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(© GettyImages)
Christoph Schröder IW-Nachricht 22. November 2022

Eine Stunde länger für die Tankfüllung arbeiten

Sechs Minuten länger für das Steak, fünf Minuten länger für den Friseur: Mit den hohen Inflationsraten ist die Kaufkraft der Deutschen im Vergleich zu 2019 in vielen Bereichen gesunken. Eine neue Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt wie stark – und was diese Krise von der Ölpreiskrise der 1970er-Jahre unterscheidet.

Ob Butter, Energie oder der nächste Friseurbesuch: Auch im Oktober haben sich viele Produkte in Deutschland stark verteuert. Im vergangenen Monat stiegen die Preise im Schnitt um 10,4 Prozent zum Vorjahr – ein neuer Höchststand im vereinten Deutschland. Zudem sieht es danach aus, als würde die Inflation auch im nächsten Jahr noch ein Thema sein.

Zwar schließen sich an hohe Inflationsraten meist hohe Lohnforderungen an, offen bleibt aber, wie sehr sich die Preissteigerungen bei den Verbrauchern tatsächlich bemerkbar machen. IW-Wissenschaftler haben anhand von 31 Produkten und Dienstleistungen berechnet, wie lange ein Arbeitnehmer im Oktober dieses Jahres im Vergleich zu 2019 für seinen Einkauf arbeiten musste.

Länger arbeiten für den Wocheneinkauf

Besonders stark fallen die Kaufkraftverluste bei den Lebensmitteln aus. Musste ein Verbraucher 2019 für eine halbes Pfund Markenbutter noch sechs Minuten arbeiten, waren es im Oktober schon acht Minuten – ein Anstieg um ein Drittel. Für zehn Eier muss ein Viertel mehr Arbeitszeit investiert werden als 2019, beim Brot sind es 12 Prozent mehr. Auch das Steak kostet mehr Schweiß: Für ein Kilogramm Rindfleisch sind heute 36 Minuten nötig, im letzten Vorkrisenjahr waren es noch 30 Minuten. Stark gestiegen sind auch die Arbeitszeiten für Energie: 2019 musste ein Deutscher im Schnitt viereinhalb Stunden für einen Tankfüllung Benzin (60 Liter) arbeiten, 2022 ist es fast eine ganze Stunde mehr.

Es gibt also klare Kaufkraftverluste, die die Geldbeutel der Verbraucher belasten. Die gute Nachricht: Die Belastungen sind nicht überall so dramatisch, wie man befürchten könnte. Das Feierabendbier (0,5 Liter) gibt es heute wie 2019 für drei Minuten Arbeit und technische Produkte wie Fernseher und Waschmaschine sind sogar erschwinglicher geworden.

In der Ölkrise stieg die Kaufkraft sogar

Die jetzige Inflationsphase ist nicht die erste in der Geschichte der Bundesrepublik. Schon in den 1970er-Jahren hatten die Deutschen infolge der Ölpreiskrise mit steigenden Preisen zu kämpfen. 1973 lag die jährliche Inflationsrate bei 7,1 Prozent. Auch damals verteuerten sich die Ölpreise ähnlich stark wie heute.

Allerdings waren die damaligen Teuerungen für die Verbraucher viel weniger spürbar. Ein Vergleich zwischen 1970 und 1974 zeigt: Nur für eines der 31 untersuchten Produkte – dem Kabeljau – musste länger gearbeitet werden. Alle anderen Produkte wurden erschwinglicher: Für Butter waren 1970 – vor der Krise – noch 20, 1974 nur 14 Minuten Arbeit nötig. Einen Liter Benzin gab es vier Jahre später immerhin für die gleiche Arbeitszeit, sechs Minuten.

Zielgenaue Entlastungen statt Gießkanne

Aus diesem Grund ist die jetzige Krise für viele Menschen eine größere Belastung als es die Ölkrise war. Dennoch sind Lohnerhöhung auf breiter Front nicht die richtige Antwort. In diesem Fall droht eine Lohn-Preis-Spirale, die die Inflation weiter befeuern und Deutschland tiefer in die Rezession treiben könnte. 

In dieser Situation braucht es zielgenaue Hilfen statt der Gießkanne. Gute Beispiele hierfür sind die 2023 in Kraft tretende Wohngeldreform mit einer dauerhaften Heizkostenkomponente und der weitere Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger. Auch die jetzt ermöglichte Inflationsausgleichsprämie von bis zu 3.000 Euro, die der Arbeitnehmer brutto für netto erhält und auf die der Arbeitgeber keine Sozialabgaben zahlen muss, kann beim Wocheneinkauf einen spürbaren Unterschied machen und individuell so bemessen werden, dass keine größeren wirtschaftliche Schäden entstehen.

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