung der zur Verfügung gestellten Vermittlungsdienstleistung eingeführt (ebenda). Plattformen agieren als Vermittler zwischen ihren Nutzergruppen. Kann ein Unternehmen zu einer Nutzergruppe nur über die Plattformen in Kontakt zur anderen Nutzergruppe kommen, stellt dies nun explizit eine Form von Marktmacht dar.
- Auf den beiden vorhergehenden Punkten aufbauend wird die Ausnutzung der Marktmacht durch Daten und der erbrachten Vermittlungsdienstleistung untersagt. Somit wird in der Novelle nun ein Zugangsrecht zu einer Plattform und zu Daten festgeschrieben. Allerdings wird die Weitergabe von personenbezogenen Daten vor dem Hintergrund des Datenschutzes generell begrenzt (BMWi, 2020, 84).
- Das Bundeskartellamt kann einer digitalen Plattform durch eine Verfügung eine überragende marktübergreifende Bedeutung zuerkennen (BMWi, 2020, 9, 4.). Dadurch kommen auf die Plattform neue Pflichten zu, die insbesondere eine Verlagerung von Marktmacht auf vor- oder nachgelagerte Märkte (Leveraging) verhindern sollen.
Wie an diesen Punkten deutlich wird, versucht die Novelle vor allem mit einer Fokussierung auf Daten und Plattformen das Wettbewerbsrecht weiterzuentwickeln. Beide Themen waren auch Kernpunkte der vorhergehenden Novelle. Während die 9. Novelle noch mittels einer Anpassung der Regularien der Fusionskontrolle auf die Regulierung der Übernahme von Start-ups durch finanzstarke Digitalkonzerne abstellte, zielt die 10. Novelle eher auf Großkonzerne, die über kleine Zukäufe stückweise in mittelständisch geprägte Märkte vordringen (Bundeskartellamt, 2020, 20).
Eine besondere Eingriffsmöglichkeit zur Aufrechterhaltung des Wettbewerbs - insbesondere in der Digitalwirtschaft - bildet der vorgeschlagene § 20 Absatz 3a (BMWi, 2020, 85). Mit Hilfe dieses Paragrafen soll ein sogenanntes Tipping verhindert werden: Insbesondere auf mehrseitigen Märkten kann es sich gegenseitig verstärkende positive Netzwerkeffekte geben. Das heißt, sobald ein Unternehmen eine kritische Masse erreicht hat, kann es sehr schnell wachsen und kann sehr schnell zum Marktführer werden (Demary/Rusche, 2018). Es findet somit ein Wettbewerb um das Erreichen der kritischen Masse und damit um den Markt statt. Damit sich in diesem Wettbewerb ein Unternehmen keinen Vorteil mittels unfairer Praktiken verschafft, soll das Bundeskartellamt hier eingreifen dürfen, auch wenn sich noch kein Unternehmen eine dominante Stellung erarbeitet hat.
Gezielte Entlastung
Bei den zusätzlichen Kompetenzen und Eingriffsmöglichkeiten ist es zu begrüßen, dass das Bundeskartellamt und damit auch die Unternehmen an anderer Stelle entlastet werden sollen. Der prominenteste Punkt in diese Richtung ist die vorgeschlagene Erhöhung der Bagatellmarktschwelle in der Fusionskontrolle. Bisher gilt, dass Fusionen nicht angemeldet werden müssen, wenn sie in einem seit mindestens fünf Jahre bestehenden Markt stattfinden, auf dem weniger als 15 Millionen Euro umgesetzt werden. Diese Schwelle soll nun auf 20 Millionen Euro steigen. Generell wird auch im Pressewesen die Prüfschwelle angehoben, da in diesem Bereich mit einer weiteren Konsolidierung zu rechnen ist (BMWi, 2020, 97). Insbesondere in der Fusionskontrolle erscheint eine Entlastung notwendig, die auch über die bereits vorgeschlagenen Änderungen hinausgehen sollte, da die Anzahl angemeldeter Zusammenschlüsse in den vergangenen Jahren kontinuierlich von rund 1.000 (2009) auf nahezu 1.400 (2018) gestiegen ist (Bundeskartellamt, 2019, 23).
Fazit
Was laut Ankündigung eine Digitalisierungsoffensive im Kartellrecht sein soll, entpuppt sich bei genauerer Analyse als eine konsequente Weiterentwicklung bereits behandelter Themenkomplexe in einem bereits gut funktionierenden System. Verpasst wird jedoch die Gelegenheit gerade jetzt, wo die Corona-Pandemie digitalen Plattformen und Geschäftsmodellen einen Wachstumsschub ermöglicht, die Regeln für zukünftige Entwicklungen zu setzen und den digitalen Wandel zu gestalten. Hier ist insbesondere an die Regulierung des Einsatzes von Systemen Künstlicher Intelligenz zu denken, der aufgrund algorithmenbasierter Entscheidungsprozesse eine Zurechenbarkeit kollusiver Handlungen erschwert. Auch die zentrale Bedeutung eines möglichst breiten Datenzugangs (Fries/Scheufen, 2019) zum Trainieren einer solchen KI wird bisher nicht explizit thematisiert. Somit sind bereits weitere Digitalisierungsgesetze im Wettbewerbsrecht absehbar.
Christian Rusche / Marc Scheufen: GWB-Digitalisierungsgesetz – Wird das Wettbewerbsrecht digital?
IW-Kurzbericht
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Draghi-Report: „EU muss Wettbewerbsfähigkeit in den Mittelpunkt stellen”
Ex-EZB-Chef Mario Draghi hat in dieser Woche einen Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU vorgestellt. Im Handelsblatt-Podcast „Economic Challenges” diskutieren IW-Direktor Michael Hüther und Bert Rürup über die Schussfolgerungen. Die EU müsse neue ...
IW
Deutschland blockiert sich selbst
Um die großen Transformationsaufgaben zu bewältigen, müssen sich Finanz- und Geldpolitik endlich gänzlich der Herausforderung bewusst werden – und Kompromisse schließen, schreiben IW-Direktor Michael Hüther und Ernst-Ludwig von Thadden, Professor für ...
IW