Deutschland hat derzeit einen wirtschaftlichen Lauf. Die Steuerschätzer, die zur Lagebeurteilung zusammensaßen, haben deshalb ihre Erwartungen für 2015 nochmals um gut 6 Milliarden angehoben. Auch für die Folgejahre wurde die Prognose nach oben korrigiert. Finanzminister Wolfgang Schäuble kündigte daraufhin prompt den Einstieg in die Abschaffung der kalten Progression an – ein gutes Signal. Doch der Finanzminister sollte jetzt nicht wahllos die Wunschzettel anderer abarbeiten.
Wie gewonnen, so zerronnen?
Die Parteien sind sich eigentlich schon lange einig gewesen, doch so richtig wollte niemand den Stein ins Rollen bringen. Die verheißungsvollen Zahlen der Steuerschätzer für die kommenden Jahre haben nun aber Finanzminister Schäuble dazu veranlasst, einen den Abbau der kalten Progression tatsächlich in Angriff zu nehmen. Bereits zum 1. Januar 2016 und damit früher als eigentlich von der Politik anvisiert soll der Steuertarif um 1,5 Prozent nach rechts verschoben werden – das Bundesfinanzministerium nimmt nämlich eine Inflationsrate von insgesamt 1,5 Prozent für den Zeitraum 2014 und 2015 an.
Die Entlastung für den Steuerzahler soll sich auf rund 1,5 Milliarden Euro summieren. Für den einzelnen Steuerpflichtigen werden sich dadurch keine neuen Reichtümer aufbauen, aber ein erster, längst überfälliger Schritt ist damit getan. Allerdings scheint Schäuble nicht den Mut für einen echten „Tarif auf Rädern“ aufbringen zu wollen – vielmehr soll ein Bericht alle zwei Jahre Aufschluss über die Entwicklung der kalten Progression geben.
Zudem sorgen Rekordeinnahmen und Haushaltsüberschuss für immer neue Forderungen nach mehr öffentlichen Investitionen. Auch hier verspricht Schäuble staatliche Taten. Die Liste der Empfehlungen ist dabei lang: Autobahnen und Schulen sanieren, mehr Geld in Bildung stecken, Familien entlasten oder den Mittelstandsbauch verschlanken. Vom Schuldenabbau redet mittlerweile kaum noch jemand. Ganz im Gegenteil: Die Zinsen seien doch so gering, das der Staat sich praktisch umsonst weiter verschulden könne.
Für alle Punkte auf dem Wunschzettel lässt sich ein zunächst einleuchtendes Argument finden. Ja, Straßen und öffentliche Gebäude wurden über Jahre vernachlässigt; ja, die Förderung junger Menschen in Kitas und Universitäten stärkt die wichtigste Ressource unseres Landes; und ja, Eltern fordern genauso zurecht familienfreundlichere Rahmenbedingungen ein wie insbesondere alleinlebende Durchschnitts- und Gutverdiener auf eine Senkung der im internationalen Vergleich sehr hohen Steuer- und Abgabenlast drängen.
Doch die Steuereinnahmen können gar nicht so stark steigen, als dass die Bundesregierung sämtliche Forderungen in gleichem Maße erfüllen kann. Eine klare Priorisierung ist nötig. Und das erfordert eine strenge Beurteilung der Ausgaben. Nicht jede neue Brücke macht verkehrspolitisch Sinn, nicht jeder neue Studiengang bringt das Land nach vorne. Und ob in der Familienpolitik Anreize zum Daheimbleiben (Betreuungsgeld) oder eine Privilegierung von Gutverdienern (Elterngeld) wirklich die geeigneten Ausgabenprogramme sind, muss zumindest intensiv diskutiert werden.
Es ist eine ökonomische Weisheit, dass die größten politischen Fehler in guten Zeiten gemacht werden. Noch kann die Bundesregierung in diesen wirtschaftlich sonnigen Tagen dafür sorgen, kein weiteres Kapitel als Beleg für den Wahrheitsgehalt dieser Weisheit zu schreiben.
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