Im „Presse“-Interview spricht IW-Direktor Michael Hüther über Trumps kopflose Wirtschaftspolitik, und darüber, wie sich Europa selbstbewusst aufstellen kann und welchen Fehler die Parteien im deutschen Wahlkampf keinesfalls machen sollten.
Handelsstreit: „Da wird sichTrump eine blutige Nase holen“
Donald Trumps Handelspolitik könnte die Weltwirtschaft auf den Kopfstellen. Nach seiner Angelobung vergangene Woche wurde in Europa aber vor allem über Melanias Hut diskutiert und ob Elon Musk einen Hitlergruß gezeigt hat. Fokussieren wir uns auf die falschen Dinge?
Natürlich ist das alles boulevardesk, was wir da in den USA erleben. Trump beschreibt ein Land, das darniederliegt. Die gesellschaftlichen Verwerfungen, die sich über Jahrzehnte aufgebaut haben, adressiert er aber überhaupt nicht. Stattdessen inszeniert er einen ökonomischen Niedergang als Popanz. Das hat ja alles weder Hand noch Fuß und er gibt auch wirtschaftlich keinen Sinn. Doch in einer Welt, in der Menschen Globalisierung als Überwältigung empfinden, kann das Mehrheiten mobilisieren.
Was bedeutet das für Europa?
Es wird ungemütlicher. Aber wir sind ja nicht Opfer dieses Systems, sondern wir sind Europa.
Deutschland exportiert deutlich mehr in die USA, als es von dort importiert. Trump hält dieses Handelsdefizit aus Sicht der USA für eine Schwäche und will das raschändern. Wie kann ihm das gelingen?
Trump erzählt ökonomisch Fragwürdiges. Der Handelsbilanz steht die Kapitalbilanzgegenüber. Sehr viel deutsches Kapital fließt in die USA, man muss sich nur die Direktinvestitionen deutscher Unternehmen ansehen. Knapp zehn Prozent der deutschen Exporte gehen in die USA, damit sind sie unser wichtigster Handelspartner. Interessanterweise hat auch Trumps erste Präsidentschaft nichts daran geändert. Schon vor acht Jahren hat er sich über den Import deutscher Autos beschwert.
Trump nutzt die Androhung von Strafzöllen als Erpressungsinstrument.
Wir haben damals gesehen, dass Zölle in erheblichem Maße jenes Land schädigen können, das sie erhebt. Für die Produkte, die wir in die USA liefern – vor allem Maschinen und Pharmazeutika – gibt es häufig keine adäquate Alternative aus anderen Ländern, geschweige denn in den USA selbst, oder es wirken übergreifende Produktionsketten. Am Ende könnten die Amerikaner dafür höhere Preise zu zahlen haben.
Würde er das in Kauf nehmen?
Wenn die Inflation schnell zurückkehrt, wächst die Unzufriedenheit im Land. Auch andere Maßnahmen wirken Richtung höherer Preise. Die geplanten Massendeportationen könnten über fünf Prozent der Erwerbspersonen treffen. Da werden Arbeitskräfte in wirklich großem Maße fehlen. Das sind vielfach Jobs, für die sich keine Amerikaner finden. Wir haben das bei einem ähnlichen Programm unter George W. Bush Jr. gesehen – da ging es um 25.000 bis30.000 Personen. Damals hat das schon große Lücken in den Arbeitsmarkt gerissen. Dadurch steigen automatisch die Preise, weil man dann eben höhere Löhne zahlen muss.
Es heißt immer, man müsse mit Trump auf Augenhöhe verhandeln. Was hat denn Europa, womit es die USA wirtschaftlich wirklich unter Druck setzen kann?
Es gibt verschiedene Instrumente, um solchen unbegründeten zollpolitischen Maßnahmenentgegenzutreten. Auch schon in Trumps erster Präsidentschaft hat Europa mit Gegenzöllen sehr spezifisch reagiert. Aber wir müssen ja gar nicht verhandeln. Die Frage, was und wie vielimportiert wird, ist nicht eine Entscheidung von Staaten, sondern von Unternehmen, abhängig von Kostenstrukturen. Wenn Trump sein LNG-Gas noch günstiger macht, dann wird man vermutlich vorübergehend noch mehr davon importieren. Diese LNG-Abgangsterminals sind übrigens ein unglaublicher Raubbau an der Natur. Ich weiß nicht, ob das langfristig ein Exportschlager ist.
In welchen Bereichen könnten wir den Spieß denn umdrehen? Wo ist die US-Wirtschaft abhängig von Europa?
Zwei Drittel der Weltmarktführer in den entsprechenden industriellen Branchen kommen aus Deutschland. Wir haben also ein riesiges unternehmerisches Know-how, das weltweit gefragt ist – gerade auch im Mittelstand. Da wird sich Trump eine blutige Nase holen. Seine Vorstellung, Amerika ganz allein und nur für sich, ist rückwärtsgewandt und naiv. Das ist wahrscheinlich auch der große Unterschied zu Biden und Obama. Über Allianzen hat man mehr Einfluss in der Welt, wenn man mit seinen Partnern gemeinsam die Dinge entwickelt.
Viele in Österreich und Deutschland fürchten sich vor einer Deindustrialisierung. Gerade die hohen Energiepreise drücken auf die Wettbewerbsfähigkeit. Wie kann Europa in der Energiefrage möglichst autark werden?
Die hohen europäischen Industriestrompreise im Vergleich zu den USA und China sind ein Problem. Wir müssen uns selbst Vorteile erarbeiten, indem wir die Erneuerbaren mit dem Netzausbau und Speichertechnologien besser kombinieren. Der Ausbau der Erneuerbaren geht rasch voran, weshalb es auch keine Renaissance der Atomkraft gibt, was ihre Anteile betrifft. Man sollte also jetzt nicht hektisch über Scheinlösungen diskutieren. Die unterschiedliche Nutzung von Atomstrom und Erneuerbaren in den EU-Staaten lässt sich über den Netzausgleich gut organisieren. Wir haben in Deutschland jedenfalls rasch gesehen, dass es auch ohne russisches Gas geht.
Trump hat gleich am ersten Amtstag seiner zweiten Amtszeit den Rückzug aus dem Pariser Klimaabkommen verfügt. Auch in Europa wollen immer mehr Regierungen den Green Deal abschleifen. „Drill, baby, drill“ – ist das die Marschroute, die jetzt auch global eingeschlagen wird?
Nein. Ich glaube nicht, dass das in der Breite große Nachahmeffekte haben wird. Nur weil das Thema nicht mehr so präsent ist, heißt das ja nicht, dass Klimaschutz damit obsolet ist. Ja, Klimaschutz ist teuer, aber kein Klimaschutz ist noch teurer. Es wäre fatal, wenn wir jetzt den Weg in Clean Tech nicht gehen, nur weil die Amerikaner davon abkehren. Die Chinesenwerden deshalb ihren Weg auch nicht ändern. Wer glaubt, dass es für Deutschland eine kluge Idee sei, die zeitlichen Vorgaben des Klimagesetzes von 2045 auf 2075 zu verlegen, versündigt sich an der künftigen Generation. Nicht nur, weil wir dann keinerlei Vorsorge mehr für eine belebbare Erde treiben, sondern weil man auch alles annullieren würde, was in den vergangenen Jahren in diese Richtung investiert wurde.
Deutschland und Österreich stecken seit zwei Jahren in einer Rezession, anders als viele andere europäische Länder. Bemerkenswert ist, dass in beiden Ländern zuletzt die Grünen in Regierungen waren. Muss man ihnen eine Mitschuld an der wirtschaftlichen Misere geben?
Der Sinkflug der Industrie hat in Deutschland schon Anfang 2018 begonnen. Unternehmen haben damals mit Blick auf den Fachkräftemangel begonnen, Arbeitskräfte zu horten. Das hat Produktivitätszuwächse gekostet. Dazu kommt der CO2-Preis in der Europäischen Union, der von 2017 auf 2018 erstmals merklich auf 15 Euro pro CO2-äquivalenter Tonne angestiegen ist. Seit 2021 liegen wir bei über 80 Euro pro Tonne, dadurch hat es auf jeden Fall Preiseffekte gegeben. Länder mit einem höheren Industrieanteil, wie Deutschland oder Österreich, spüren das stärker. Dazu kommt, dass die strategische Orientierung einer Transformationspolitik nicht lang gehalten hat. Da gab es viel Übersteuerung, die so nicht trägt. Das Schlimmste wäre aber, wenn jetzt im Bundestagswahlkampf die Erwartung geschürt wird, man könne das bleiben lassen.
Apropos Wahlkampf: Welche Partei liefert denn aus Ihrer Sicht die überzeugendsten Konzepte für die großen wirtschaftspolitischen Herausforderungen?
Ich sehe drei große Herausforderungen, auf die es gute Antworten braucht. In der Frage von Transformation und Wettbewerbsfähigkeit wird so getan, als gäbe es eine kluge Politik mit Zertifikatehandel und CO2-Preis, und die Deppen machen Industriepolitik. Es braucht aber beides, da fehlen ordnungspolitisch ausgewogene Konzepte. Die zweite sind die Folgen der demografischen Alterung auf dem Arbeitsmarkt. Diese werden bei SPD und Grünen weitgehend negiert. Scholz würde Ihnen sagen, dass sich alles durch Zuwanderung löst. Wir brauchen aber generell ein höheres Arbeitsvolumen. Bei uns arbeitet ein Vollzeit-Erwerbstätiger 249 Stunden weniger als in der Schweiz. Da fehlen langfristige Konzepte. Und drittens der Umgang mit den geopolitischen Herausforderungen. Hier reduzieren sich die Antworten darauf, wer welchen Anteil von Verteidigungsausgaben am BIP aufrufen will. Allereden zwar irgendwie über die schwierige Situation, die Antworten werden dem Ernst der Lage aber nicht gerecht.
Hier geht es zum „presse”-Podcast mit IW-Direktor Michael Hüther.

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