Der Europäische Binnenmarkt ist inzwischen schon mehr als 30 Jahre alt. Er hat den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital innerhalb der Europäischen Union (EU) zum Ziel. Es gibt jedoch immer noch Hindernisse für diese vier Freiheiten. Die Europäische Kommission will mit einer neuen Strategie dagegen vorgehen.

Der Europäische Binnenmarkt: Ein neuer Anlauf
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Der Europäische Binnenmarkt ist inzwischen schon mehr als 30 Jahre alt. Er hat den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital innerhalb der Europäischen Union (EU) zum Ziel. Es gibt jedoch immer noch Hindernisse für diese vier Freiheiten. Die Europäische Kommission will mit einer neuen Strategie dagegen vorgehen.
Der Europäische Rat hatte im Mai 2024 die Europäische Kommission aufgefordert, eine horizontale Binnenmarktstrategie zu entwickeln. Dazu hat die Kommission Anfang Januar 2025 eine Konsultation gestartet, unter anderem, um die größten Hindernisse für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr zu ermitteln und um Lösungsansätze zu erfragen (Europäische Kommission, 2025). 2024 sind überdies zwei hochrangige Berichte erschienen, die unter anderem Vorschläge zur Zukunft des Binnenmarktes enthalten (Draghi, 2024; Letta, 2024).
Es lässt sich zeigen, dass im Dienstleistungsverkehr noch erhebliche Reformpotenziale liegen, mit denen sich der europäische Wohlstand durch mehr Integration und Arbeitsteilung erhöhen ließe. Das lässt sich mit einem Indikator für die Integration bei Waren und Dienstleistungen im Europäischen Binnenmarkt anhand von Preisunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten aufzeigen. Je geringer die Preisunterschiede sind, desto enger ist die wirtschaftliche Integration und umgekehrt. Denn durch die Handelsintegration gleichen sich die Preise zwischen den EU-Ländern stärker an. Preisunterschiede können mithilfe des Variationskoeffizienten gemessen werden. Sinkt dieser Koeffizient im Zeitablauf, haben die Preisunterschiede abgenommen, steigt er, haben die Preisunterschiede zugenommen. Unterscheidet man zwischen den Preisunterschieden bei Waren und bei Dienstleistungen, zeigt sich eine unterschiedliche Entwicklung (Abbildung).
<iframe class="everviz-iframe" src="https://app.everviz.com/embed/2Rro0xsHU/?v=10" title="Chart: Preisstreuung zwischen den Mitgliedstaaten " style="border: 0; width: 100%; height: 500px"></iframe>
Auffällig ist zunächst der Unterschied zwischen Waren und Dienstleistungen. Die Preisstreuung für Dienstleistungen liegt über der für Waren. Das kann damit erklärt werden, dass Waren einfacher grenzüberschreitend ausgetauscht werden können als Dienstleistungen. Bei Waren zeigt sich für den Zeitraum 1999 bis 2008 eine abnehmende Tendenz. Die Preisunterschiede haben abgenommen. Danach folgt ein Anstieg, der möglicherweise mit den durch die Finanzkrise einsetzenden wirtschaftlichen Verwerfungen zu tun hat. Das Zwischenhoch im Jahr 2021 lässt sich mit den Abschottungstendenzen zu Beginn der Coronakrise erklären. Seither ist wieder ein Rückgang zu verzeichnen. Berechnet man einen Trend über den gesamten Zeitraum, ergibt sich ein – wenn auch sehr geringes – negatives Steigungsmaß.
Ganz anders sieht es bei den Dienstleistungen aus. Zwar gibt es auch hier Schwankungen, die Trendlinie weist aber ein leicht positives Steigungsmaß auf. Das heißt, dass es im Betrachtungszeitraum (immerhin fast
25 Jahre) nicht nur zu keiner Verringerung der Preisunterschiede gekommen ist, es lässt sich vielmehr eine Zunahme feststellen. Eine Vertiefung der Integration bei Dienstleistungen hat also nicht stattgefunden, im Gegenteil.
Bei Waren betrug im Jahr 2023 der Abstand zwischen dem teuersten Land (Dänemark) und dem billigsten Land (Rumänien) das 1,6-Fache; bei Dienstleistungen war es das 4,2-Fache. Hier war Luxemburg das teuerste und Rumänien wiederum das Land mit dem niedrigsten Preisniveau.
Das hat auch damit zu tun, dass die Kommission mit ihrem Vorschlag aus dem Jahr 2004 für eine Dienstleistungsrichtlinie an dem heftigen Widerstand von Gewerkschaften in Deutschland, Frankreich und anderen Mitgliedstaaten gescheitert war (Vilpišauskas, 2024). Die Kommission hatte vorgeschlagen, bei Dienstleistungen grenzüberschreitende Hemmnisse dadurch zu beseitigen, dass in vielen Fällen die gegenseitige Anerkennung nationaler Regelungen für die Ausübung von Dienstleistungen gelten sollte. Wenn eine Dienstleistungstätigkeit in einem Mitgliedstaat nach den dortigen Vorschriften rechtmäßig erbracht wurde, sollten die Dienstleistungen auch in allen anderen Mitgliedstaaten erbracht werden können, ohne dass im Zielland weitere Genehmigungen eingeholt werden müssen. Dieses Ursprungslandprinzip für Dienstleistungen, das im Warenhandel oft angewendet wird, war allerdings politisch nicht durchsetzbar.
Das Ursprungsland- oder Heimatlandprinzip zur Beseitigung von Hindernissen für den grenzüberschreitenden Verkehr von Waren oder Dienstleistungen kann einer Unterscheidung von Tinbergen (1954) folgend als negative Integration bezeichnet werden. Anders als bei der von Tinbergen so bezeichneten positiven Integration ist hier keine gemeinschaftsweite Harmonisierung unterschiedlicher nationaler Regelungen oder die Schaffung neuer Institutionen erforderlich.
Die Vorschläge zur Zukunft des Europäischen Binnenmarktes in den eingangs erwähnten Berichten von Letta und Draghi setzen dagegen oftmals auf die sogenannte positive Integration, wobei positiv nicht im Sinne von gut oder begrüßenswert interpretiert werden sollte; genauso wie negative Integration nicht als schlecht oder ablehnenswert verstanden werden darf.
Die Gefahr der positiven Integration besteht darin, dass oft zu viel des Guten getan wird, dass also Aufgaben auf der Ebene der EU angegangen werden, für die sie nicht zuständig ist und damit gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen wird. Eine weitere Gefahr ist die Überregulierung durch europäische Verordnungen und Richtlinien, die noch verstärkt wird, wenn bei der Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht die Regelungen noch verschärft werden (sogenanntes „gold plating“). Man kann daher auch von einer konzeptionellen Überdehnung des Binnenmarktprojekts sprechen (Vilpišauskas, 2024). Ein aktuelles Beispiel ist die sogenannte Mindestlohnrichtlinie aus dem Jahr 2022. Dänemark und Schweden haben gegen diese Richtlinie vor dem EuGH geklagt. Der Generalanwalt beim EuGH hat in seinem Schlussantrag vom 14. Januar festgehalten, dass die Mindestlohnrichtlinie gegen die Vorschriften im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstößt (Beck-Online, 2025). Der EuGH, dem die Entscheidung obliegt, folgt meist den Anträgen des Generalanwalts.

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