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IW-Direktor Michael Hüther: „Mit kritischen Themen gewinnt man offenkundig keine Wahlen.“
Michael Hüther in der Südwest Presse Interview 18. November 2024

„Die kommenden zehn Jahre werden die schwierigsten”

Deutschlands Wirtschaft steht unter Druck. Eine alternde Gesellschaft, teure Energie und eine sehr teure Klimawende kommen auf das Land zu. Doch der Weg aus der Krise ist gar nicht so kompliziert, sagt IW-Direktor Michael Hüther im Interview mit der Südwest Presse.

Herr Hüther, die Karnevalszeit hat begonnen - ist Ihnen als Rheinländer nach Narretei zumute oder ist die wirtschaftliche und politische Lage gerade zu ernst dafür?

Man muss das eigene Glück frei halten von dem, was in der Welt passiert, sonst hat man gar keine gute Laune mehr. Nichts wird besser, wenn wir nicht lachen und feiern.

Die Ampel ist in einer kritischen weltpolitischen Lage zerbrochen. War das notwendig oder ein Akt der Verantwortungslosigkeit?

Ich finde es falsch, dass die Regierung nicht durchgehalten hat. In einer Demokratie muss man sich gerade bei unterschiedlichen Auffassungen zusammenraufen, sonst könnten wir gleich eine Einheitspartei haben. Auch künftige Bundesregierungen werden mit ähnlichen Konstellationen umgehen müssen.

Sie haben Lindners Festhalten an der Schuldenbremse immer wieder kritisiert. Sind Sie froh, dass er weg ist?

Wenn man jährlich ein bis zwei Prozent weniger investiert als die anderen EU-Staaten, hat man irgendwann ein Infrastrukturproblem. Das ist wie zu Hause: Wenn die Kellerwand feucht ist, kann man sie mit Tapete abdecken. Aber irgendwann muss man trotzdem richtig ran. Genau das müssen wir jetzt. Jede neue Bundesregierung wird vor der Frage stehen, wie sie das finanziell stemmen will. Der Satz ‚Die Schuldenbremse gilt‘ ist daher nicht zielführend.

Lindner würde sagen: Schulden machen statt zu sparen ist ebenfalls nicht zielführend.

Wir benötigen 60 Milliarden Euro pro Jahr für die Infrastruktur. Die Ertüchtigung der Bundeswehr wird weit über die geplanten 100 Milliarden hinausgehen, es wird eher in Richtung 300 Milliarden gehen. Und dann haben wir noch die Jahrhundertaufgabe der Klimatransformation. Das bezahlen Sie nicht mal eben aus der Portokasse. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel darauf, dass die Schuldenbremse, auf welche Weise auch immer, von der nächsten Regierung angefasst wird. Friedrich Merz hat sich gerade entsprechend positioniert.

Und das Sparen?

Natürlich muss man im Haushalt neue Prioritäten setzen, aber allein so die nötigen Milliarden zu finden, können Sie vergessen. Wir haben eine alternde Gesellschaft, egal was Sie tun, der Sozialhaushalt wird nicht stark schrumpfen. Man müsste quasi ein Viertel des Budgets völlig neu gestalten. Das geht schon wegen gesetzlicher Verpflichtungen nicht.

Ihr Kollege Schularick spricht vom wirtschaftlich schwierigsten Moment der Geschichte. Stimmen Sie zu?

Schwierig ist es immer in der Wahrnehmung der Akteure. Aber es ist der komplexeste Moment, weil wir vieles gleichzeitig tun müssen. Die Wirtschaft kann nicht mehr isoliert von der Politik gedacht werden. Vor 15 Jahren habe ich in Vorträgen nie über Verteidigung gesprochen. Heute ist eine Kernfrage, wie sich die geopolitische Lage auf unsere Wirtschaft auswirkt. Dann die Herausforderung des Klimawandels. Hinzu kommt die Alterung der Gesellschaft. Vor 60 Jahren begann der Pillenknick, die kommenden zehn Jahre werden deshalb die schwierigsten, weil wir die Übergangseffekte zu niedrigen Geburtenraten zu spüren bekommen.

Jetzt kommt auch noch Trump. Was kommt auf uns zu, wenn er zehn Prozent Strafzölle erhebt?

Die Frage lautet: Wird die Produktion verlagert oder können die Unternehmen ihre Preise anpassen? Das wird von Branche zu Branche anders sein. In der Chemie etwa wird weniger exportiert, weil es die Produkte oft nicht zulassen. Als Trump 2017 Zölle eingeführt hat, hat das den Export insgesamt jedoch wenig beeinträchtigt, die Unternehmen haben ihre Preise erhöht und die US-Kunden mussten das mehr oder weniger akzeptieren, weil es für sie keine Alternativen gab.

Welche Auswirkungen könnte ein Strafzoll von 60 Prozent auf chinesische Importe haben?

Wir wären ebenfalls betroffen, weil China seinen Exportdruck wohl auf Europa verlagern würde. Viele Waren würden bei uns billiger, aber es würde natürlich auch Produktion verdrängt. Im schlimmsten Fall würde uns Trump 160 bis 170 Milliarden Euro Wertschöpfung pro Jahr kosten. Vielleicht steigt dann aber auch das Interesse der Chinesen, sich mit der EU über Zölle auf Elektroautos zu einigen. Auf jeden Fall zeigt sich, dass Karl Marx in China Recht behalten hat.

Inwiefern?

Seine These war ja, dass der Kapitalismus zugrunde gehen wird, weil er infolge extremer Ausbeutung zu viel produziert. Das passiert, aber nicht bei uns, sondern in China, wo eine kommunistische Partei regiert.

Woran liegt das?

China hat durch seine Größe enorme Effizienzvorteile. Nehmen Sie etwa Solarpaneele. Ein paar chinesische Firmen können im Grunde den ganzen Weltmarkt bedienen. Oder Elektroautos: Da fahren ständig neue Marken herum, die selbst die Chinesen nicht kennen. Aber sie machen alle keinen Gewinn. Ähnlich im Immobiliensektor: In Shanghai oder Hongkong kann man durch ganze Viertel fahren, in denen die Fenster fehlen, weil dort niemand wohnt. Da hat es massive Fehlinvestitionen gegeben. Gleichzeitig altert auch dort die Gesellschaft dramatisch. China steht vor schwierigen Zeiten und einer deutlichen Marktbereinigung.

China ist als Absatzmarkt ausgefallen, aus Russland kommt keine günstige Energie mehr und die Amerikaner wollen nicht mehr für unsere Sicherheit bezahlen. Ist Deutschland das Geschäftsmodell weggebrochen?
Dann müssen wir es eben neu aufsetzen. Ich bin da nicht pessimistisch: Wir haben eine gute Ausgangslage, wir sind robuster aufgestellt als viele andere Volkswirtschaften. Wir haben einen dynamischen, innovativen und in Clustern aufgestellten Industriesektor. Der steht zwar unter Druck, aber wenn ich mir anschaue, wie stark unsere Industrie regional verteilt ist, dann haben wir große Vorteile. Wir bräuchten gar nicht so viele Reformen, um den Standort wieder in Schwung zu bringen. Wir brauchen verlässliche Energiepreise, etwa durch niedrigere Netzentgelte, und eine geringere Steuerbelastung durch Superabschreibungen oder Investitionsprämien. Und wir benötigen einen klimapolitischen Grundkonsens.

Inwiefern?

Wir sollten nicht anfangen, über Klimaziele zu diskutieren. Wenn das wieder losgeht und es keine verlässlichen Rahmenbedingungen gibt, warum sollten Unternehmen hier investieren? Natürlich ist der CO2-Preis über den Zertifikatehandel zentral, aber wir brauchen auch einen industriepolitisch aktiven Staat.

FDP und Union setzen eher auf CO2-Preise, SPD und Grüne auf einen starken Staat. Ökonomen tendieren oft eher zur ersten Position.

Das Grunddilemma, in dem wir stecken, ist der enge Zeitrahmen (2045), den wir uns gesetzt haben. Einen zeitlich vorgegebenen Strukturwandel hat es noch nie gegeben. Das führt automatisch zu mehr politischen Interventionen. Wenn wir die Klimaforschung ernst nehmen, haben wir einfach nicht mehr die Zeit, nur die Marktkräfte walten zu lassen, bis sich der richtige Weg von selbst einpendelt. In der Wasserstoffwirtschaft passiert nichts allein durch einen CO2-Preis, da braucht man ein Netz, für das der Staat die Weichen stellen muss. Deshalb ist der Gegensatz CO2-Preis versus Industriepolitik ein rein künstlicher. Man benötigt klug tariert beides.

Viele Beobachter argumentieren, dass wir eine Reformagenda wie unter Gerhard Schröder brauchen, um das Land wieder auf Kurs zu bringen.

Da frage ich mich immer, welche Reformen die eigentlich meinen. Wir brauchen eine andere Debatte: Wir müssen alle mehr arbeiten. Die wichtigste Debatte ist die über die demografische Alterung und die Schrumpfung des Erwerbspersonenpotenzials.

Die Ampel hat das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz reformiert.

Mit Erfolg, wie die Zahlen bei der Arbeitsmigration zeigen. Es wandern mehr junge, weibliche und gut ausgebildete Menschen in unseren Arbeitsmarkt. Das sollten wir positiv zur Kenntnis nehmen. Das ändert aber nichts daran, dass wir über die Arbeitszeit in unserem Land nachdenken müssen. Ein Vollzeitbeschäftigter in Deutschland arbeitet 250 Stunden weniger im Jahr als einer in der Schweiz.

Die meisten Menschen würden allerdings wohl lieber weniger als mehr arbeiten.

Das ist genau die gesellschaftliche Debatte, die wir führen müssen. Wir müssen wieder Ehrgeiz entwickeln und nicht nur dieses Genügsame, Eingelullte, Eingeschlafene. Wir müssen über kluge Arbeitszeitmodelle nachdenken. Es kann doch nicht sein, dass heute alle erschöpfter sind als früher, wenn es Homeoffice und viele andere Möglichkeiten gibt, die frühere Generationen nicht hatten.

Klingt nach keinem Wahlkampfschlager.

Mit kritischen Themen gewinnt man offenkundig keine Wahlen. Gerhard Schröder hat mit der Agenda 2010 die Wahl nicht gewonnen. Er hat sie verloren. Heute profitieren wir alle von seinen Reformen.

Damals war die Arbeitslosigkeit das Problem. Wird sie durch die Krise steigen oder wird der Fachkräftemangel das ausgleichen?

Die Arbeitslosenzahlen steigen, aber es handelt sich oft um Geflüchtete. In der Automobilindustrie wird es Personalabbau geben. Offene Stellen gibt es ebenfalls viele, aber die Menschen müssen auch mobil sein, um diese wahrzunehmen. Ob die Zahlen deutlich steigen werden, ist schwer zu sagen. Das Risiko ist auf jeden Fall da.

Stichwort Bürokratie. Wie kann es sein, dass Elon Musk in Windeseile eine Autofabrik hochziehen kann, aber die Modernisierung eines dazugehörigen Bahnhofs nicht klappt?

Das gilt für die ausufernden Berichtspflichten über Nachhaltigkeit ebenso wie für Verfahrensregeln. Nehmen wir den Brandschutz. Es gab 1996 den schrecklichen Brand auf dem Düsseldorfer Flughafen, seitdem sind die Brandschutzregeln eskaliert. Der Brand hatte aber weniger mit fehlenden Vorschriften zu tun als mit einer katastrophalen Bauweise. Die Folgen habe ich zum Beispiel beim Umbau unseres Instituts in Köln gesehen: Es hat neun Monate gedauert, bis wir eine Brandschutzwand abbauen durften, die keine Funktion mehr hatte.

Wie kann man das ändern?

Sie können noch so viele Gesetze ändern: Solange sich die Mentalität in den Verwaltungen nicht ändert, werden sie nicht viel erreichen. Beamten wollen keine Risiken eingehen, weil sie fürchten, haftbar gemacht zu werden. Wir müssen es schaffen, dass Beamte wieder ihren Ermessensspielraum pragmatisch nutzen können. Das wird nicht gelingen, wenn man sie nicht ein Stück weit für ihr Tun enthaftet.

Zum Interview auf swp.de

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