Lokale, regionale, zielgerichtete und verhältnismäßige Maßnahmen sind die Gebote der Stunde. Ein pauschaler Lockdown würde diese Grundsätze aus wirtschaftsethischer Sicht nicht berücksichtigen.
Lockdown 2.0: Verhältnismäßigkeit bewahren
Der Schutz des Lebens, koste es was wolle, ist weder sinnvoll noch möglich. Bei allen Entscheidungen müssen Menschen immer sorgfältig verschiedene Werte gegeneinander abwägen. Dabei gibt es immer wieder Dilemmata. So wägt jeder Fahrradfahrer ab, ob er mit Helm oder aus Bequemlichkeit lieber ohne fährt. In Städten gilt nicht flächendeckend Schrittgeschwindigkeit, sondern nur in Spielstraßen, um den Verkehrsfluss und das wirtschaftliche Leben nicht zu sehr einzuschränken – der Schutz des Lebens wird auch hier gegen andere Werte abgewogen.
Angesichts der Pandemie gilt es in gleicher Weise abzuwägen, wieweit in andere Werte wie die wirtschaftliche Freiheit eingegriffen werden darf. Dem steht auch nicht der Artikel 1 des Grundgesetzes entgegen: Dort ist die Würde des Menschen geschützt, die mehr umfasst als den Schutz vor einer Infektion durch einen Virus.
Vorsicht vor sozialpsychologischen Folgen
Neben den makroökonomischen Schäden und den Konsequenzen bis hin zu etlichen Unternehmensinsolvenzen in besonders betroffenen Branchen sind auch die sozialpsychologischen Folgen eines Lockdowns zu beachten. Dazu gehören beispielsweise eine Zunahme häuslicher Gewalt, Depressionen oder Suizidalität – ausgelöst durch Isolation und Existenzängste. Die Politik muss diese Folgen bei allen Entscheidungen zur Eindämmung der Pandemie beachten.
Während aufgrund der unsicheren Situation zu Beginn des Jahres pauschale und umfassende Maßnahmen aus wirtschaftsethischer Sicht notwendig waren, muss sieben Monate später mit differenzierten, lokalen und verhältnismäßigen Eingriffen das Infektionsgeschehen eingedämmt werden. Gerichtsentscheidungen haben hier bereits gezeigt, dass nur solche Maßnahmen Bestand hatten, die treffsicher die Ursachen der Pandemie bekämpfen. Pauschale Schließungen von Hotels, Restaurants, Geschäften, Sportanlagen oder Freizeiteinrichtungen, die bisher nicht als Infektionstreiber aufgefallen sind und ein systematisches Hygienekonzept haben und einhalten, sind unverhältnismäßig. Aus wirtschaftsethischer Sicht ist es auch für die dauerhafte Akzeptanz der Staatseingriffe notwendig, vor allem die Hotspots wie private Feiern ohne Einhaltung der AHA-Regelungen zu unterbinden und zu bestrafen.
Professionelles Risikomanagement schützt
Notwendig ist ein professionelles Risikomanagement mit dem zentralen Ziel, die Würde des Menschen zu schützen sowie soziale und wirtschaftliche Interessen so gut wie möglich miteinander in Einklang zu bringen. Einerseits sind vermeidbare Todesfälle und eine Überlastung der Gesundheitssysteme zu verhindern, andererseits sind die dauerhaften Kollateralschäden der Krise so gering wie möglich zu halten. Dies setzt voraus, dass Politiker solche Abwägungen von Kosten und Nutzen auf abstrakter, gesellschaftlicher Ebene durchführen, um auf der individualethischen Ebene zum Beispiel für Ärzte genau dies zu vermeiden.
Dominik Enste / Jennifer Potthoff: The Business Ethics of the Corona Crisis – A critical analysis of political measures, economic consequences, and ethical challenges
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